Österreich hat seit letztem Jahr eine neue Regierung. Eine Regierung in der auch die rechtsextreme FPÖ sitzt. Deren Personal ist – wenig überraschend – genau so, wie man es von so einer Partei erwarten kann. Das zeigt sich in Österreich ständig; ganz besonders in der letzten Zeit aber bei der sogenannten Liederbuch-Affäre. Wer wissen will, worum es dabei geht, kann zum Beispiel diesen Artikel der SZ oder diesen Artikel im Online-Standard lesen. Die Kurzversion: Der Spitzenkandidat der FPÖ zur kürzlich stattgefundenen Landtagswahl in Niederösterreich, Udo Landbauer, war Mitglied und stellvertretender Vorsitzender der Burschenschaft Germania (Wahlspruch: “Deutsch und treu in Not und Tod!”). In dieser Burschenschaft gab es ein Liederbuch und in diesem Buch waren Lieder mit extrem rassistischen und antisemitischen Texten enthalten. Landbauer meinte, er hätte davon nichts mitbekommen und die entsprechenden Stellen im Buch wären sowieso schon die längste Zeit geschwärzt gewesen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt jedenfalls und will nun “chemisch untersuchen, wann die inkriminierenden Passagen, in denen der Judenmord durch die Nazis besungen wird, genau geschwärzt wurden”.
Abgesehen davon, dass diese ganze Affäre nicht nur genau so ekelhaft wie vorhersehbar war, fand ich diesen Aspekt ganz interessant. Wie genau untersucht man eigentlich das Alter einer solchen geschwärzten Passage? Ich hatte ein paar mir bekannte Chemiker gefragt, aber die hatten andere Spezialgebiete und konnten nicht weiterhelfen. Ein wenig Recherche hat mich zur Dissertation von Celiné Weyermann geführt, die den vielversprechenden Titel “Massenspektrometrische Untersuchung der Alterungsprozesse von Kugelschreibertinte für die Echtheitsprüfung von Dokumenten” trägt. Eine Nachfrage bei Frau Professor Weyermann, die mittlerweile an der Uni Lausanne arbeitet, hat mir den Hinweis auf den Artikel eines Forensikers des bayrischen Landeskriminalamtes gebracht: “Age determination of ballpoint pen ink by thermal desorption and gas chromatography-mass spectrometry”. Die Arbeit von Jürgen Bügler und seinen Kollegen ist leider nicht frei verfügbar, weswegen ich normalerweise nicht darüber berichten würde. Weil mich das Thema hier aber wirklich interessiert hat, mache ich eine einmalige Ausnahme…
Natürlich könnte man einfach (obwohl das in der Realität durchaus auch kompliziert ist), die chemische Zusammensetzung der Tinte analysieren, die Zusammensetzung mit der Zusammensetzung von bekannten Tinten vergleichen und nachschauen, wann diese Tinten entwickelt bzw. auf den Markt gekommen sind. Wenn man dann etwa eine Tinte aus dem Jahr 2000 auf einem Manuskript aus dem Mittelalter findet, dürfte es sich eher nicht um eine originale Anmerkung zum mittelalterlichen Text handeln.
Aber oft will man keine Anachronismen oder Fälschungen entdecken sondern schlicht und einfach wissen: Wie lange ist es her, dass jemand mit dieser Tinte auf dieses Papier geschrieben hat. Das klingt nach einer Frage, die die Wissenschaft eigentlich beantworten können sollte! Immerhin sind wir recht gut darin, Dinge zu datieren. Astronomen bestimmen das Alter von Sternen; sogar das Alter des gesamten Universums. Geologen bestimmen das Alter von Gestein bis Milliarden von Jahren in die Vergangenheit der Erde. Archäologen bestimmen das Alter von Knochen. Und so weiter. Da kann doch so ein wenig Tinte keine Schwierigkeiten machen!
