Wie bestimmt man seine Position auf hoher See? Dazu braucht man eine ausreichend genau gehende Uhr. Und wenn man die nicht hat, dann muss man die große Uhr des Himmels benutzen. Die zu verstehen war allerdings schwierig. Um die dazu notwendige “Methode der Monddistanzen” zu entwickeln, haben viele Wissenschaftler sehr viel mühsame Arbeit auf sich genommen. Und sich heftig gestritten, so wie Isaac Newton und Flamsteed. Gelöst hat das Problem aber jemand ganz anderes…
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Transkription
Sternengeschichten Folge 148: Der Streit um die Methode der Monddistanzen
In der letzten Folge der Sternengeschichten habe ich erklärt, welche Rolle die Astronomie bei der Positionsbestimmung spielt. Will man wissen, wo auf der Erde man sich befindet, dann muss man seine geografische Breite kennen, also wissen, wie weit nördlich oder südlich man sich vom Äquator befindet. Das kann man mit einfachen astronomischen Beobachtungen vergleichsweise unkompliziert herausfinden. Aber die Breite allein reicht nicht, man muss auch noch die geografische Länge kennen. Also den östlichen beziehungsweise westlichen Abstand von einer Referenzlinie.
Diese Referenzlinie, die “Nullmeridian” genannt wird, ist im Gegensatz zum Äquator aber nicht von der Natur vorgegeben sondern muss künstlich festgelegt werden. Dann aber muss man nur noch die lokale Uhrzeit bestimmen und sie mit der Uhrzeit auf dem Nullmeridian vergleichen um aus dem Unterschied direkt die geografische Länge bestimmen zu können.
Die lokale Zeit lässt sich mit astronomischen Beobachtungen ebenfalls leicht bestimmen: Man muss nur den Zeitpunkt bestimmen, an dem die Sonne ihren höchsten Punkt am Himmel erreicht hat. Das ist dann 12 Uhr Mittags. Weiter im Osten ist der Mittagspunkt schon vorbei, dort ist es also später; im Westen ist es früher und man muss wegen der Erddrehung noch bis zum Mittag warten. Der Vergleich der lokalen Zeit mit der lokalen Zeit am Nullmeridian liefert also die Position in Ost- bzw. Westrichtung.Aber wie bekommt man die lokale Zeit am Nullmeridian? Im Prinzip ist das ebenfalls simpel: Man führt die Messung dort ebenfalls durch, stellt eine Uhr entsprechend ein und nimmt sie dann einfach mit zu dem Punkt, an dem man die geografische Länge bestimmen möchte. So kann man die beiden Zeiten vergleichen und die geografische Länge bestimmen.
Heute wäre dieses Vorgehen überhaupt kein Problem. Im 18. Jahrhundert, als sich die Wissenschaftler intensiv mit dem Problem der Positionsbestimmung beschäftigt haben, erschien es aber fast unlösbar. Damals gab es noch keine genau gehenden Uhren so wie wir sie heute überall zur Verfügung haben. Die genausten Uhren waren Pendeluhren, die sich aber nicht leicht transportieren ließen. Wenn eine Pendeluhr mit einer schwankenden Kutsche über holprige Straßen gefahren wird, dann wird sie am Zielort die Zeit nicht mehr in der nötigen Genauigkeit anzeigen (sofern sie überhaupt noch irgendeine Zeit anzeigt und nicht kaputt gegangen ist).
Zum Glück gibt es ja noch den Himmel. Der ist eine einzige große Uhr und man muss sie nur zu lesen wissen! Zu Beginn des 16. Jahrhunderts begann mit der Arbeit von Galileo Galilei ja eine große Revolution in der Astronomie in deren Verlauf die Menschen jede Menge Neues über den Himmel lernten. Als Erster blickte Galilei mit dem Teleskop zum Himmel und entdeckte dort unter anderem die Monde des Planeten Jupiter. Und andere Wissenschaftler wie Johannes Kepler und Isaac Newton fanden die Naturgesetze, mit denen sich die Bewegung der Himmelskörper beschreiben lässt. Die Astronomen konnten nun also vorhersagen wie sich Jupiters Monde bewegen würde. Man konnte das in entsprechenden Tabellen nachschlagen und wusste dann zum Beispiel, das an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit einer der Monde hinter dem Planeten verschwinden würde bzw. auf seinem Umlauf hinter dem Planeten wieder auftaucht.
