Am Sonntagmorgen, kurz vor halb vier Uhr am 28. August 2016 ist die Erde knapp einer Katastrophe entgangen. Behaupten zumindest jede Menge sehr aufgeregte Berichte in Zeitungen und vor allem den sozialen Medien. Ein Asteroid hätte uns fast und ohne Vorwarnung erwischt. Wäre er eingeschlagen, hätten wir es erst bemerkt, wenn es schon zu spät gewesen sei.
Klingt alles sehr dramatisch. War es denn auch dramatisch? Ja und Nein. Was tatsächlich passiert ist, war folgendes: Der Asteroid 2016 QA2 hat die Erde in einem Abstand von 84.000 Kilometern passiert. Der Felsbrocken aus dem All ist ungefähr 35 Meter groß und man hatte ihn erst wenige Stunden entdeckt, bevor er seinen geringsten Abstand zur Erde erreichte. Wäre er mit der Erde kollidiert, hätte es so gut wie keine Vorwarnzeit gegeben. Aber er ist eben nicht mit der Erde kollidiert.
Das ist ein wichtiger Punkt! In solchen Fällen greifen die Medien (aber leider nicht nur die) immer sehr gerne in die Floskelkiste und erzählen, dass ein paar zehntausend Kilometer aus kosmischer Sicht ja quasi gar nichts sind; dass es sich um einen “Streifschuss” handelt, und so weiter. Und tatsächlich sind 84.000 Kilometer im Vergleich mit typisch astronomischen Größen und Distanzen nicht viel. Das ist nur sieben mal so groß wie der Durchmesser der Erde. Das ist nur ein bisschen weniger als ein Viertel der Distanz zwischen Erde und Mond. Aus Sicht des Universums ist der Asteroid also am Sonntag tatsächlich sehr knapp an der Erde vorbei geflogen. Aber: Wenn wir daran interessiert sind, ob das Ganze für uns Menschen gefährlich ist, dann müssen wir das die Sache aus menschlicher Sicht betrachten und nicht aus Sicht des Universum. Mag ja sein, dass für den Kosmos 84.000 Kilometer enorm winzig sind. Für uns Menschen ist es aber eine enorm große Distanz! Und darauf kommt es an: Gefährlich wird es nämlich erst dann, wenn ein Asteroid tatsächlich mit uns zusammen stößt und nicht, wenn er nur vorbei fliegt; egal wie knapp.
“Fast” von einem Asteroid getroffen zu werden ist genau so wenig Grund zur Panik wie “fast” im Lotto gewonnen zu haben Grund für ausschweifende Feiern und Freude ist. Aber natürlich steckt noch mehr hinter der ganzen Geschichte. Dieser Asteroid ist vorbei geflogen – aber was passiert mit dem Nächsten? Zeigt uns die Nicht-Kollision von 2016 QA2 nicht deutlich, wie gefährlich das Universum ist?
Ja, natürlich! Nur dass das keine große Neuigkeit ist. Das Sonnensystem ist voll mit großen und kleinen Felsbrocken die sich durch die Gegend bewegen. Die Erde bewegt sich mittendrin und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Wege unseres Planeten und die eines der Felsbrocken kreuzen. So etwas passiert ständig. Wenn wir uns – so wie vor ein paar Wochen – darüber freuen, dass es Sternschnuppen am nächtlichen Himmel zu sehen gibt, dann freuen wir uns genau genommen darauf, dass kleine Asteroiden mit der Erde kollidieren. Denn genau das geschieht ja, wenn wir eine Sternschnuppe sehen. Sternschnuppen kann man in jeder klaren Nacht am Himmel sehen. Immer wieder gibt es auch größere und heller leuchtende Meteore zu sehen die nicht von staubkorngroßen Objekten verursacht werden, sondern von Zentimeter oder Meter-großen Felsbrocken. Manchmal kommen uns auch noch größere, ein paar Dutzend Meter durchmessende Asteroiden in die Quere, so wie vor drei Jahren in Russland. Auch 2016 QA2 hätte zu dieser Klasse gehört, wenn er kollidiert wäre. Auch noch größere Zusammenstöße finden statt, wie die vielen Krater auf der Oberfläche der Erde zeigen.