Tut sie aber. Die meisten Methoden der Tinten-Datierung (sofern sie sich für mich als forensischer Laie aus dem Artikel von Bügler et al erschließen), haben mit der Menge an Lösungsmitteln in der Tinte zu tun. Man schreibt (oder schwärzt) etwas und sobald die Tinte auf dem Papier ist, beginnt sich das Lösungsmittel zu verflüchtigen. Wenn man jetzt misst, wie viel Lösungsmittel noch übrig ist, dann kann man daraus bestimmen, wie lange die Tinte schon auf dem Papier aufgetragen war. Klingt einfach – aber so einfach ist es eben nicht. Die Idee mit dem Lösungsmittel erinnert ein wenig an die Radiokarbon-Datierung. Da nutzt man die Tatsache, dass ein winziger Teil des Kohlenstoffs immer auch aus dem radioaktiven Isotop Kohlenstoff-14 besteht. Das zerfällt mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren. Sobald etwas aber noch lebendig ist, also ein Mensch der Nahrung zu sich nimmt; ein Pflanze, die Kohlenstoff aus der Luft aufnimmt, und so weiter, wird der zerfallende Kohlenstoff immer wieder durch neue Kohlenstoff-14-Atome ersetzt. Erst wenn das Lebewesen stirbt, wird der Kohlenstoff-14 konstant weniger und das Verhältnis von normalen zu radioaktiven Kohlenstoff wird immer größer, je länger das Lebewesen tot ist. Genau so können Archäologen Knochen, Holzstücke oder ähnliches datieren.
Und genau so könnte man sich auch die Datierung von Tinte durch das verschwindende Lösungsmittel vorstellen. Nur das es dann falsch wäre, hätte man es sich so vorgestellt. Denn die Realität ist etwas komplizierter. Man weiß ja in dem Fall nicht, wie viel Lösungsmittel ursprünglich in der Tinte vorhanden war. Im Gegensatz zum Kohlenstoff-14, der immer Kohlenstoff-14 ist, gibt es auch jede Menge verschiedene Arten von Tinten mit verschiedener chemischer Zusammensetzung die sich unterschiedlich verhalten. Es kommt darauf an, auf welches Papier man mit der Tinte schreibt. Es kommt auch darauf an, wie stark man beim Schreiben aufdrückt – je nachdem kriegt man mehr oder weniger Lösungsmittel aufs Papier (der Unterschied kann bis zu 800 Prozent ausmachen, wie Bügler und seine Kollegen schreiben!).
Kurzer Einschub: Ich fand den Teil, in dem die Forensiker ihre Methoden beschrieben haben, ziemlich instruktiv. Ich als Laie hab mir ja vorgestellt, dass man bei solchen Analysen halt einfach mit verschiedenen Stiften auf dem Papier herum malt und diese Proben dann entsprechend benutzt. Aber so simpel macht man das natürlich nicht! Die haben dort extra Plotter, in die Stifte eingespannt werden, um damit dann automatisch Striche bestimmter Dicke in bestimmten Abständen mit genau definierten Anpressdrücken zu erzeugen!
Bügler und seine Kollegen haben sich daher eine ziemlich kreative Methode ausgedacht, um mit diesen Problemen klar zu kommen. Sie haben bei ihren Analysen von 85 verschiedenen Tinten zuerst einmal geschaut, wie viel Lösungsmittel sich im Laufe der Zeit verflüchtigt. Und dabei gesehen, dass 95% davon schon in den ersten paar Tagen nach dem Schreiben verschwinden. Der Rest des Lösungsmittels evaporiert dann viel langsamer im Laufe mehrerer Monate und hinterlässt oft noch Jahre später entsprechende Rückstände.