Wenn so ein Ereignis für eine bestimmte Zeit am Nullmeridian vorhergesagt worden ist, brauchte man es nur noch an dem Ort beobachten, dessen geografische Länge man bestimmen wollte und nachsehen, zu welchem lokalen Zeitpunkt es passiert. Und schon kann man den Unterschied in der Zeit und damit die geografische Länge bestimmen. Hat man eine gut ausgestattete Sternwarte zur Verfügung beziehungsweise vernünftige Teleskope und einen brauchbaren Beobachtungsort, dann war das auch im 17. und 18. Jahrhundert keine allzu schwere Aufgabe. Es reichte ja auch, wenn man die exakte Position eines Ortes bestimmt, der grob in der Region liegt, die man vermessen will. Von dort aus kann man sich dann mit den klassischen Methoden der Landvermessung Stück für Stück weiter vorarbeiten.
Das eigentliche Problem war die Positionsbestimmung auf hoher See. Schiffe mussten ebenfalls wissen, wo sie sich befinden um sich nicht zu verfahren oder Schiffbruch zu erleiden. Beziehungsweise sie mussten nicht – immerhin sind Menschen schon seit Jahrtausenden über die Meere gefahren ohne exakte Positionen bestimmen zu können. Aber je mehr der Handel über die Ozeane zunahm und je mehr die damals großen Nationen ihre Kolonialreiche über die ganze Welt ausbreiteten, desto wichtiger war es, nicht nur irgendwie über die Meere zu kommen, sondern möglichst schnell und möglichst sicher.
Die geografische Breite lässt sich auf Schiffen genau so gut bestimmen wie auf dem Land. Mit entsprechenden Instrumenten – zum Beispiel einem Sextanten – kann man auch dort die Höhe der Gestirne über dem Horizont und somit den Abstand zum Äquator messen. Man kann ebenso leicht herausfinden, wann die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht und somit die lokale Uhrzeit. Aber es war so gut wie unmöglich mitten auf dem Meer herauszufinden, wie spät es auf dem Nullmeridian ist. Pendeluhren konnte man auf einem schwankenden Schiff nicht mitnehmen. Die Jupitermonde ließen sich unter den erschwerten Bedingungen ebenso wenig genau oder verlässlich beobachten und vor allem nicht immer dann, wenn man es wollte.
Das Problem der geografischen Längenbestimmung wurde als so wichtig und drängend angesehen, dass die britische Regierung einen hoch dotierten Preis für dessen Lösung ausschrieb. Vorschläge gab es genug, auch wenn viele davon schwer zu realisieren waren. Man überlegte zum Beispiel, ob man nicht einfach überall auf dem Meer entlang der Schifffahrtsrouten fest verankerte Schiffe bzw. Stationen installieren konnte die zu einem festgelegten Zeitpunkt Kanonenschüsse oder Feuerwerksraketen abgeben und so wie ein Kirchturm die Zeit anzeigen sollten…
Die vielversprechendste Methode sah man aber in den sogenannten “Monddistanzen”. Die Idee dahinter ist einfach. Der Mond ist leicht zu beobachten und in fast jeder Nacht und überall auf der Erde zu sehen. Der Mond bewegt sich über den Himmel und wie man seit der epochalen Arbeit von Isaac Newton wusste, tat er das nach vorhersagbaren mathematischen Gesetzen. Man konnte also vorhersagen, wo sich der Mond zu einem bestimmten Zeitpunkt befindet. Und dann sind da noch die Sterne. Die bewegen sich selbst nicht und bilden so einen Hintergrund, der als Referenz für eine Zeitmessung dienen kann. Wenn man den Himmel als Uhr betrachtet, dann ist der Mond quasi der Zeiger und die Sterne sind die Ziffern entlang des Ziffernblattes. Man muss also nur noch nachsehen, auf welche “Ziffer” der “Mondzeiger” zeigt. Und da sich das ganze vorher berechnen ist, kann man dann die Position des Mondes in einem Katalog nachschlagen und feststellen, für welchen Zeitpunkt am Nullmeridian diese Position vorhergesagt worden ist. Das vergleicht man mit der lokalen Zeit auf dem Schiff und fertig ist die Längenbestimmung.
