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1953 wurde die Struktur der DNA aufgeklärt und läutete eine Revolution in der Biologie ein. Etwa zur selben Zeit erlebten die Lebenswissenschaften eine weitere Umwälzung, die weniger bekannt ist: die erste menschliche, potentiell unsterbliche Zelllinie wurde etabliert. So gut wie alle Biologen, die ich kenne, haben im Laufe ihres Studiums oder ihres Berufslebens bereits mit diesen Zellen gearbeitet. Die Geschichte dahinter ist aber vielen – und war auch mir lange – unbekannt. Dabei ist sie wirklich faszinierend und wirft viele medizinisch-ethische Fragen auf wie z. B.: Was von meinem Körper gehört mir? Glücklicherweise schildert Rebecca Skloot in ihrem 2010 erschienenen Buch The immortal life of Henrietta Lacks (auf Deutsch: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks), unter welchen Umständen die Zelllinie entwickelt wurde und welche Folgen das hatte.
1951 litt Henrietta Lacks, die aus ärmlichen Verhältnissen stammte, an starken Unterleibsblutungen und suchte das Johns Hopkins Hospital auf, weil es damals eines der wenigen Krankenhäuser war, das auch Schwarze behandelte. Wie sich herausstellte, hatte Henrietta Gebärmutterhalskrebs, der drei Monate zuvor, nach der Geburt ihres fünften Kindes, anscheinend noch nicht da war. Er musste also sehr schnell gewachsen sein. Während ihrer ersten Behandlung wurde eine Biopsie des Tumors gemacht und die Probe an George Gey weitergegeben.
Dieser versuchte damals bereits seit langem eine menschliche Zelllinie zu etablieren, das heißt: menschliche Zellen, die sich im Reagenzglas – außerhalb des Körpers – unendlich oft vermehren können. Während Zellen aller anderen Gewebeproben von Patienten bereits nach kurzer Zeit starben, vermehrten sich Henriettas Zellen unglaublich schnell und wuchsen bei konstanter Versorgung mit Nährstoffen einfach immer weiter. Gey nannte die Zelllinie HeLa, nach den Initialen von Henrietta Lacks.
Außerdem verteilte er die unsterblichen Krebszellen unentgeltlich an viele Kollegen und verschickte sie über die ganze Welt. Die Untersuchung menschlicher Zellen im Reagenzglas eröffnete fast unüberschaubar viele Möglichkeiten. Man testete an den Zellen die Auswirkungen von Toxinen, Arzneimitteln, Salmonellen oder radioaktiver Strahlung. In der Kosmetikindustrie dienten sie als Ersatz für Tierversuche. HeLa-Zellen waren auch an Bord des zweiten Satelliten überhaupt im Orbit, um zu untersuchen, wie sie auf Schwerelosigkeit und den Weltraumaufenthalt reagieren.
Und sie wurden massiv genutzt, um Viren zu untersuchen. HeLa-Zellen ließen sich mit verschiedenen Viren wie z. B. Polio infizieren. Das war genau das, was Jonas Salk brauchte, um seinen Polio-Impfstoff zu testen. HeLa ließ sich mit dem Virus und dem Blutserum potentiell immunisierter Menschen vermischen. War die Impfung wirksam, wurden die Zellen nicht infiziert, da die Antikörper des Serums die Viren inaktivierten. HeLa trug also auch maßgeblich zur Entwicklung des Polio-Impfstoffes bei. Um die riesigen Mengen des benötigten Zellmaterials herzustellen, wurde zum ersten Mal eine “Zellfabrik”, ein Gebäude allein zum Kultivieren von Zellen, gebaut und die Proben wurden gegen Geld verschickt.
Bei aller Euphorie um HeLa gab es aber auch Probleme, die im Buch ausführlich thematisiert werden. Eines war wissenschaftlich-technischer Art. Im Laufe der Zeit wurden immer mehr Zelllinien unterschiedlicher Herkunft etabliert, die sich aber nach und nach alle ähnlicher wurden. Wie sich irgendwann herausstellte, waren viele von ihnen kontaminiert – und zwar mit HeLa. Die Zellen wuchsen so gut, dass die anderen Zelllinien ihnen bei einer Kontamination nicht gewachsen waren. Viele Wissenschaftler erforschten also gar nicht die Zellen, für die sie sich eigentlich interessierten. Jahre an Forschung und Millionen von Dollar gingen so verloren.
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