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Ich habe schon so einige Bücher über Wissenschaft gelesen und natürlich habe ich meine Favoriten. Irgendwann fiel mir auf, dass ein paar davon eine Art Reihe bilden, weil sie an das gleiche Thema anknüpfen. Am weitesten zurück reicht diese Reihe beim Thema Vererbung und Genetik, sie umfasst ganze drei Jahrhunderte. Biologie ist eigentlich weniger mein Gebiet, trotzdem haben mich die folgenden drei Bücher begeistert, weil sie eine schöne Gemeinsamkeit haben: Die Wissenschaftler, die sie geschrieben haben, geben ihnen eine ganz eigene Note und vermitteln damit etwas über sich selbst. Den Reigen bilden Charles Darwin, James Watson und Neil Shubin, die Bücher, die ich euch vorstelle, sind „Die Entstehung der Arten“, „Die Doppelhelix“ und „Der Fisch in uns“.
Kleiner Hinweis vorweg: Ich habe die Bücher auf Englisch gelesen und sogar alle vom gleichen Verlag, was wirklich Zufall ist. Vielleicht kennt ihr welche davon auf Deutsch, ich gehe einfach mal davon aus, dass sie in der Übersetzung genauso überzeugen können.
Charles Darwin: Mehr Tauben als Finken
Darwins „Die Entstehung der Arten“ (The Origin of Species) gehört zu den bekanntesten Büchern der Wissenschaftsgeschichte und zu den einflussreichsten Werken seiner Zeit. Es bildet die Grundlage für Darwins Evolutionstheorie, die beschreibt, wie Merkmale von Generation zu Generation weiter vererbt werden und durch natürliche Selektion neue Arten entstehen können. Bevor ich zum ersten Mal ein Exemplar in der Hand hielt, hatte ich mir darunter einen dicken Wälzer vorgestellt. Stattdessen ist „Die Entstehung der Arten“ ein handliches kleines Büchlein, meine Ausgabe basiert auf der ersten Auflage von 1859. Schon gleich in der Einleitung bezeichnet Darwin den Inhalt als kurze Zusammenfassung, die unvollendet und sicherlich fehlerhaft sein müsse. Ja richtig, der große Naturforscher entschuldigt sich fast dafür, dem Leser so etwas überhaupt zuzumuten. Aber wenn man bedenkt, wieviel Kritik Darwin nach der Erscheinung aus den Kreisen der Wissenschaft, aber auch aus großen Teilen der Gesellschaft ausgesetzt war, versteht man diese Haltung besser. Zudem hat Darwin nach seiner berühmten Forschungsreise auf dem Schiff „Beagle“ 20 Jahre lang an seiner Theorie gefeilt und mit ihr gerungen. Er hätte es wohl noch länger getan, hätte sein Zeitgenosse Alfred Russel Wallace nicht ganz ähnliche Ideen gehabt und Darwin damit unbeabsichtigt unter Zugzwang gesetzt.
Eine große Stärke des Buchs ist, dass Darwin es für die breite Öffentlichkeit geschrieben hat. Dadurch ist es gut verständlich, selbst wenn der Leser keine tieferen Kenntnisse über Biologie besitzt. Gleichzeitig tut Darwin etwas, das zeigt, was einen exzellenten Naturwissenschaftler ausmacht, und das zu einer Zeit, als dieser Begriff noch kaum geprägt war. Er stellt einen historischen Abriss voran, der all diejenigen erwähnt, die einen Beitrag zur Evolutionstheorie geleistet haben, weil ihre Gedanken in eine ähnliche Richtung gingen. Anschließend beschreibt er, wie der Mensch durch Züchtung die Merkmale von Tieren und Pflanzen neu kombiniert. Dann geht er über zur natürlichen Selektion, in der die gleichen Vorgänge zu sehen sind, nur dass hier die Lebensumstände der jeweiligen Art bestimmen, welche Variationen sich durchsetzen. Immer wieder argumentiert Darwin mit Beispielen, allerdings weniger mit den nach ihm benannten Finken von den Galapagos-Inseln, sondern viel häufiger mit Beobachtungen von Pflanzen oder Tieren, die der Leser aus seiner Umgebung kennt, zum Beispiel Obstbäume oder Tauben. Hier zeigt sich, wie intensiv Darwin nach der Beagle-Reise weitergeforscht hat. Des Weiteren behandelt er in eigenen Kapiteln mögliche Kritikpunkte seiner Theorie, etwa die Frage, wie genau der Begriff Art überhaupt zu definieren ist. Mit solchen Abgrenzungen schlagen sich heute noch viele Wissenschaftler herum.
