Wie Rebecca Skloot in ihrem Buch auf eindringliche Art und Weise schildert, waren andere Probleme ethischer Natur. Die Injektion von HeLa-Zellen in Mäuse löste dort eine Tumorbildung aus. War das auch im Menschen möglich oder waren diese dazu fähig den Krebs zu bekämpfen? Der Onkologe Chester Southam spritzte in den 1950er Jahren teilweise unwissenden Patienten oder Gefängnisinsassen HeLa-Zellen. Je nach Zustand ihres Immunsystems entwickelten die Probanden Knoten unter ihrer Haut, die in Einzelfällen auch metastasierten, oder sie waren fähig die Zellen abzutöten. Das Ganze wurde erst gestoppt, als sich mehrere jüdische Ärzte weigerten, die Studien fortzuführen. Sie waren sich der Problematik bewusst, da sie die Nürnberger Prozesse verfolgt hatten und von den abscheulichen “Medizin”-Versuchen der Nazis wussten.
Zudem war auch Henrietta Lacks nie um Erlaubnis gefragt worden, ob ihr Gewebe für derartige Forschung verwendet werden darf. Etwas wie eine informierte Einverständniserklärung gab es damals noch nicht. Der Krebs kam nach ihrer Behandlung auch stärker zurück denn je und sie verstarb 1951 im Alter von 31 Jahren. Sie erfuhr nie von den Zellen, die nach ihr benannt sind. Und auch ihre Familie blieb zunächst unwissend. Erst 20 Jahre nach Henriettas Tod wurde ihr richtiger Name in Verbindung mit der Zelllinie veröffentlicht und zwei Jahre später erfuhr zufällig ihre Familie schließlich davon.
Den ärmlichen Verhältnissen und entsprechend geringer Bildung geschuldet, konnten die Familienmitglieder das Erzählte nicht richtig einordnen. Sie dachten, ein Teil von Henrietta – und nicht nur ihre Krebszellen – lebt wirklich, womöglich sogar in verschiedenen Kopien, da sie den Begriff Cloning in diesem Zusammenhang falsch verstanden. Und als sie hörten, dass man Gifte, HIV und radioaktive Strahlung an HeLa testet, vermuteten sie, dass ihre Verwandte tatsächlich noch leidet.
Rebecca Skloot lässt in ihrem Buch die Familienmitglieder ausführlich zu Wort kommen. Es wird klar, dass sich niemand darum bemüht hat, die Familie aufzuklären, die außerdem aufgebracht war, weil viele Menschen viel Geld mit HeLa verdient und ihre Karrieren vorangebracht haben, während Henriettas Hinterbliebenen leer ausgingen und sich die Gesundheitsversorgung kaum leisten konnten. Stattdessen wurden Blutproben von Henriettas Verwandten entnommen, um mehr über die Zelllinie herauszufinden. Diesen wurde aber nicht erklärt, was da vor sich geht, und sie vermuteten, dass sie auf Krebs getestet werden. Als sie einen der Wissenschaftler um Erklärungen zur Zelllinie baten, wurde ihnen ein vom Forscher verfasstes Genetik-Lehrbuch geschenkt. Natürlich signiert. Anfangen konnten sie damit allerdings nichts. Danach wurden genetische Daten der Verwandten in Science veröffentlicht, ohne Wissen oder Zustimmung der Betroffenen. Ähnliches passierte mit Teilen von Henriettas Patientenakte.
Auch Henriettas Tochter Elsie hatte unter den damaligen Zuständen in Medizin und Wissenschaft zu leiden. Bei ihr war eine geistige Behinderung diagnostiziert worden und sie kam in das Hospital for the Negro Insane in Crownsville, in dem sie einige Jahre später verstarb. Skloot besuchte das Crownsville Hospital Center, wie es inzwischen hieß, mit Henriettas Tochter Deborah. Die beiden erfuhren, dass damals an womöglich fast allen Kindern dort für eine Epilepsiestudie eine sog. Pneumoencephalographie durchgeführt worden war. Um an scharfe Röntgenbilder des Schädelinneren zu kommen, war den Patienten die Hirnflüssigkeit entfernt worden, was mit starken Nebenwirkungen wie Übelkeit, Krampfanfällen und starken Kopfschmerzen einherging – das dauerte nach der Behandlung für mehrere Monate an, bis der Körper die fehlende Flüssigkeit wieder ersetzt hatte. Ziemlich sicher lagen auch hier nie Einverständniserklärungen vor.
Zwei von Henriettas Kindern erfuhren mit Skloots Hilfe schließlich doch noch genauer, was es mit den Zellen ihrer Mutter auf sich hat. Der damals an der Johns Hopkins University tätige Christoph Lengauer zeigte ihnen, wie die Zellen gelagert werden und wie sie unter dem Mikroskop aussehen. Außerdem erfuhren sie zum ersten Mal, dass HeLa ausschließlich aus Tumorzellen besteht und es keine “normalen” Zellen ihrer Mutter sind. Und zumindest Henriettas Tochter Deborah, die noch vor Veröffentlichung des Buches verstarb, scheint mit der Geschichte ihren Frieden gemacht zu haben.
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