Heute Abend spielt bei der Fußball-Europameisterschaft Irland gegen Schweden. Und während es die Fußballer von der grünen Insel (ich glaube, es ist verpflichtend, diese Phrase in jedem Text über Irland zu erwähnen, oder?) beim Sport noch nie über die Vorrunde hinaus geschafft haben, sind die Wissenschaftler schon deutlich weiter. Grund genug, mich in meiner Serie über Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den EM-Teilnehmerländern heute den Iren zu widmen.
Als der Fußballverband der Republik Irland 1921 gegründet wurde, waren die irische Astronomin Annie Maunder und ihr Mann Edward gerade dabei, die Sonne zu beobachten. Das haben sie auch schon vorher getan – und noch viel mehr. Annie Maunder wurde als Annie Russell am 14. April 1858 in Strabane geboren. Sie studierte an der Universität Cambridge und war die beste Mathematikerin ihres Jahrgangs. Einen offiziellen Abschluss hat sie aber von der Universität nicht bekommen; das fand man damals noch übertrieben. Erst 1928 konnte man sich dazu durchringen, die Arbeit von Frauen auf diese Weise anzuerkennen.
Annie Russell arbeitete zwischenzeitlich als Mathematiklehrerin, bevor sie 1891 von der Königlichen Sternwarte in Greenwich engagiert wurde. Nicht als echte Wissenschaftlerin natürlich, immerhin war sie eine Frau. Und selbstverständlich auch nicht gut bezahlt. Von den ihr angebotenen 4 Pfund pro Jahr konnte sie kaum leben. “Does the fact that I have taken the mathematical tripos at Cambridge makes no difference?” schrieb sie an den Direktor der Sternwarte. Nö, dürfte der geantwortet haben: Nimm den Job oder lass es bleiben!
Annie Russell nahm den Job an und wurde als “Lady Computer”, also als Gehilfin für mathematische Berechnungen und sonstige Jobs in die Abteilung für Sonnenphysik beordert. Der damalige Chef dort war Edward Maunder, ein Pionier was die fotografische Beobachtung der Sonne anging. Annie Russell half bei den Auswertungen der Photoplatten, bei den nächtlichen Beobachtungen (da stand da vermutlich nicht die Sonne am Forschungsplan) und offensichtlich verstand sie sich mit Edward Maunder nicht nur beruflich sondern auch privat sehr gut. 1895 heirateten die beiden und Annie (jetzt Maunder) wurde sofort gekündigt. Verheiratete Frauen durften nicht im öffentlichen Dienst arbeiten und Annie Maunder musste sich mit einem Job als unbezahlte Assistentin ihres Mannes zufrieden geben.
Die Sonne blieb weiterhin das Hauptforschungsgebiet des Ehepaars Maunders. Sie beobachteten Sonnenfinsternisse überall auf der Welt – aber vor allem Sonnenflecken. Diese dunklen Bereiche auf der Oberfläche der Sonne stellen Zonen dar, in denen es ein wenig kühler ist da starke Magnetfelder das heiße Material aus dem Sonneninneren zurück halten. Die Zahl der Sonnenflecken hängt vom Status der Sonnenaktivität ab; also dem Ausmaß der Störungen im Magnetfeld unseres Sterns (ich habe zum Beispiel hier mehr darüber geschrieben). Dass sich diese Aktivität periodisch verändert, war damals schon bekannt. Aber es blieb noch viel Raum für Forschung und vor allem für interessante neue Daten.