Die Vorgehensweise Darwins – die Ursprünge seiner Theorie aufzuzeigen, die sorgfältige Argumentation, die Diskussion von Unsicherheiten – macht „Die Entstehung der Arten“ zu einem Buch, das den Prozess des Forschens wunderbar nachzeichnet. Darwin besaß zwar nicht die Mittel und Vorkenntnisse eines Wissenschaftlers aus unserer Zeit, umso beeindruckender ist es, wie tiefgehend und gründlich er sich mit seinen Themen beschäftigt hat und versucht, sie der Öffentlichkeit nahe zu bringen.
James Watson: Unverdauliches Essen und ein wunderschönes Modell
Es gab einen Baustein, der Darwin fehlte und eine große Lücke in seiner Theorie darstellte: Er kannte den Mechanismus nicht, der dazu führt, dass Merkmale von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Heute kennen wir den Schlüssel dafür, es ist die Erbsubstanz DNA. Dieses Wissen ist noch gar nicht so alt. In den 1950er Jahren, knapp hundert Jahre nach der Entwicklung der Evolutionstheorie durch Darwin und Wallace, wussten Wissenschaftler zwar von dem außergewöhnlichen Molekül DNA. Doch wie genau es aussieht und auf welche Art der Körper es immer wieder kopiert, um neue Zellen herzustellen, darüber zerbrachen sie sich ihre Köpfe. Zwei von ihnen waren der Molekularbiologe James Watson und der Physiker und Biochemiker Francis Crick. Ihr Durchbruch war „Die Doppelhelix“ (The Double Helix), der Weg dorthin war allerdings alles andere als geradlinig, wie Watson in seinem gleichnamigen Buch beschreibt, das 1968 erstmals erschien.
Anders als „Die Entstehung der Arten“ konzentriert sich „Die Doppelhelix“ nicht auf die Darlegung der wissenschaftlichen Resultate. Es geht vielmehr darum, wie es einen jungen Amerikaner ins englische Cambridge verschlug, weil er mit einem Problem in Berührung gekommen war, mit dem er sich gar nicht beschäftigen sollte. Denn erstens wurde seine Arbeit über Gelder aus der Heimat finanziert und die waren für ein ganz anderes Projekt in Kopenhagen vorgesehen. Außerdem sollen die Forschungsfelder in England damals klar verteilt gewesen sein, laut Watson gehörte die DNA Maurice Wilkins (der mit Watson und Crick später den Nobelpreis erhielt) und Rosalind Franklin, die in London mit Röntgenbildern von kristallisierten Molekülen arbeiteten.
Im Gegensatz zu Darwins gut hergeleiteter und schlüssig formulierter Theorie zeigt Watson, wie Wissenschaft auch sein kann: Voller unerwarteter Irrungen und Wirrungen und vor allem abhängig von ganz unterschiedlichen Charakteren. Watson berichtet immer wieder über seine eigenen persönlichen Probleme, wie die winzigen, zugigen Appartements, in denen er lebte, und das englische Essen, das bei ihm furchtbare Bauchschmerzen verursachte. Gleichzeitig lernt man Personen kennen, die auf die eine oder andere Weise mit der Suche nach der DNA-Struktur befasst waren, am besten von allen natürlich Francis Crick. Obwohl manchmal regelrecht euphorisch, verliert Crick mehrmals die Lust an der DNA, nur um später mit Watson in einem Pub erneut darüber zu brüten. Eine unrühmliche Ausnahme – unrühmlich für ihn, nicht für sie – ist Watsons Beschreibung von Rosalind Franklin. Er wurde nicht nur für seine Darstellung Franklins in „Die Doppelhelix“ kritisiert (während eines Vortrags von ihr sinniert er darüber, warum sie nicht mehr aus ihrem Typ macht), sondern auch dafür, dass ihr Beitrag zur Entdeckung der DNA-Doppelhelix kaum gewürdigt wurde. Seine Haltung soll er nach ihrem frühen Tod revidiert haben, doch bereits am Ende des Buches spricht er wesentlich respektvoller von Franklin. Dann nämlich, als sie die bestechende Schönheit von Watsons und Cricks Modell sofort erfasst.
Trotz allem hat mir Watson Bericht über die entscheidenden Monate in Cambridge gefallen, weil er neben seiner eigenen Arbeit mit Crick das „Rennen“ gegen Linus Pauling schildert, dem renommierten Chemiker in den USA. Die meisten hielten Pauling für den aussichtsreichsten Kandidaten, wenn es um die Entdeckung der DNA-Struktur ging. Ironischerweise war sein Sohn Peter Student in Cambridge, so bekamen Watson und Crick einen noch unveröffentlichten Fachaufsatz des Vaters in die Hände und erkannten, dass der große Mann die falsche Fährte verfolgte. Das trieb die beiden bei ihrer Suche noch mehr voran. Die Geschichte der Doppelhelix handelt damit auch von zwei „Underdogs“, die mit Cleverness und einem gehörigen Schuss Selbstvertrauen einen Volltreffer landeten. Wie so oft erscheint die Lösung des Problems nicht aus dem Nichts, sondern wird von vielen Akteuren inspiriert, die schon den halben Weg zur richtigen Antwort zurückgelegt haben.
