Wo kommt der Mond her? Der Mond ist neben der Sonne der am einfachsten sichtbare Himmelskörper und dementsprechend haben sich die Menschen schon von Anfang an Gedanken über seine Herkunft gemacht. Früher waren das mythische und religiöse Geschichten, heute beschäftigt sich die Wissenschaft mit diesem Thema. Ein Thema, dass immer noch viele Fragen aufwirft. Denn der Mond ist, verglichen mit der Erde, nicht nur enorm und eigentlich zu groß sondern auch der Erde enorm ähnlich was seine chemische Zusammensetzung angeht. Diese beiden Fakten sind nicht einfach zu erklären. Es kann sich zum Beispiel nicht einfach um einen eingefangen anderen Himmelskörper handeln. Das wäre extrem unwahrscheinlich bei einem so großen Objekt wie dem Mond. Ebenso unwahrscheinlich wäre es, dass ein anderswo entstandener Himmelskörper die gleiche Zusammensetzung wie unsere Erde hat.
Viel wahrscheinlicher ist es, dass der Mond bei einer Kollision entstand. Die junge Erde muss mit einem anderen recht großen Objekt kollidiert sein. Bei diesem Zusammenstoß wurde enorm viel Material aus der Erde ins All hinaus geschleudert aus dem der Mond entstand. Ich habe früher schon ausführlich über diese Theorie berichtet, der sich die große Mehrheit der Wissenschaftler anschließt. Die Details sind aber immer noch Teil der aktuellen Forschung (siehe zum Beispiel hier, hier, hier, hier oder hier).
Zum Beispiel: Wie genau hat die Kollision stattgefunden? Je nachdem ob es sich um einen “Streifschuss” oder “Volltreffer” gehandelt hat, wurde mehr oder weniger Material von der Erde ins All geschleudert und hat mehr oder weniger Material des Einschlagkörpers seinen Weg in den Mond gefunden. Die Art der Kollision bestimmt auch, wie schnell sich Erde und Mond drehen; wie groß der Mond werden kann, und so weiter. Nur wenn alle Parameter genau passen, kann die Einschlagshypothese die Entstehung des Mondes erklären.
Israelische Wissenschaftler unter der Leitung von Raluca Rufu haben nun eine weitere Variante ins Spiel gebracht: Nicht eine einzige Kollision mit einem großen Himmelskörper hat den Mond erzeugt sondern eine Serie von kleineren Einschlägen (“A multiple-impact origin for the Moon”, Volltext pdf). Das Modell ist simpel. Im klassischen Modell der Mondentstehung soll eine einzige Kollision zwischen der jungen Erde und einem marsgroßen Objekt vor knapp 4,5 Milliarden Jahren den Mond erzeugt haben. Rufu und ihre Kollegen gehen von einer ganzen Serie an Kollisionen aus. Die Erde soll dabei mit etwa 20 Himmelskörpern kollidiert sein, die deutlich kleiner waren. So groß wie die großen Asteroiden/Zwergplaneten bis hin zu ungefähr der doppelten Masse des Merkurs. Bei jeder Kollision wurde Material von der Erde ins All geschleudert und hat dort eine Scheibe gebildet. Aus dem Material dieser Scheibe entstand im Lauf von ein paar hundert Jahren ein “Minimond”. Aufgrund der Gezeiten entfernt sich dieser Minimond von der Erde und alles geht seinen himmelsmechanischen Gang – bis ein paar Millionen Jahre später erneut ein kleinerer Himmelskörper mit der Erde kollidiert. Das Spiel geht von vorne los: Aus einer neuen Trümmerscheibe entsteht ein neuer Minimond der sich nun ebenfalls von der Erde entfernt. Früher oder später trifft er auf den ersten Minimond und beide kollidieren. Je nach Art der Kollision zerstören sie sich gegenseitig oder verschmelzen zu einem größeren Mond. Im Laufe einiger Millionen Jahren soll sich so aus einer Serie von Einschlägen der heutige Mond der Erde gebildet haben. Das Material der Minimonde und damit unseres Mondes besteht dabei hauptsächlich aus Material der Erde und so erklärt sich geochemische Ähnlichkeit die wir heute beobachten.
