Im Weltall ist es still. Dort gibt es keine Geräusche und schon gar keine Musik. Trotzdem waren die Menschen lange Zeit davon überzeigt, dass Sterne und Planeten eine “Sphärenmusik” erzeugen und man daraus jede Menge über die Struktur und den Aufbau des Kosmos lernen kann. Was es damit auf sich hat erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
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Transkription
Sternengeschichten Folge 226: Die Sphärenmusik
“Die Sonne tönt nach alter Weise
in Brudersphären Wettgesang,
und ihre vorgeschriebne Reise
vollendet sie mit Donnergang.”
Das schreibt Goethe im Prolog zu seinem Werk “Faust”. Aber eigentlich hätte Goethe auch damals, zu Beginn des 19. Jahrhunderts schon wissen können, dass die Sonnen definitiv nicht “tönt”. Im Weltall herrscht Vakkuum und da gibt es nichts, das Schallwellen übertragen könnte. Es gibt keine Geräusche, keine Töne die die Sterne und Planeten verursachen und auch keinen “Donnergang”.
Das, worauf Goethe sich da bezieht nennt sich “Sphärenmusik” oder “Sphärenharmonie” und taucht heute entweder in der Kunst auf oder aber in den wirren Theorien diverser Esoteriker. Früher war die Vorstellung von Tönen die von den Himmelskörpern verursacht werden aber noch eine annähernd wissenschaftliche Hypothese. Zumindest in dem Rahmen, in dem man früher überhaupt von “Wissenschaft” sprechen konnte.
Die ganze Geschichte geht zurück auf Pythagoras. Denn kennt man heute hauptsächlich von seinem berühmten Satz – a² plus b² gleich c² – der aber schon lange vor ihm bekannt war, zum Beispiel den Babyloniern. Pythagoras, der im sechsten Jahrhundert vor Christus lebte, hatte aber noch jede Menge mehr Ideen. Zum Beispiel die der Sphären. In der griechischen Antike stellte man sich vor, dass die Erde im Zentrum des Universums lag. Um sie herum lagen, wie die Schalen einer Zwiebel, jede Menge riesige hohle Kugeln. Sie sollten aus einem durchsichtigen Kristall bestehen und an ihnen wären die Sterne und Planeten quasi angeheftet. Wenn wir dann von der Erde aus sehen, wie die Planeten sich am Himmel bewegen und sich die Sterne um die Erde drehen, dann sehen wir nicht die Bewegung dieser Himmelskörper selbst sondern vielmehr die Drehung der Kristallsphären.
Manche Gelehrte betrachteten diese Sphären nur als gedankliches Konstrukt um die Bewegung der Planeten besser beschreiben und verstehen zu können. Andere – wie zum Beispiel der berühmte Aristoteles – hielten sie für real. Pythagoras und die von ihm gegründete wissenschaftliche Schule der Pythagoreer nutzen diese Idee der realen Kristallsphären dann auch, um die Existenz einer “Sphärenmusik” abzuleiten.
Auf der Erde verursacht alles, was sich bewegt, irgendeine Art von Geräusch. Wenn sich da nun am Himmel riesige Kristallsphären drehen, dann müssten die auch ein Geräusch verursachen – das war die Idee. Jeder Planet hätte dann seinen eigenen Ton, dessen Tonhöhe von der Geschwindigkeitg seiner Bewegung und dem Abstand zur Erde abhängt. Die Musik war für die Pythagoreer besonders wichtig. Pythagoras soll ja angeblich das “Monochord” erfunden haben, also ein Saiteninstrument mit nur einer Saite deren Länge verstellt werden konnte. Damit untersuchte er die Zusammenhänge zwischen Tönen, die von den Schwingungen verschieden langer Saiten erzeugt werden; analysierte Harmonien und erforschte, welche Seitenlängen harmonisch zusammenklingen und welche nicht und wie das alles mit den Eigenschaften der Zahlen zusammenhängt.
Das Monochord konnte man tatsächlich bauen und die erzeugten Töne auch hören. Von den Planetentönen war allerdings nichts zu hören. Kein Problem, meinten die Pythagoreer: Wir können nur dann etwas wahrnehmen, wenn auch die Abwesenheit des Wahrgenommenen wahrnehmbar wäre. Oder anders gesagt: Weil die Planetentöne immer da sind und wir sie niemals NICHT hören können, bemerken wir die Sphärenmusik gar nicht.
Als astronomische Theorie klingt die Sache mit der Sphärenmusik ein wenig seltsam. Aus der damaligen Sicht war es aber keine ganz so absurde Idee. Pythagoras hatte ja schon gezeigt, dass Mathematik und Musik intensiv miteinander zusammenhängen. Man kann zum Beispiel nicht einfach irgendwelche Töne nehmen und erwarten, dass sie zusammen harmonisch klingen. Das passiert nur bei ganz bestimmten Tönen. Welche Töne das sind hängt von der Länge der Saite ab, durch die sie erzeugt werden. Und nur wenn die Längen der Saiten in ganz bestimmten ganzzahligen Verhältnissen zueinander stehen, klingen auch die Töne zusammen harmonisch. Wenn man dann noch – wie die meisten Gelehrten damals – davon ausgeht, dass die Planeten und Sterne teil der himmlischen, göttlichen und damit perfekten Welt sind, kann auch die Sphärenmusik nichts anderes als harmonisch sein. Die von den Planeten erzeugten Töne können nicht einfach irgendwie klingen; sie müssen auf die richtige Weise und vor allem auf eine harmonische Weise zusammen klingen und das bedeutet, dass auch die Abstände und die Geschwindigkeiten der Planeten nicht beliebig sein können.
