Es war nur eine Frage der Zeit. Irgendwann musste jemand die Verbindung zwischen dem vermuteten (nicht entdeckten!) Planeten im äußeren Sonnensystem und dem Weltuntergang herstellen. Die Pseudowissenschaftler und Esoteriker haben das natürlich schon recht schnell getan, aber nun haben sich auch seriöse Wissenschaftler mit dieser Frage beschäftigt. Und dabei die zu erwartenden Schlagzeilen in allen Medien erzeugt…
Was ist nun tatsächlich von dieser Sache zu halten?
Die Geschichte ins Rollen gebracht hat eine wissenschaftliche Arbeit aus dem Jahr 1984. Zwei Paläontologen haben damals in Analyse behauptet, Massensterben hätten in der Vergangenheit der Erde nicht einfach zufällig stattgefunden, sondern wären periodisch in einem Abstand von ungefähr 26 Millionen Jahren aufgetreten. Das war eine ziemlich gewagte Behauptung: Denn was für ein Prozess sollte mit so einer langen Periode nicht nur regelmäßig natürlich auftreten, sondern außerdem noch ein Massensterben auf der Erde verursachen? Die 1980er und 1990er Jahre waren auch die Zeit, in der die Wissenschaftler erstmals zeigen konnten, dass Asteroideneinschläge für viele der vergangenen Katastrophen (unter anderem das Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren) verantwortlich waren. Aber wie und wieso sollten Asteroideneinschläge periodisch stattfinden? Die Antwort war die Nemesis-Hypothese und die war noch spektakulärer als der Befund, den sie erklären sollte. Demnach wäre unsere Sonne kein Einzelstern sondern hätte noch einen fernen Begleitstern, der auf seiner Bahn alle 26 Millionen Jahre der Oortschen Wolke am äußersten Rand unseres Sonnensystems nahe kommen sollte. Die gravitativen Störungen würden dann Kometen Richtung Sonne und damit auch Richtung Erde schicken. Ich habe die ganze spannende Geschichte von Nemesis in diesem Artikel beschrieben und bis vor kurzem war die Frage nach der Existenz dieses Begleitsterns immer noch offen.
Mittlerweile ist aber klar, dass Nemesis nicht existieren kann; zumindest nicht in der damals vermuteten Form. Ein kleiner Stern in der nötigen Nähe hätte bei den Himmelsdurchmusterungen der vergangenen Jahre längst auffallen müssen. Nemesis könnte höchstens noch ein “Brauner Zwerg” sein, also ein Himmelskörper der ein wenig größer als Jupiter und viel dunkler als ein Stern ist. Aber auch das passt nicht mehr so richtig. Mittlerweile hat man auch die paläontologischen Spuren der Massensterben genauer untersucht und die Periode von (nun) 27 Millionen Jahren bestätigt. Zumindest über 500 Millionen Jahre hinweg blieb sie mit geringen Abweichungen konstant. Wäre wirklich ein ferner Stern/brauner Zwerg verantwortlich, dann sollte sich dessen Umlaufzeit aber durch den Einfluss der anderen Sternen in der Nachbarschaft der Sonne verändert haben.
Eine weitere Hypothese zur Erklärung der periodischen Katastrophen war die Bewegung der Sonne durch die Milchstraße. Sie umläuft das Zentrum der Galaxis während knapp 200 Millionen Jahre nicht in einer Ebene, sondern wackelt dabei immer ein wenig auf und ab (siehe hier für Details. Dabei durchquert sie regelmäßig Bereich mit mehr bzw. weniger Sternen und das könnte für periodische Störungen der Kometen in der Oortschen Wolke sorgen. Allerdings passen hier die Perioden nicht zusammen; die Massensterben finden häufiger statt als sie es laut dieser Hypothese tun sollten.
Es gibt noch andere Thesen (wie zum Beispiel im Buch “Dunkle Materie und Dinosaurier: Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums”* von Lisa Randall dargestellt), aber auch die sind nicht überzeugend.
Was bleibt ist die Behauptung vom Anfang dieses Artikels: Planet 9 ist für das Massensterben verantwortlich! Über diesen hypothetischen Himmelskörper habe ich vor einigen Wochen ja sehr ausführlich berichtet. Zum Beispiel hier und hier. Nach unbekannten Planeten wird im Sonnensystem schon sehr lange gesucht und ich habe die Geschichte nach der Suche solcher Planeten in einer Artikelserie (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4) zusammengefasst und bin dort auch im Detail auf die Argumente eingegangen, die für die Existenz des “Planet 9” sprechen.