Wie gesagt: Es klingt einfach. Die Umsetzung war aber verdammt schwer. Denn damit das ganze funktioniert, muss man zuerst zwei andere Aufgaben erledigen. Man muss die Position der Sterne am Himmel so exakt wie nur irgendwie möglich vermessen. Und man muss die Bewegung des Mondes so genau wie nur irgendwie möglich verstehen und vorher berechnen können.
Die erste Aufgabe sollte im 17. Jahrhundert der Astronom John Flamsteed lösen. Er wurde vom britischen König im Jahr 1675 zum “Astronomer Royal”, also dem königlichen Astronomen ernannt. Eine Sternwarte wurde im Londoner Vorort Greenwich errichtet und dort sollte Flamsteed den Himmel vermessen und einen neuen Sternenkatalog mit nie gekannter Genauigkeit produzieren. Das klingt einfacher als es ist. Alle Beobachtungen musste mit Nacht für Nacht von Flamsteed selbst am Teleskop gemacht werden. Fotografie gab es nicht, die Astronomen mussten selbst durchs Teleskop schauen. Und dann mussten die Beobachtungsdaten mühsam mit vielen mathematischen Berechnungen in Positionen am Himmel übersetzt werden. Das ist nichts, was in ein paar Monaten oder Jahren erledigt ist sondern eine Aufgabe, die Jahrzehnte dauerte und auch Jahrzehnte gedauert hat.
Auch die Vorhersage der Bewegung des Mondes war schwierig. Newton hatte zwar mit seinem Gravitationsgesetz die Grundlage für ein Verständnis der Bewegung der Himmelskörper gelegt. Aber der Mond ist ein schwieriger Fall. Er wird von der Gravitation der Erde ebenso beeinflusst wie von der Gravitation der Sonne. Seine Bahn ist komplex und die Berechnung schwierig. Viel schwieriger als Newton sich das vorgestellt hatte, als er sich an diese Aufgabe machte. In der zweiten Ausgabe seines berühmten Werkes Principia Mathematica wollte er die Bewegung des Mondes als krönendes Beispiel für die Gültigkeit und Mächtigkeit seiner Theorie anführen. Aber mit seinen Berechnungen kam er nicht voran; er konnte nur diverse Näherungslösungen die schon früher existiert hatten, ein wenig verbessern. Newton war allerdings überzeugt, dass das nicht an seinen mangelnden Fähigkeiten lag, sondern an den schlechten Positionsdaten der Sterne. Um seine Theorie zu entwickeln, brauchte er Beobachtungsdaten, so genau wie möglich. Um die Position des Mondes zu bestimmen, muss man aber auch die Positionen der Sterne kennen. Newton selbst war nur Theoretiker und auf die Arbeit der beobachtenden Astronomen wie Flamsteed angewiesen. Und überzeugt davon, dass Flamsteed ihm die guten Beobachtungen vorenthalten würde.