Die Sphärenmusik bot also eine theoretische Grundlage um den Aufbau des Universums zu verstehen. Deswegen beschäftigten sich auch nach Pythagoras immer wieder Gelehrte mit diesem Konzept. Der römische Philosoph Cicero ging zum Beispiel im ersten Jahrhundert vor Christus davon aus, dass der Mond den tiefsten Ton erzeugen müsste, weil er sich am schnellsten bewegt und die Kristallsphäre der Fixsterne den höchsten Ton. Später drehte der Römer Nikomachos von Gerasa die Sache dann um: der Mond als der Erde am nächsten gelegene Himmelskörper müsse den höchsten Ton erzeugen, dann kämen mit absteigender Tonhöhe Venus, Merkur, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn.
Von den religiösen Aspekten konnte sich die Hypothese der Sphärenmusik natürlich auch nie so ganz lösen. Im fünften Jahrhundert meinte zum Beispiel der griechische Philosoph Simplikios, dass man die Töne deswegen nicht hören könne, weil wir als Menschen quasi “verunreinigt” seien. Unser eigentlich himmlischer Körper sei durch den Aufenthalt auf der Erde beeinträchtigt weswegen wir die himmlischen Töne nicht hören können. Und nur dann, wenn wir es schaffen, uns irgendwie spirituell und durch die richtige Lebensführung zu reinigen, dann können wir auch die Sphärenmusik wahrnehmen.
Im europäischen Mittelalter orientierten sich die Gelehrten sehr stark an der Arbeit des Aristoteles. Der war zwar von der Existenz der Kristallsphären überzeugt; hielt die Sache mit der Sphärenmusik aber für Unsinn. Deswegen verloren die himmlischen Töne auch ein wenig an Aufmerksamkeit. 1577 zeigte der dänische Astronom Tycho Brahe – den ich in Folge 167 der Sternengeschichten schon ausführlich vorgestellt habe – dann, dass es die Planetensphären gar nicht geben kann. Er war der erste dem der Nachweis gelang, dass Kometen tatsächlich Objekte sind, die sich im fernen Weltraum bewegen und es sich nicht um Leuchterscheinungen in der Erdatmosphäre handelt, wie man bis dahin meist dachte. Der Komet, den er 1577 beobachtete bewegte sich so, dass er die Kristallsphären auf seiner Bahn durchbrechen musste – davon war aber nichts zu bemerken.
Die Kristallsphären waren also widerlegt; Tycho Brahes Schüler Johannes Kepler belebte die Idee der Sphärenmusik dann aber – zumindest kurzfristig – wieder. Ihm war klar, dass die Planeten nicht tatsächlich Musik erzeugen. Aber er war überzeugt, dass ihre Bewegung durch Zahlenverhältnisse bestimmt ist, die man auch bei musikalischer Harmonie finden kann. Und er war überzeugt, dass man den wahren “Klang” des Himmels nur dann bestimmen könne, wenn man von einem heliozentrischen Weltbild ausgeht in dem die Sonne im Zentrum steht. Sein 1619 erschienenes Buch trägt dann auch den Titel “Harmonice mundi”, die “Weltharmonik”. Nachdem er 1609 schon mit seiner “Astronomia Nova” zeigen konnte, dass sich die Planeten auf elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen, fand er nun auch ein mathematisches Gesetz dass die Bewegungsgeschwindigkeit mit dem Abstand zur Sonne in Verbindung bringt. Dieses “dritte Keplersche Gesetz” wird von den Astronomen heute noch verwendet (es ist im wesentlichen nur eine andere Formulierung von Newtons Gravitationsgesetz); mit der Weltharmonik hatte Kepler weniger Erfolg.
Heute wissen wir, dass es keine “Sphärenmusik” gibt. Natürlich gibt es Zusammenhänge zwischen der Musik und der Bewegung der Himmelskörper. Dabei handelt es sich aber nicht um ursächliche Zusammenhänge sondern einfach nur um die Tatsache, dass beide Disziplinen eine mathematische Grundlage haben. Stehen zum Beispiel die Umlaufzeiten zweier Himmelskörper in einem ganzzahligen Verhältnis, dann kann so eine “Resonanz” durchaus interessante Auswirkungen auf die Stabilität der Bewegung haben. Gravitative Störungen können sich dann zum Beispiel aufschaukeln und dazu führen, dass einer der beiden Himmelskörper aus dem Sonnensystem geworfen wird. Andere resonante Bewegungszustände sind dagegen besonders stabil. Genau so wie eben auch in der Musik bestimmte Verhältnisse von Tonhöhen harmonisch klingen und andere nicht.
Eine tiefere Ordnung gibt es im Sonnensystem allerdings nicht. Ich habe in Folge 86 der Sternengeschichten schon von der erfolglosen Suche nach so einer Ordnung erzählt. Heute wissen wir, dass die Bewegung von Himmelskörpern im Prinzip chaotisch ist; zumindest aber nicht in simple mathematische Gleichungen die für alle Zeiten gültig sind gefasst werden kann. Selbst wenn die Planeten Musik machen würden (was sie nicht tun) und selbst wenn wir diese Musik durch das Vakuum des Alls hören könnten (was wir nicht können) würde diese Sphärenmusik vermutlich ziemlich konfus und alles andere als harmonisch klingen…
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