Asteroiden sind großartig! Ich hab schon in vielen Artikeln erklärt, warum sie die spannendsten und interessantesten Himmelskörper sind und was man von ihnen alles lernen kann. Asteroiden sind zwar klein, aber dafür sind sie überall. Überall im Sonnensystem. Und eigentlich sollten sie auch überall sonst sein. Es sollte sie nicht nur in den Asteroidengürteln geben, die viele Sterne umgeben. Sondern auch zwischen den Sternen. Dort, im interstellaren Raum, sind sie naturgemäß schwer zu finden. Aber es kann doch sein, dass ab und zu mal ein interstellarer Asteroid von unserem Sonnensystem eingefangen wird?
Ob das wirklich sein kann, wie oft so etwas passiert und ob wir davon etwas mitbekommen können haben Toni Engelhardt von der TU München und seine internationalen Kollegen untersucht (“An Observational Upper Limit on the Interstellar Number Density of Asteroids and Comets”. Ganz am Anfang steht natürlich die Frage, warum sich Asteroiden überhaupt im interstellaren Raum herumtreiben sollten. Nun, wenn sich Planetensysteme anderswo so bilden wie wir das von unserem Sonnensystem kennen, dann kann es eigentlich nicht anders sein. Asteroiden sind der Anfang von allem: Aus der ursprünglichen Gas- und Staubwolke die einen jungen Stern umgibt, bilden sich zuerst unzählige kleine und größere Brocken aus Eis, Metall und Gestein. Aus diesen Brocken entstehen die Planeten – aber es bleibt immer ein bisschen was übrig. Diesen “Bauschutt” nennen wir heute “Asteroiden” oder “Kometen” (und der Einfachheit halber werde ich ab jetzt nur noch von “Asteroiden” schreiben aber immer beide Objektklassen meinen) – aber nicht alles davon bleibt dort, wo es ursprünglich war. Die gravitativen Wechselwirkungen in der wilden Entstehungszeit eines Planetensystems sorgen dafür, das jede Menge Zeug aus dem Planetensystem geschleudert wird. Wir wissen, dass das immer wieder mit ganzen Planeten passiert und es gibt keinen Grund, warum das mit den Asteroiden nicht auch passieren sollte.
Und das ist auch schon der Grund, warum die Untersuchung interstellarer Asteroiden so interessant ist. Je nachdem was wir da finden (oder nicht finden): Am Ende verstehen wir wesentlich besser, wie nicht nur unser eigenes Planetensystem entstanden ist, sondern auch wie dieser Prozess bei anderen Sternen abläuft. Nur: Wie findet man interstellare Asteroiden? Die kurze Antwort lautet: Schwer! Solange sie sich zwischen den Sternen aufhalten, sind sie im Wesentlichen unmöglich zu entdecken. Sie leuchten nicht selbst und sind zu klein, um nennenswerte Mengen an Sternenlicht zu reflektieren, das dort draußen sowieso kaum vorhanden ist. Aber wir haben eine Chance, wenn sie unserem Sonnensystem einen Besuch abstatten. Das kann passieren – und wenn das passiert, dann könnte man die interstellaren Asteroiden an ihren Umlaufbahnen erkennen. Die wären dann keine Ellipsen, wie bei den Asteroiden aus unserem Sonnensystem sondern hyperbolische Bahnen. Auch die Neigung ihrer Umlaufbahn könnte ein Hinweis sein: Interstellare Asteroiden können aus allen möglichen Richtungen kommen während sich die Asteroiden des Sonnensystems alle in mehr oder weniger der gleichen Ebene bewegen (obwohl die gravitative Wechselwirkung mit den Planeten auch hier für sehr stark geneigte Bahnen sorgen kann). Sollte der Asteroid tatsächlich von der Gravitationskraft der Sonne “eingefangen” werden, dann hat er danach natürlich eine elliptische Umlaufbahn (vermutlich mit sehr stark ausgeprägter Exzentrizität).
Es ist also nicht einfach, interstellare Asteroiden zu identifizieren. Bis jetzt gibt es noch keinen einwandfreien Nachweis – obwohl man vermutet, dass der 1986 entdeckte Komet 96P/Machholz 1 aus dem interstellaren Raum stammen könnte. Seine Exzentrizität ist hoch, seine Bahnneigung ebenfalls und seine chemische Zusammensetzung weicht von der für das Sonnensystem üblichen Zusammensetzung ab.