Newton war damals ein berühmter und auch mächtiger Mann. Er nutze seinen politischen Einfluss, um Flamsteed mehr oder weniger zur Herausgabe dessen Daten zu zwingen. Flamsteed hatte natürlich kein prinzipielles Problem damit, seine Beobachtungen zu veröffentlichen. Aber er wollte – verständlicherweise – sein astronomisches Lebenswerk auch vernünftig publizieren. Als großen Katalog, mit einer ausführlichen Einleitung in der die Daten im historischen Kontext präsentiert werden und zusammen mit einer ausführlichen Erklärung der Methoden, die er bei der Beobachtung und Berechnung verwendet hatte. Und erst dann, wenn alle Arbeiten abgeschlossen sind. Newton war der Katalog egal, er wollte einfach nur die Daten haben um damit arbeiten zu können. Die Geschichte des Streits zwischen Newton und Flamsteed würde genug Material für ein paar weitere Sternengeschichten bieten. Am Ende gewann aber dann der mächtige Newton. Er wollte nicht warten und beschaffte sich Flamsteeds Daten, veröffentlichte sie selbst ohne dessen Einverständnis – und das noch dazu recht schlampig und absolut nicht so, wie Flamsteed es vorgesehen hatte.. Geholfen hat es ihm allerdings nicht. Nicht die Beobachtungsdaten von Flamsteed waren schuld daran, das Newton seine Mondtheorie nicht fertigstellen konnte. Das Problem war einfach zu schwierig, selbst für Newton.
Flamsteed starb als frustrierter und enttäuschter Mann, der von Newton um sein Lebenswerk betrogen wurde. Erst nach seinem Tod konnten seine Ehefrau und seine Assistenten die Daten entsprechend aufbereiten und in der von ihm vorgesehen Form publizieren. Das Problem der Längenbestimmung lösten aber andere. Zum Beispiel der Uhrmacher John Harrison, der die Astronomie komplett ignorierte und stattdessen eine Uhr baute, die nicht nur genau genug ging um für die Aufgabe der Längenbestimmung geeignet zu sein sondern auch die schwierigen Bedingungen auf dem Ozean aushalten konnte. Seeleute konnten nun die Zeit des Nullmeridians einfach mitnehmen und immer mit der lokal bestimmten Zeit vergleichen. Der Nullmeridian, der seit 1884 übrigens offiziell durch die Sternwarte in Greenwich verläuft da Flamsteed alle seine Positionen natürlich für genau diesen Ort bestimmt hat und sich damit auch ganz Großbritannien und später der Rest der Welt auf diesen Refererenzpunkt bezogen hat.
Die Uhr von Harrison war ein großer Fortschritt, aber auch teuer und anfangs nicht für alle leistbar. Und in der Ausschreibung des Preises zur Bestimmung des Längengrades war explizit gefordert, dass die Methode auch praktikabel sein muss. Eine einzige Uhr die noch dazu recht teuer war, erfüllte diese Bedingungen nicht. Und es war nicht absehbar, wann Harrisons Uhren in ausreichender Menge und billig genug produziert werden konnten, um auch tatsächlich eingesetzt werden zu können. Deshalb war die Methode der Monddistanzen weiterhin im Rennen bei der Suche nach der Positionsbestimmung auf See. Und mittlerweile klappte es auch viel besser als bei Flamsteed. Auf Grundlage der Arbeit des großen Mathematikers Leonhard Euler konnte der deutsche Astronom Tobias Mayer in der Mitte des 18. Jahrhunderts endlich die Bewegung des Mondes ausreichend genau vorhersagen, damit man damit das Problem der Längenbestimmung lösen konnte. Im Jahr 1767 erschien dann auch die erste Ausgabe des “Nautical Almanac”, ein dickes Buch in dem Seeleute die Positionen des Mondes und die entsprechenden Zeitpunkte nachschlagen und so ihre geografische Länge bestimmen konnten. Sowohl Mayer als auch Harrison wurden schließlich mit einem Teil des Preises ausgezeichnet, der für die Bestimmung des Längengrads ausgesetzt war.
Und der Nautical Almanac erscheint übrigens heute immer noch. Die Positionsbestimmung wird zwar mittlerweile fast überall mit GPS erledigt. Aber Satelliten und elektronische Geräte können ausfallen. Und dann sollte man Ahnung von Astronomie haben. Denn die Uhr am Himmel läuft immer weiter!
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