“Hawking gibt Menschheit noch 100 Jahre auf der Erde” schreibt Spiegel Online vor einigen Tagen. Andere Schlagzeilen lauten: “Stephen Hawking: Menschheit überlebt nur mehr 100 Jahre”, “Stephen Hawking: Wir müssen in 100 Jahren die Erde verlassen”, “Hawking warnt vor Katastroph”, “Stephen Hawking: In 100 Jahren sind alle auf der Erde tot” oder “Menschen können nur noch 100 Jahre auf der Erde leben!”.
Welche große Katastrophe erwartet uns da im Jahr 2117? Keine – denn auch wenn Stephen Hawking ein hervorragender und genialer Wissenschaftler ist: In die Zukunft sehen kann er genau so wenig wie alle anderen. Die einzige Katastrophe die die in der Lage wäre die Welt unbewohnbar zu machen UND exakt vorhersagbar ist, ist der Einschlag eines Asteroiden. So etwas hat Hawking allerdings nicht prognostiziert (und als theoretischer Physiker ist die Entdeckung von Asteroiden und die Berechnung ihrer Umlaufbahnen auch nicht sein Arbeitsgebiet).
Stephen Hawking ist allerdings auch nicht unter die irren Weltuntergangspropheten gegangen (noch nicht zumindest). Die Schlagzeilen die derzeit die Medien unsicher machen sind eine unglückliche Verknüpfung aus unkritischer Heldenverehrung, medialer Zuspitzung und unvorsichtig formulierter Aussagen eines Wissenschaftlers.
Kurz zusammengefasst sagt Stephen Hawking folgendes (und nicht zum ersten Mal): Je länger wir warten, desto unbequemer könnte es auf der Erde werden. Irgendwann wird ein Asteroid mit der Erde kollidieren (das ist nur eine Frage der Statistik bzw. der Zeit). Der Klimawandel wird in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten für immer mehr Probleme sorgen und immer mehr Regionen des Planeten sehr unwohnlich machen. Gleiches gilt für das Bevölkerungswachstum. Es könnte neue Epidemien geben, Umweltkatastrophen, Nahrungsmangel, und so weiter. Es wäre also gut, wenn wir darauf vorbereitet sind. Zum Beispiel dadurch, dass wir als Menschheit dafür sorgen nicht nur einen einzigen Ort im Universum zu bewohnen. Wenn wir uns verteilen überleben wir – zumindest als Spezies – auch wenn einer dieser Orte zerstört oder unbewohnbar wird. Wir sollten also in bemannte Raumfahrt, Raumstationen und die Kolonialisierung anderer Himmelskörper investieren und entsprechende Forschung fördern.
Damit hat Stephen Hawking durchaus Recht. Es ist allerdings auch keine großartig neue Erkenntnis. Dass es jede Menge potentielle Katastrophen gibt die dem Leben auf unserem Planeten gefährlich werden können; das Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Umweltverschmutzung & Co zu Problemen führen werden: All das ist bekannt. Dass haben auch vor schon vor Hawking viele Menschen erkannt und öffentlich gesagt.
Dass man sich manchen dieser Gefahren durch eine Expansion (oder Flucht, je nachdem wie man es betrachten will) ins All entziehen kann ist ebenfalls keine neue Erkenntnis. Man kann darüber streiten, ob es eine sinnvolle Taktik ist. In meinem Buch “Asteroid Now: Warum die Zukunft der Menschheit in den Sternen liegt” habe ich zum Beispiel ausführlich erklärt wie und warum wir uns ins All aufmachen sollten. Auch ich habe auf die Tatsache hingewiesen, dass die Erde immer unbequemer wird, je länger wir warten. Dabei aber explizit nicht die ganzen “kurzfristigen” Probleme wie Klimawandel, Umweltverschmutzung, etc gemeint sondern mich ausschließlich auf die diversen Naturkatastrophen (Asteroideneinschlag, Supervulkan, Eiszeiten, etc) konzentriert die definitiv irgendwann passieren werden, egal was wir Menschen tun oder nicht tun.
Dass Stephen Hawking sich für ein verstärktes Engagement in der bemannten Raumfahrt einsetzt ist eine legitime Haltung. Davon auszugehen das wir in 100 Jahren in der Lage sein werden, eine relevante Menge an Menschen auf andere Himmelskörper zu transportieren ist allerdings etwas naiv. Abseits von Science-Fiction-Filmen und -Büchern ist es verdammt schwer, auch nur ein paar Leute kurzfristig zum Mars und wieder zurück zu bringen und wir können froh sein, wenn wir das in den nächsten paar Jahrzehnten schaffen. Ein Generationenschiff, eine dauerhafte bewohnte Siedlung mit tausenden Einwohnern auf dem Mars oder dem Mond: All das ist Science Fiction und das wird auch Hawking wissen.
