Mars mit dem Vallis marineris – dem einzigen “echten” Kanal … (Bild: NASA)

Mars mit dem Vallis marineris – dem einzigen “echten” Kanal … (Bild: NASA)

Aus astrobiologischer Sicht ist die nun folgende Argumentation von besonderem Interesse. Das vierte Kapitel ist überschrieben mit “Ist tierisches Leben auf Mars möglich?” und enthält einige Punkte, die auch heute noch von zentraler Bedeutung hinsichtlich der Beurteilung der Habitabilität von Himmelskörpern ist. Nach einer kurzen einleitenden Bemerkung, dass Lowells Schlussfolgerung, es handle sich bei den beobachteten Phänomenen bezüglich der “canali” und der Farbwechsel um das Resultat intelligenter Ingenieurstätigkeit völlig verkehrt und unglaubwürdig ist, widmet sich Wallace den grundlegenden Voraussetzungen für Leben auf dem Mars.

Da Lowell annahm, dass die Beschaffenheit der Materie und der physikalischen Gesetze im ganzen Sonnensystem gleich ist sowie die für irdisches Leben geltenden notwendigen Voraussetzungen zugleich auch für Leben auf dem Mars gelten, müssen folglich Wasser und eine Atmosphäre, die sich aus Sauerstoff, Stickstoff, Wasserdampf und Kohlenstoffdioxid zusammensetzt, sowie eine dazu passende Oberflächentemperatur über eine längere Zeit des Jahres hinweg vorhanden und für Lebewesen verfügbar sein.

Dieser Voraussetzung setzt Wallace nun die Beobachtungsbefunde entgegen, die ergeben, dass spektroskopisch bislang kein Wasserdampf in der Atmosphäre nachgewiesen werden konnte. Dies entspricht den Erwartungen gemäß einer Berechnung von Dr. Stoney (auf die sich Wallace bezieht), dass ein Planet, der Wasserdampf in der Atmosphäre halten kann, mindestens ein Viertel der Erdmasse aufweisen muss. Da Mars aber lediglich ein Neuntel der Erdmasse besitzt, kann Wasserdampf folglich nicht vorhanden sein. Die Abwesenheit von Wasser ist für sich selbst genommen bereits ein Ausschlusskriterium für das Vorhandensein von tierischem Leben auf Mars.

In den folgenden Abschnitten untersucht Wallace die Temperatur auf der Marsoberfläche. Hierbei geht er zunächst auf das Boltzmann-Gesetz ein, gemäß dem die Strahlungsintensität der vierten Potenz der Temperatur entspricht. Da Mars etwa 1,5 mal weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde, ist folglich mit noch tieferen Temperaturen zu rechnen als hier.

Ein weiterer Aspekt ist die Beobachtung, dass auf der Erde in Wüsten die Wärmeabstrahlung während der Nacht enorm ist. Daraus lässt sich auf die Temperatur des atmosphärelosen Mondes schließen, die auf der Nachtseite etwa 200 °F (absolut) erreichen dürften (wobei dem Gefrierpunkt von Wasser eine Temperatur von 491 °F absolut entspricht). Die absolute Temperatur ist hier auf den Wert 0 Kelvin bezogen. Bezogen auf den Mars, der offensichtlich ein arides Klima aufweist, weil keinerlei Wolkenbedeckung ausmachbar ist, ergibt sich folglich eine ebenso enorme Auskühlung während der über 12 Stunden andauernden Nacht. Gemäß der Erkenntnis von Professor Poynting aus dem Jahr 1904, dass Mars aufgrund seines größeren Abstands zur Sonne eine Durchschnittstemperatur von lediglich – 38 °C aufweist (und die Erde von + 17 °C) ergibt sich – im Verbund mit den vorher genannten Befunden – dass der Mars eher dem Mond als der Erde ähnelt.

In den folgenden Abschnitten bietet Wallace alternative Erklärungen für die Marskanäle und andere Oberflächenmerkmale an, die inzwischen als überholt gelten, weil sie a) Phänomene erklären, die sich als nicht existent herausgestellt haben und b) auch inhaltlich unzutreffend sind. Wallace erklärt z.B., dass die Marskanäle im Zuge des Erkaltens der Marskruste entstanden sind und verweist dabei u.a. auf analoge Strukturen in Basaltfelsen sowie auf den Jordangraben als irdisches Gegenstück zu den Marskanälen. Dass es sich bei den Marskanälen um eine optische Täuschung handelte, ergab sich bereits in den 1920er Jahren infolge des Einsatzes leistungsfähigerer Teleskope. Von daher waren Wallaces Überlegungen hierzu bereits kurz danach hinfällig geworden.

Im letzten Kapitel fasst Wallace seine Argumentation noch einmal zusammen und kommt dabei noch einmal ausführlich auf den niedrigen Atmosphärendruck zu sprechen, der von Lowell mit einem Zwölftel des irdischen Luftdrucks bestimmt worden war. (Der tatsächliche Wert entspricht etwa 1/170 !) Die Beobachtung, dass auch in Äquatornähe auf hohen Berggipfeln Schnee dauerhaft vorhanden ist, verweist auf den abnehmenden Atmosphärendruck als alleiniger Ursache für die Auskühlung. Da der Atmosphärendruck auf Mars nur einem Bruchteil des Atmosphärendrucks in jenen hochgelegenen Regionen entspricht, ist hier um so mehr mit einer stärkeren Auskühlung zu rechnen! Aus alledem folgt, dass die erste Grundvoraussetzung für Leben – Wasser – auf Mars nicht existiert. Wallaces Fazit lautet daher, dass Mars demnach nicht nur von intelligenten Wesen, wie sie Lowell annimmt, unbewohnt ist, sondern generell unbewohnbar ist:

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Kommentare (19)

  1. #1 lisalea
    29. September 2015

    Na das passt ja perfekt zur Wasser-auf-Mars-Meldung der NASA 😉
    Fand ich sehr interessant zu lesen, man kennt in der Regel nur den jungen Wallace mit der Evolutionstheorie, Hut ab, dass er sich noch bis ins hohe Alter mit solchen Themen auseinandergesetzt hat.