Asteroiden kollidieren mit der Erde. Das haben sie in der Vergangenheit getan; sie tun es in der Gegenwart und sie werden es auch in Zukunft tun. Das wissen wir schon lange und der Vorbeiflug von 2016 QA2 hat daran nichts geändert. Das Sonnensystem ist nicht plötzlich gefährlicher geworden, nur weil ein Asteroid uns nicht getroffen haben (auch wenn die Boulevardmedien genau diesen Eindruck erwecken wollen). Es ist auch nicht so ungewöhnlich, dass solche nahen Vorbeiflüge stattfinden. Das ist ja auch logisch: Die Wahrscheinlichkeit, dass wir nicht von einem Asteroid getroffen werden ist größer als die Wahrscheinlichkeit einer Kollision. Wir sollten also viel mehr Vorbeiflüge beobachten als echte Kollisionen. Und das ist auch der Fall. 2013 flog der Asteroid 2012 DA14 in etwa 30.000 Kilometer vorbei. 2014 waren es ebenfalls bei 2014 RC knapp 40.000 Kilometer. Gestern Nacht hat uns der Asteroid 2016 QB11 in nur der dreifachen Monddistanz passiert.
Anlässlich des Vorbeiflugs von 2012 DA14 habe ich das alles schon einmal sehr genau dargestellt. Und aufgelistet, welche anderen Asteroiden der Erde in der Vergangenheit näher gekommen sind als 40.000 Kilometer und in Zukunft nahe kommen werden:
2016 QA2 tauchte in dieser Liste nicht auf. Natürlich nicht, denn wenn wir nichts von der Existenz des Asteroiden wissen, können wir auch nicht vorhersagen, dass er uns nahe kommen wird. Aber warum wissen wir nichts? “Wieso haben die Astronomen das nicht vorhergesehen?” lautet die empörte Frage, die man jetzt überall hört und die man auch schon 2013 angesichts der Explosion des Asteroiden über dem russischen Tscheljabinsk hören konnte. Tja, warum nicht? Weil wir Astronomen zu dumm dafür sind? Nicht aufmerksam genug sind? Schlampig waren? Nein – natürlich nicht. Sondern weil es sich um einen kleinen Asteroid handelt und der Himmel sehr groß ist. Es gibt genug Astronomen die sich sehr intensiv für Asteroiden interessieren (ich gehöre da definitiv dazu) und die auch kein Problem hätten, überall und immer den Himmel mit Teleskopen abzusuchen um möglichst viele der Felsbrocken zu entdecken. Asteroiden sind enorm interessant, auch abseits der Frage ob sie mit uns zusammenstoßen oder nicht und es lohnt sich daher, nach ihnen zu suchen.
Allerdings kostet die Suche nach Asteroiden Geld. Man muss Astronomen bezahlen die das tun und ihnen die nötigen Sternwarten und Teleskopen zur Verfügung stellen. Im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Projekten sind die Kosten hier gering; man braucht keine riesigen neuen Anlagen, keine Superteleskope oder ähnliches. Aber man müsste eben dauerhaft das Geld für eine internationale Kooperation zur Verfügung stellen, damit man wirklich gründlich und in Ruhe nach Asteroiden suchen kann. Dieses Geld wird allerdings nicht zur Verfügung gestellt bzw. nicht in dem Ausmaß in dem es nötig wäre, um auch kleine Objekte wie 2016 QA2 einigermaßen lückenlos zu katalogisieren und ihre Bahnen zu berechnen.
Bei den großen Objekten, also denen die so groß sind, dass sie wirklich eine große und globale Katastrophe auslösen könnten (alles, was größer als ca. 1 Kilometer ist), ist unser Wissen schon ziemlich komplett. Hier ist die Chance gering, dass wir komplett überrascht werden (und die Chance dass so ein Ding mit der Erde kollidiert ist an sich schon sehr gering). Bei den kleineren Felsbrocken ist das, wie ich vorhin beschrieben habe, nicht so. Hier besteht allerdings auch ein geringeres Katastrophenpotential. Die Folgen des Einschlags eines Asteroiden mit 30-50 Meter Durchmesser sind lokal und betreffen nur die Region in der er stattgefunden hat. Und da der Großteil der Erdoberfläche nicht besiedelt ist, passiert den Menschen dabei höchstwahrscheinlich auch nichts. Aber es kann eben auch vorkommen, dass so ein kleiner Asteroid eine besiedelte Gegend trifft. Dann wird es – wie damals in Russland – sicherlich Sachschäden geben und unter Umständen auch Verletzte oder Tote.
So wie das eben leider bei Naturkatastrophen passiert. Und Asteroideneinschläge sind ganz “normale” Naturkatastrophen, wie Erdbeben, Überschwemmungen oder Vulkanausbrüche. Sie können stattfinden und schlimme Folgen haben. Aber wir könnten uns darauf vorbereiten und etwas dagegen tun. Wenn wir wollten. Es kostet nur ein wenig Geld. Und das ist das Problem… Dass Problem sind nicht die Asteroiden, die knapp an der Erde vorbei fliegen oder mit uns zusammenstoßen. Das haben sie schon immer getan. Das Problem ist die Tatsache, dass wir etwas dagegen tun könnten, aber nicht tun.
Kommentare (86)