Es ist daher etwas unvorsichtig von ihm, einerseits so konkret zu behaupten, dass die Erde in 100 Jahren unbewohnbar sein wird. Um das zu behaupten fehlt uns das Wissen über das was alles tatsächlich passieren wird und vor allem das Wissen über das, was uns bis dahin noch alles einfällt. Auch im 18. Jahrhundert dachte man beispielsweise die wachsende Menschheit steuere unaufhaltsam auf eine Katastrophe zu weil nicht genug Ressourcen für alle da sind. Der Fortschritt vor allem in der Landwirtschaft und den Produktionsmethoden hat das aber eindrucksvoll falsifiziert. Wer weiß, was uns Menschen in den nächsten Jahren noch alles einfällt um die kommenden Probleme in den Griff zu kriegen!
Ich persönlich bin eigentlich fest davon überzeugt DASS uns etwas einfallen wird. Vor allem aber bin ich davon überzeugt, dass genau die Lösungen dieser Probleme auch die Informationen sind die wir brauchen, um uns auf den Weg ins All zu machen. Ich habe das hier schon ausführlich erklärt: Es geht nicht darum, “die Raumfahrt zu fördern um von der kaputten Erde “flüchten” zu können”. Das ist eine sinnlose Aussage. Auch die Kolonialisierung anderer Himmelskörper; der lange Aufenthalt vieler Menschen im All stellt uns vor große Probleme. Und es sind die gleichen Probleme die wir auch auf der Erde lösen müssen. Wie produzieren wir viel und saubere Energie? Wie gehen wir vernünftig mit Ressourcen um? Wie funktionieren Ökosysteme und welchen Einfluss hat der Mensch? Usw. All das was uns befähigt die Probleme zu lösen die wir Menschen hier auf der Erde verursachen befähigt uns auch uns ins All aufzumachen.
Stephen Hawkings Behauptung wir müssten in spätestens 100 Jahren die Erde verlassen haben, ist also unvorsichtig. Wenn er sie überhaupt so getätigt hat: Das ganze stammt anscheinend aus der Ankündigung einer neuen BBC-Dokumentation in der auftreten wird. Und wenn es Werbung geht, dann spitzt man eben gerne ein bisschen zu. Genau so wie die Medien die darüber berichten gerne ein wenig zuspitzen; besonders wenn es um große Katastrophen geht.
Und ganz besonders, wenn es um etwas geht das Stephen Hawking gesagt hat. Ich bin ein großer Fan von Hawking – ohne sein Buch “Eine kurze Geschichte der Zeit” wäre ich wahrscheinlich kein Astronom geworden. Es ist beeindruckend, wie Hawking nicht nur wissenschaftlich so großes geleistet hat sondern daneben auch so enorm viel für die Vermittlung der Wissenschaft getan hat. Es ist also durchaus angebracht wenn die Medien über ihn, seine Arbeit und seine Aussagen berichtet. Aber ich habe manchmal das Gefühl dass man da durchaus ein wenig kritischer sein könnte. Man muss nicht aus jedem Satz von Hawking eine Schlagzeile machen; man muss nicht jede seiner Veröffentlichung zur Sensation erklären und nicht alles kritiklos verbreiten was von ihm kommt (oder ihm zugeschrieben wird). Das hat für mich schon viel zu viel von blinder Heldenverehrung und Autoritätshörigkeit. Hawking ist ein kluger Mensch und deswegen ist viel von dem was er sagt auch richtig. Aber Dinge werden nicht automatisch richtig WEIL Hawking sie gesagt hat. Das könnte man im Rahmen vernünftigen Wissenschaftsjournalismus durchaus berücksichtigen…
Wie die Welt in 100 Jahren aussehen wird werden unsere Enkelkinder erleben. Wir werden es nicht nur nicht mitbekommen, wir können es heute auch noch nicht wissen. Die vielen potentiellen Probleme die in der Zukunft auf uns warten dürfen wir aber trotzdem nicht ignorieren. Sensationsheischende Weltuntergangsschlagzeilen sollten wir aber trotzdem vermeiden – selbst wenn man dabei einen berühmten Wissenschaftler zitieren kann.
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