Zum Beispiel das sogenannte “Schmetterlingsdiagramm”. 1904 veröffentlichte Edward Maunder (seine Frau durfte nicht immer als Autorin mit aufscheinen) eine wissenschaftliche Arbeit (“Note on the distribution of sun-spots in heliographic latitude, 1874-1902”) in der er nicht nur die Veränderung in der Anzahl der Sonnenflecken im Laufe der Zeit untersucht hatte, sondern auch die Veränderungen ihrer Position auf der Sonnenoberfläche. Dabei zeigte sich, dass die Flecken nicht nur während 11 Jahre mehr und dann wieder weniger werden, sondern auch noch vom Pol der Sonne in Richtung Äquator wandern. Zeichnet man das ganze entsprechend auf, erinnert das Bild an eine Reihe von Schmetterlingen, wie dieses von Annie Maunder gezeichnete Diagramm zeigt:
Die x-Achse gibt die Zeit an, die y-Achse die Position der beobachteten Flecken auf der Sonne. Maunders Resultate haben sich im Laufe der Zeit immer wieder bestätigt; den ersten Schmetterlingen sind noch viele weitere gefolgt, wie diese moderne Version des Diagramms zeigt:
Warum das allerdings so ist, ist bis heute noch nicht restlos verstanden. Man weiß zwar, dass unterirdische Plasmaflüsse in der Sonne eine Rolle spielen – aber es ist nicht einfach, ins Innere unseres Sterns zu schauen.
Der Name “Maunder” ist heute noch am ehesten im Zusammenhang mit dem Maunderminimum bekannt. Auch dieser Begriff geht auf die Arbeit von Annie und Edward zurück. Bei ihrer (auch historischen) Untersuchung der Sonnenflecken fanden sie einen Zeitraum zwischen 1645 und 1715, in dem extrem wenig bis gar keine Sonnenaktivität stattgefunden hat. Diese Phase wurde in den 1970er Jahren “Maunderminimum” genannt, um die Leistung der beiden Astronomen zu würdigen. Auch hier gilt wieder: Was genau der Grund für diese lange Phase der magnetischen Inaktivität (mittlerweile kennen wir auch andere länger dauernde Minima in der Sonnenaktivität) in der Sonne war, ist noch offen. Dass es etwas mit den Plasmaflüssen in ihrem Inneren zu tun hat, ist naheliegend – aber die Details zu verstehen ist äußerst knifflig.
Das gilt übrigens auch für den Zusammenhang mit der “Kleinen Eiszeit”, also dem Zeitraum zwischen (circa) dem 16. und dem 18. Jahrhundert als es auf der Welt vergleichsweise kühl war. Oft wird ja behauptet, Maunderminimum und Eiszeit wären ursächlich miteinander verbunden. Die niedrige Sonnenaktivität wäre der Grund für das Absinken der Temperaturen. Aber abgesehen davon, dass die kleine Eiszeit schon lange vor dem Maunderminimum begann und noch lange nach dessen Ende andauerte, gibt es bis heute keine belastbaren Hinweise, dass die Aktivität der Sonne tatsächlich einen Einfluss auf das Klima der Erde hat (siehe zum Beispiel hier).
Annie Maunder hat neben ihrer Arbeit über die Sonne noch einen ganzen Schwung anderer interessanter Dinge getan. Zum Beispiel ein populärwissenschaftliches Buch mit dem Titel “The heavens and their story” geschrieben. Oder sich wissenschaftshistorisch auf die Suche nach dem Ursprung der Sternbilder und der Herkunft der Planetensymbole begeben (Edward war ebenfalls nicht untätig: Er schrieb ein Buch mit dem Titel “Are the planets inhabited?” in dem er über Leben auf anderen Himmelskörpern spekuliert und das ganze auf eine wunderbar-wirre Art mit seinem christlichen Glauben verbindet). Sehr schön sind auch die Reisetipps für die Sonnenfinsternisbeobachtung in Indien (immer auf die Skorpione aufpassen!)
1916 wurde Annie Maunder als eine der ersten Frauen Mitglied in der Royal Astronomical Society. Sie starb 1947 in London. Eine ausführliche Biografie über sie ist mir leider nicht bekannt. Aber ein paar Informationen findet man zumindest in diesem Artikel des Irish Astronomical Journal. Was ebenfalls nicht zu geben scheint, sind Bilder von Annie Maunder unter einer freien Lizenz. Aber wenigstens hat die National Portrait Gallery ein Bild zum Ansehen. Hey Pannini! Lasst doch mal die ganzen Fußballer sein und macht ein Sammelalbum mit Klebebildchen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Würd ich sofort kaufen!
P.S. Hinweise und Vorschläge für andere interessante Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den EM-Ländern nehme ich gerne in den Kommentaren entgegen!
Kommentare (16)