Ist das nun also das neuen Bild das wir uns von der Entstehung des Mondes machen müssen? Nicht unbedingt. Die Idee, dass der Mond nicht bei einer einzigen Kollision sondern aus einer Impaktserie entstanden ist, ist nicht neu. Darauf kamen die Wissenschaftler auch früher schon. Früher konnte man all diese Prozesse – Kollision, Trümmerscheibe, Mininmondbildung, Minimondkollision – aber am Computer nicht vernünftig simulieren und damit auch nicht vernünftig verstehen. Das gelang jetzt erst Rufu und ihren Kollegen und sie haben nachgewiesen, dass dieses Szenario zumindest prinzipiell in der Lage ist, die Entstehung unseres Mondes zu erklären.
Rufu und ihre Kollegen weisen in ihrer Arbeit darauf hin, dass bei ihren Simulationen in circa 50 Prozent der Fälle aus den kleinen Kollision am Ende ein großer Mond entstand während beim klassischen Modell nur 1 bis 2 Prozent der Kollisionen zur Entstehung des Mondes führen. Es sieht also so aus, als wäre das Szenario der Minimonde wahrscheinlicher als das des einzigen Rieseneinschlags. Allerdings darf man dabei nicht vergessen, dass es in beiden Fällen sehr stark auf die Parameter ankommt, die man in die Simulation steckt. Beim klassischen Modell ist das zum Beispiel der schon erwähnte Einschlagswinkel; beim neuen Modell gibt es aber ebenfalls jede Menge Schrauben an denen die Wissenschaftler drehen können. Rufu und ihre Kollegen gingen zum Beispiel davon aus, dass sich das Material der Trümmerscheibe immer komplett zu einem Minimond zusammenballt – was nicht unbedingt selbstverständlich ist. Auch die Art und Weise der Kollisionen zwischen den Minimonden hängt stark von den Parametern ab. Wie schnell und wie weit sich die Minimonde von der Erde entfernen hängt von deren Masse ab und damit auch die Art und Weise, wie sie miteinander zusammenstoßen können. Und je nachdem wie das passiert, zerstören sich die Minimonde selbst wieder oder verschmelzen zu einem größeren Mond. Ein Minimond könnte theoretisch auch wieder mit der Erde kollidieren oder ganz hinaus ins All geschleudert werden.
Rufu und ihre Kollegen schreiben am Ende ihres Artikels, dass noch viel mehr und viel umfangreichere Computersimulationen nötig sein werden um herausfinden zu können, wie plausibel ihr Szenario wirklich ist. Da stimme ich zu: Die Geschichte von den vielen Minimonden ist spannend, aber zumindest für mich nicht prinzipiell überzeugender als die ursprüngliche Kollisionshypothese. Da wie dort gibt es noch viele freie Parameter die alle genau stimmen müssen, damit am Ende unser Mond entstehen kann. Und da wie dort gibt es noch viel, was wir nicht wissen. Es ist zum Beispiel durchaus möglich, dass der marsgroße Himmelskörper mit dem die Erde laut dem klassischen Modell kollidiert ist, tatsächlich aus annähernd dem gleichen Material wie unsere Erde bestand (weil passende Objekte nicht an beliebigen Orten im Sonnensystem entstanden sein können).
Der Mond wird uns auf jeden Fall weiter beschäftigen. Und bis auf weiteres ist er auch der einzige Himmelskörper bei dem wir eine echte Chance haben, seine Vergangenheit konkret zu verstehen. Denn unser Nachbar ist weiterhin der einzige Himmelskörper, den wir Menschen tatsächlich betreten und vor Ort erforscht haben; der einzige Himmelskörper von dem relevante Mengen an Gesteinsproben in den Labors der Erde existieren. Früher oder später werden wir rauskriegen, wie der Mond entstanden ist!
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