Engelhardt und seine Kollegen sind das Problem theoretisch angegangen. In einer Computersimulationen haben sie eine plausible Population von interstellaren Asteroiden an den Rand des Sonnensystems gesetzt und dann nachgesehen, wie sich deren Umlaufbahnen im Laufe der Zeit verändern. Einige blieben immer weit draußen und kamen uns nie nahe; ein paar flogen irgendwo hin; ein paar kamen aber auch ins innere Sonnensystem. Am Ende hatten sie eine Verteilung von Umlaufbahnen die interstellare Asteroiden möglicherweise einnehmen können. Das ganze hilft uns aber alles nichts, wenn wir die Dinger nicht auch entdecken. Also haben sie in einem zweiten Schritt simuliert, was die großen Durchmusterungsprogramme der Astronomen in den letzten Jahren entdeckt haben könnten. Der Himmel wird ja immer wieder aus den verschiedensten Gründen mit verschiedenen Instrumenten abgesucht und bei solchen Programmen findet man immer auch jede Menge Asteroiden. Engelhardt und seine Kollegen haben sich die Pan-STARRS1-Durchmusterung, das Mount Lemmon Survey und das Catalina Sky Survey angesehen. Diese drei Durchmusterungen haben ja offensichtlich keinen eindeutigen Kandidaten für einen interstellaren Asteroid entdeckt. Das heißt aber nicht, dass da keine sind: Sind die Asteroiden zu klein, zu weit weg oder haben Bahnen die nicht auffällig genug sind, dann fallen sie auch niemanden auf.
Mit den Daten aus der Simulation und den bekannten Parametern der Durchmusterungen konnten Engelhardt und seine Kollegen nun berechnen, wie viele interstellare Asteroiden sich im Sonnensystem maximal herumtreiben können. Zu viele können es nicht sein, denn sonst hätten sie schon gefunden werden müssen – die Obergrenze die die Astronomen bestimmt haben liegt bei 0,00014 Asteroiden pro Kubik-Astronomische-Einheit (also pro Würfel mit einer Kantenlänge von 150 Millionen Kilometer). Das sind nicht viele. Das sind vor allem weniger, als man erwartet hatte. Wenn andere Planetensysteme genau so entstehen wie unseres, Asteroiden in gleicher Menge produzieren und in gleicher Menge in den interstellaren Raum schleudern wie wir das von unserem Sonnensystem vermuten: Dann sollten wir mehr interestellare Asteroiden finden und schon längst welche entdeckt haben.
Oder aber natürlich die interstellaren Asteroiden verhalten sich nicht so wie es in der Computersimulation angenommen wurde. Je nachdem aus welchen Material sie bestehen (mehr oder weniger Eis) können sie heller oder dunkler sein und damit besser/schlechter zu entdecken. Sie könnten sich auf anderen Bahnen bewegen als man angenommen hatte. Und dann sind da immer noch die Astronomen selbst: Um zu bemerken, dass man es wirklich mit einem Objekt von außerhalb des Sonnensystems zu tun hat, muss man die Bahn eines Asteroiden auch genau genug bestimmen. Das braucht nicht nur eine simple Entdeckung sondern ausreichend genaue Nachbeobachtungen. Die macht man aber im Allgemeinen nicht einfach so – dafür sind einfach zu viele Asteroiden da draußen! Die Chance, dass ein interstellarer Asteroid der im Sonnensystem zwar sichtbar und entdeckbar wäre trotzdem nicht als solcher identifiziert wird, liegt laut Engelhard und seinen Kollegen bei 35 Prozent.
Ich gehe eigentlich fest davon aus, dass es im Sonnensystem interstellare Asteroiden gibt. Alles andere wäre höchst seltsam. Aber, und das zeigt diese Forschungsarbeit eindringlich, es wird nicht so einfach sein, sie zu finden. Aber wenn wir sie finden können wir so viel lernen! Vor allem, wenn wir irgendwann mehr als nur eine Handvoll finden! Vielleicht sind die Astronominnen und Astronomen der Zukunft sogar in der Lage die Asteroiden nicht nur in “eigene” und “interstellare” Asteroiden zu unterteilen, sondern können auch die interstellaren Objekte in unterschiedliche Klassen einteilen. Denn die sollten ja – je nach Herkunft – unterschiedliche chemische Zusammensetzungen haben. Wir hätten dann direkt vor unserer Haustür Material aus den unterschiedlichen Ecken der Milchstraße und könnten dieses Material dann vielleicht sogar in unseren Labors studieren! Asteroiden sind eben tatsächlich großartig!
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