Manche seltsame Eigenschaften der Umlaufbahnen ferner Asteroiden kann man erklären, wenn man davon ausgeht, dass sich weit hinter der Bahn des Neptun noch ein weiterer großer Himmelskörper befindet. Er wäre dann ein paar Mal so groß wie die Erde und so lichtschwach, dass er bis jetzt allen Himmelsdurchmusterungen durch die Lappen gegangen sein könnte.
Daniel Whitmire von der Universität Arkansas hat sich nun Planet 9 unter dem Gesichtspunkt des periodischen Massensterbens angesehen und seine Ergebnisse in einer kürzlich erschienenen Facharbeit zusammengefasst (“Periodic mass extinctions and the Planet X model reconsidered”). Er behauptet darin, dass so ein Planet tatsächlich mit der nötigen Periode für die Katastrophen der Vergangenheit verantwortlich sein könnte.
Ich bin allerdings skeptisch. Nicht prinzipiell! Dass Asteroiden für Massensterben verantwortlich sein können bestreite ich nicht (immerhin habe ich ein ganzes Buch* zu diesem Thema geschrieben) und auch mit der Existenz von Planeten hinter der Bahn Neptun habe ich keine Probleme. Ich weiß über die gravitativen Störungen, die Planeten auf Asteroiden ausüben können und die Hypothese von Whitmire ist an sich plausibel. Seine konkrete Arbeit dazu überzeugt mich aber vorerst noch nicht.
Einmal, weil sie extrem kurz ist; es ist eigentlich nur eine kurze Notiz zum Thema und keine wirklich gut ausgearbeitete Forschungsarbeit. Um herauszufinden, wie sich die Umlaufbahn eines “Planet 9” auf die Asteroiden im Kuipergürtel auswirken würde, hat Whitmire kein detailliertes Computermodell untersucht, sondern “nur” die entsprechenden mathematischen Gleichungen anhand von Näherungslösungen abgeschätzt. Solche Methoden (nennt sich “Störungsrechnung” und ist mathematisch ziemlich knifflig) sind prinzipiell vollkommen ok, wenn man sich der Limitationen bewusst ist. Das ist bei Whitmire der Fall und erwähnt im Text selbst, dass seine Gleichungen nicht geeignet sind, ein komplettes Bild der Dynamik im äußeren Sonnensystem zu geben (unter anderem werden die Resonanzen nicht berücksichtigt, die aber gerade für die gravitativen Störungen enorm wichtig sind). Trotzdem nutzt er sie, um entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Und auch die bieten Raum für Kritik. Whitmires “Planet 9” wäre ungefahr 100 Mal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde und würde einer Bahn folgen, die stark von der Kreisbahn abweicht und deutlich gegenüber der Ebene des Sonnensystems geneigt ist. Der “Planet 9” dessen hypothetische Existenz Anfang des Jahres bekannt gegeben wurde, ist circa 200 bis 300 Mal so weit von der Sonne entfernt wie unsere Erde und bewegt sich auf einer eher kreisförmigen, ebenen Bahn.
Man kann zwar sehr spezielle Annahmen über die Eigenschaften von Whitmires Planet 9 und die Verteilung von Asteroiden im Kuipergürtel treffen, durch die die Diskrepanzen vermieden werden und es auch möglich machen, dass der Himmelskörper trotz seiner Nähe zur Erde bisher nicht entdeckt wurde. Aber eigentlich bringt das nicht viel. Wenn man wirklich genau wissen will, wie sich ein “Planet 9” auf die Kollisionshäufigkeit von Asteroiden mit der Erde auswirkt, muss man das komplette Modell am Computer simulieren. Mit den simplen mathematischen Abschätzungen lassen sich – zumindest meiner Meinung nach – keine allgemeingültigen Aussagen treffen.
Aber ich bin sicher, solche Simulationen werden früher oder später gemacht. Es ist nicht sonderlich schwer; man braucht dazu nur ein vernünftiges Programm (sowas hier zum Beispiel) und ausreichend Prozessorleistung um genug Varianten durchzurechnen. Diese Art von Untersuchung war genau das, was ich während meiner Zeit als aktiver Wissenschaftler jeden Tag gemacht habe – und meine immer noch aktiven Kollegen werden sich sicher schon an die Arbeit gemacht haben (und wenn nicht: Legt gefälligst los!). Es wird sicher nicht mehr lange dauern, bevor wir genauer wissen, ob “Planet 9” als Ursache für vergangene Massensterben in Frage kommen kann oder nicht.
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