  2. #2 bazille2003
    29. September 2015

    Wirklich ein sehr schöner Zufall.
    Wallace war einfach ein großer Geist seiner Zeit . Seine Beobachtungen und Erkenntnisse waren bahnbrechend und können nicht genug betont werden. Mich haben seine Beobachtungen zu der Biogeographie (spätere Wallace Linie) sehr beeindruckt.

  3. #3 Alderamin
    29. September 2015

    Hervorragender Artikel, und wieder was gelernt!

  4. #4 Kyllyeti
    29. September 2015

    Hochinteressant.
    Und überraschend: Auch mein Bild von Wallace war bisher nur von seiner ‘irdischen’ Biologie geprägt.

    Auf dem Mond gibt es ja einen nach ihm benannten Krater – aber er hätte es verdient, seinen Namen auch auf dem Mars verewigt zu sehen.

  5. #5 Kyllyeti
    29. September 2015

    @myself

    Sehr schön … es ist schon passiert: Wallace-Krater

  6. #6 Captain E.
    29. September 2015

    Na, das ging aber mal schnell… 😀

  7. #7 Kyllyeti
    29. September 2015

    @Captain E.

    Klar. Und hab das gleich auch sogar rückwirkend ab 1973 hingekriegt. 😉

  8. #8 Hoffmann
    29. September 2015

    Ja, dass nun gerade aktuell der Mars und seine Habitabilität im Gespräch sind, ist wirklich ein schöner Zufall. Was mich bei Wallace beeindruckt hat, ist seine Vielseitigkeit und seine Produktivität bis ins hohe Alter.

    An dieser Stelle möchte ich noch auf die sehr lesenswerte Biographie von Matthias Glaubrecht hinweisen (Titel: “Am Ende des Archipels”), aus der ich die Anregung für diesen Artikel bekommen hatte. Die Recherchen dazu brachten dann weitere Fundstücke zutage, die ich im Text verlinkt habe.

  9. #9 Captain E.
    29. September 2015

    @Kyllyeti:

    Schön. Die Werkstatt hat also jetzt endlich den Fehler in deiner Zeitmaschine gefunden? 😉

  10. #10 Kyllyeti
    29. September 2015

    @Captain E.

    Erinnere mich nicht daran. Das stotternde Ding musste nach 2067 in die Werkstatt zurückgebracht werden. Und das war vor allem bei dem starken Verkehr ab 2054 überhaupt kein Vergnügen.

  11. #11 Captain E.
    29. September 2015

    Ja, die Baureihe von 2099. Schick sah sie aus, aber die Technik war unter aller Sau.

  12. #12 rolak
    29. September 2015

    Und wieder einen völlig unbekannten, doch interessanten Aspekt einer vermutet bekannten Person dazugelernt – schicker Text!

  13. #13 LasurCyan
    29. September 2015

    Schöner Text!

  14. #14 Spritkopf
    29. September 2015

    Sehr schöner Text. Leider hat ja Wallace im Bewusstsein der Allgemeinheit auch posthum nicht die Würdigung erfahren, die seine Beiträge zur Wissenschaft eigentlich verdient hätten.

  15. #15 Hoffmann
    29. September 2015

    @ Spritkopf:

    Ja, ich vermute, dass das mit dem Verlust an Reputation zu tun hat, den sich Wallace mit seinem Hobby Spiritismus eingehandelt hatte. Was natürlich sehr schade ist, weil er ja durchaus noch im hohen Alter zu rationalen Erörterungen fähig gewesen ist, die vollends im Kontext der Naturwissenschaft lagen.

    Mit seiner Spiritismus-Eskapade wurde ihm offenbar unterstellt, seines Verstandes nicht mehr ganz mächtig zu sein. Hinzu kam noch die fehlende Zugehörigkeit zur gesellschaftlichen Elite, zu der ihm Darwin zwar verholfen hatte, indem er ihm Türen öffnete, aber dieselben sich ebenso schnell wieder schlossen, nachdem Darwin 1882 verstarb. Das erleichterte die Vernachlässigung der Beiträge Wallaces zur Naturwissenschaft.

  16. #16 Dampier
    29. September 2015

    Sehr schöner Artikel!

  17. #17 gaius
    29. September 2015

    Ein aktuelles Thema, eine bekannte Person und trotzdem etwas Neues herausgearbeitet: tolle Kombination für einen Blogartikel. Er wirkt auch – nicht zuletzt durch die Abwesenheit von Fehlern – professionell geschrieben.

  18. #18 BreitSide
    Beim Deich
    30. September 2015

    Auch mir ging das so wie Einigen: Erst kannte ich ihn gar nicht, nur Darwin, dann las ich ab+zu was auch über den “Konkurrenten” Wallace, dann mehr über eine Zusammenarbeit.

    Was er sonst noch Großes geleistet hatte, war auch mir völlig unbekannt. Again what learned 🙂

  19. #19 Hoffmann
    30. September 2015

    Danke für die positiven Kommentare! Es freut mich, dass mein Artikel einige Wissenslücken füllen konnte. 🙂