Wissenschaft und Religion vertragen sich nicht. Zu diesem Thema habe ich vor Jahren einen langen Artikel geschrieben und meine Meinung dazu hat sich nicht wesentlich geändert. Religion und Wissenschaft betrachten die Welt auf völlig unterschiedliche Art und auf eine Weise, die sich nicht in Einklang bringen lassen. Daraus folgt allerdings nicht, dass es nicht Menschen geben kann, die in der Lage sind, die beiden konträren Sichtweisen für sich selbst in Einklang zu bringen. Gläubige Wissenschaftler gibt es heute genau so wie es sie früher gegeben hat.
Ohne konkrete Daten zu haben erscheint es mir aber trotzdem so, als würden heute weniger Wissenschaftler auch überzeugte Gläubige ihrer jeweiligen Religion seien als früher. Das ist auch nicht überraschend: Sowohl die Religion als auch die Wissenschaft basieren auf Unkenntnis. Sie beschäftigen sich mit Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Der Unterschied besteht in der Art der Antworten. Während zum Beispiel eine (fundamentale) Religion die Frage nach dem Ursprung der Erde mit “Sie wurde von Gott geschaffen!” beantwortet, sucht die Wissenschaft nach konkreten Belegen für ein (nicht vorgegebenes) Entstehungszenario. Und je mehr Fragen von der Wissenschaft auf diese objektive und nachprüfbare Weise beantwortet werden, desto weniger bleibt für die subjektiven und zu glaubenden Antworten der Religion übrig.
Früher, als man noch nicht so viel über die Welt wusste und als eine Wissenschaft im modernen Sinn auch noch nicht existierte, war es wesentlich leichter, Religion und Wissenschaft in Einklang zu bringen. Der Journalist Eckart Roloff hat zu diesem Thema ein sehr interessantes Buch geschrieben (und ich bedanke mich sehr bei der Person, die es mir geschenkt hat!). Es heißt “Göttliche Geistesblitze: Pfarrer und Priester als Erfinder und Entdecker”* und erzählt von der wissenschaftlichen Forschung verschiedenster religiöser (in diesem Buch: christlicher) Würdenträger.
Das Bild des Verhältnisses zwischen Religion und Wissenschaft in der Vergangenheit ist zwiespältig. Einerseits stellt man sich “Die Kirche” immer gerne als Organisation vor, die jeglichen wissenschaftlichen Fortschritt gnadenlos unterdrückt und Forscher auf dem Scheiterhaufen verbrennt. Andererseits galten zum Beispiel gerade Klöster als Orte der Gelehrsamkeit in einer Zeit, in der kaum irgendwo anders geforscht wurde.
Aus meiner laienhaften historischen Perspektive erscheint dieser Widerspruch aber gar nicht so widersprüchlich. Lange Zeit waren Priester, Pfarrer und andere Theologen mehr oder weniger die einzigen, die überhaupt einen systematischen Zugang zu Bildung hatten. Sie konnten nicht nur lesen und schreiben sondern hatten im Allgemeinen auch Zugang zu Bibliotheken. Es ist also fast folgerichtig, dass es auch die Priester und Pfarrer waren, die sich mit der Erforschung ihrer Umwelt beschäftigten. Die Welt verstehen zu wollen ist ja erst Mal nichts, was dem Glauben an sich widerspricht. Wenn man die Welt als “Gottes Werk” betrachtet, dann spricht für einen gläubigen Menschen nichts dagegen, dieses Werk auch verstehen zu wollen.
Und, das zeigt das Buch von Roloff sehr ausführlich, es gab genug davon, die genau das getan haben. “Göttliche Geistesblitze” beginnt mit einer allgemeinen Einführung zum Themebereich Religion/Wissenschaft/Technik; erzählt von den Klöstern, ihren vielfältigen Aufgaben und ihrer Verbindung zur Wissenschaft (Kartografie, Medizin, Metallverarbeitung, etc) und gibt einen kurzen Überblick über die Entstehung der ersten Universitäten und dem Einfluss der Kirchen. Danach folgt eine lange Reihe von Biografien; beginnend mit Berthold Schwarz, dem vermutlich legendären Mönch, der im 14. Jahrhundert das Schwarzpulver entdeckt haben soll. Es folgen bekannte Namen wie der des Universalgelehrten Athanisius Kircher oder Gregor Mendel. Aber auch Namen, die man normalerweise nicht so oft hört. Zum Beispiel Christoph Scheiner, ein Zeitgenosse und Konkurrent von Galileo Galilei und (Mit)Entdecker der Sonnenflecken.
Oder Jacob Christian Schäffer, der sich nicht nur mit der Papierherstellung beschäftigte sondern auch eine Waschmaschine erfand. Viele der Einträge waren für mich überraschend und komplett neu; wie zum Beispiel die Geschichte von Roberto Landell de Moura und seiner Forschung zur drahtlosen Telegrafie oder die abenteuerlichen Reisen von Johann Adam Schall von Bell (was für ein Name!) und seine astronomische Arbeit am chinesischen Kaiserhof.
Die Thematik des Buches ist höchst faszinierend, die Umsetzung für meinen Geschmack nicht ganz optimal. Es wäre eigentlich wunderbarer Stoff für ein packendes populärwissenschaftliches Sachbuch aber Roloffs Werk ist eher als halbwegs leicht lesbare Quellen- und Materialsammlung zu verstehen. Die einzelnen Kapitel sind voll mit Zitaten aus diversen anderen Büchern und teilweise nimmt das fast schon überhand (ich muss nicht unbedingt jede Erwähnung irgendwo auf einer Homepage im Vollzitat vorgelegt bekommen). Schön fand ich dagegen den Punkt “Einladung zur eigenen Spurensuche” am Ende jeder Biografie in der nicht nur die weiterführende Literatur aufgeführt wird, sondern auch Informationen zu Denkmälern, Geburts-, Wohn- oder Sterbehäusern, Museen und anderen Erinnerungsstätten gegeben werden.
Wer sich für Wissenschaftsgeschichte interessiert wird in “Göttliche Geistesblitze” jede Menge Material finden. Wer am Spannungsfeld zwischen Religion und Wissenschaft interessiert ist, ebenfalls. Wenn das ganze noch ein klein wenig weniger akademisch und mit größerem Fokus auf ein allgemeines Publikum geschrieben wäre, wäre es ein rundum tolles Buch. Aber auch so bin ich froh, das Buch gelesen zu haben. Es passt auch gut zum (viel leichter lesbaren) Buch “Im Haus der Weisheit”* von Jim Al-Khalili, das ich vor einem Jahr vorgestellt habe und in dem es um die Wissenschaft im Islam geht.
Falls ihr noch ähnliche Bücher zu ähnlichen Themen kennt, würde ich mich über Hinweise freuen! *Affiliate-Links
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