Neil Shubin: Wo bitte geht es hier zu den Fossilien?
So, nun kommen wir zu einem Wissenschaftsautor aus diesem Jahrtausend, zu Neil Shubin und „Der Fisch in uns“ (Your Inner Fish) von 2007. Shubin fällt ein wenig aus der Reihe, weil er Paläontologe ist und kein Biologe. Was an Shubins Buch so großen Spaß macht, ist die Art, wie er sein eigenes und die verwandten Fachgebiete verbindet. Er beschreibt, wie die Geologie die Fundorte von Fossilien beeinflusst, indem Gesteinsschichten sich überlagern, gegeneinander verschieben und die oberen Schichten von der Witterung abgetragen werden. Forscher wie Shubin sind stets auf der Suche nach den „missing links“, also Fossilien, die entscheidende Entwicklungen in der Geschichte des Lebens aufzeigen – etwa den Übergang vom Wasser ans Land, der vor Hunderten Millionen von Jahren stattfand. Bereits Darwin wies darauf hin, wie viele solcher Puzzlestücke der Evolution noch unentdeckt sind. Aufhänger für „Der Fisch in uns“ ist der Fund eines Fossils, das genau in eine der Lücken passt. Shubins Expeditionsteam fand ein gut erhaltenes Skelett, das daraus rekonstruierte Tier namens „Tiktaalik“ sieht auf den ersten Blick aus wie eine seltsame Kreuzung zwischen Fisch und Echse. Seine herausragenden Eigenschaften: Anders als Fische hat es einen flachen Kopf, einen Hals und könnte, wie Shubin es formuliert, Liegestütze machen. Letzteres bedeutet, dass seine Flossen abgeknickt waren und es so über festen Boden watscheln konnte.
Weiter spannt Shubin den Bogen zu den Erkenntnissen der modernen Genetik, die weit über das hinausgehen, was Watson und Crick ausgetüftelt haben. So beschreibt er bestimmte Gen-Abschnitte, die bei Fliegen genauso vorkommen wie bei Säugetieren und allen anderen Tieren. Sie bestimmen den Bauplan des Körpers, der bei den verschiedenen Tierarten gar nicht so unterschiedlich ist, wie es von außen scheint. Deswegen haben wir alle den „Fisch in uns“, sei es im Aufbau unseres Skeletts oder in den Bahnen unserer Nerven. Und daher ist der Paläontologe Neil Shubin irgendwann an der Universität in Chicago gelandet, um einen Anatomiekurs für Medizinstudenten zu geben. Denn wer viel von Fossilien versteht, der versteht auch die menschliche Anatomie.
All diese Wissensgebiete beschreibt Shubin sehr schön, mein Lieblingsteil im Buch handelt jedoch – wie sollte es anders sein – von den ganz persönlichen Einblicken. Im Kapitel „Zähne überall“ (Teeth everywhere) erzählt er, wie er zum ersten Mal ins Feld ging, um in der Wüste von Arizona nach Fossilien zu suchen. Seine schon erfahrenen Kollegen schwärmten scheinbar wahllos in alle Richtungen aus und Shubin tat es ihnen nach. Später kehrten die anderen mit Taschen voller fossiler Knochen und Zähne zurück, er selbst hatte – nichts. Bald kam er auf die Idee, demjenigen zu folgen, der stets die größte Ausbeute mitbrachte, aber wieder sah er selbst rein gar nichts außer Felsen und Erde. Der Ratschlag, nach etwas zu schauen, das anders aussieht als die Umgebung, war zuerst wenig hilfreich. Bis zu dem Moment, als er endlich etwas in der Sonne schimmern sah: Es war sein erster Fund eines fossilen Zahns. Bald war Shubins Blick geschärft und plötzlich war es fast so, als lägen überall in der kargen Landschaft Zähne und Knochen, die ihm entgegen blitzten.
Zugegeben, die kleine Episode hat nichts mit einer bahnbrechenden Entdeckung wie der von Darwin oder Watson zu tun. Dennoch kommt auch hier der Enthusiasmus des Wissenschaftlers für seine Arbeit zum Ausdruck und das Einsehen, dass die wenigstens Dinge gleich perfekt verlaufen. Deswegen bildet sie den Abschluss für diese kurze Buch-Reise durch die Geschichte von Evolution und Genen. Ich hoffe, es hat euch gefallen, gewiss fallen euch noch mehr gelungene Stationen/Bücher von damals bis heute ein.
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Hinweis zur Autorin: Dieser Beitrag wurde von Lisa Leander verfasst. Sie ist Wissenschaftsjournalistin, sie hat früher schon ab und zu unter https://www.me-blog.de/ gebloggt und wird bald Beiträge für https://wmk-blog.de/ verfassen.
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