Wüsste man, wie viel Lösungsmittel anfänglich vorhanden war und welche Tinte genau benutzt wurde, dann könnte man so leicht das Alter bestimmen. Weiß man aber im Allgemeinen nicht und deswegen haben sich Bügler et al mit “künstlicher Alterung” beschäftigt. Das heißt, sie haben das Papier mit der Tinte erhitzt und geschaut, was dabei mit dem Lösungsmittel passiert. Erwartet wurde, dass sich dabei das restliche Lösungsmittel auch verflüchtigt. Und genau das hat man auch beobachtet – aber nicht nur das: Die Temperatur, bei der die Verflüchtigung begann, hing vom Alter der Tinte ab. Das Lösungsmittel in älteren Tinten verflüchtigte sich erst bei höheren Temperaturen. 3 Monate alte Tinte entließ das Lösungsmittel schon bei 50 Grad Celsius, neun Monate alte Tinte erst bei 65 Grad. Daraus zogen die Forensiker ihre erste Schlussfolgerung: Die Menge an Lösungsmittel die bei einer bestimmten Temperatur während eines bestimmten Zeitintervalls abgegeben wird, hängt vom Alter der Tinte ab. Jetzt hat man aber immer noch das Problem, dass man die ursprüngliche Menge an Lösungsmittel nicht kennt. Die Temperatur hängt außerdem auch noch von der Art der Tinte ab.
Aber: Setzt man die Tinte sehr hohen Temperaturen (200 Grad) aus, dann altert sie noch schneller. Sie entlässt quasi die gesamte Menge an Lösungsmitteln, die in ihr enthalten war. Und da sich die Menge an Lösungsmittel nach der anfänglichen schnellen Verflüchtigungsphase (bei der die oben erwähnten 95% verschwinden) danach nur noch sehr, sehr langsam verflüchtigt, kann man in erster Näherung davon ausgehen, dass sie sich gar nicht ändert. Die Menge an Lösungsmittel, die man bei hohen Temperaturen aus der Tinte holt, kann man also mit der Gesamtmenge (bzw die nach Ende der ersten Phase vorhandenen Menge) gleichsetzen.
Die von Bügler und seinen Kollegen entwickelte Methode sieht also so aus:
- 1) Eine Probe der Tinte auf Papier wird für 20 Minuten bei 70 Grad erhitzt und die dabei sich verflüchtigende Menge an Lösungsmittel M1 wird gemessen.
- 2) Die gleiche Probe wird für 5 Minuten einer Temperatur von 200 Grad ausgesetzt und die Menge an Lösungsmittel M2 wird gemessen.
- 3) Man bestimmt das Verhältnis V = M1 / (M1 + M2).
Man kriegt mit dieser Erhitzung in zwei Phasen also einerseits ein Maß für die gesamte Menge an Lösungsmittel (das, was sich bei der hohen und der niedrigen Temperatur verflüchtigt) und kann das mit dem vergleichen, was bei der niedrigen Temperatur rauskommt. Und diese Menge hängt ja, wie wir schon wissen, vom Alter der Tinte ab. Das Verhältnis V lässt sich also direkt in ein Alter der Tinte umrechnen.
Die Realität ist dann aber leider schon wieder nervig kompliziert. Man kann zwar einen direkten Zusammenhang zwischen V und dem Alter der Tinte herstellen. Allerdings gilt dieser Zusammenhang nicht für jede Tintenart. Bügel und seine Kollegen haben daher drei Fälle unterschieden: Je nach dem Wert von V muss man die Analyse entweder verwerfen (weil die Tinte zu alt oder aber viel zu schnell gealtert ist) oder zwei unterschiedliche Zusammenhänge zwischen V und dem Alter wählen.
Die Methode funktioniert außerdem halbwegs verlässlich nur für Tinte, die maximal einige Monate alt ist. Was aus meiner Sicht ein wenig enttäuschend ist, denn dann wird es wohl kaum die Methode sein, die bei der Liederbuch-Affäre zur Anwendung kommt. Die Burschenschafter werden ihre antisemtischen Lieder ja vermutlich nicht erst vor ein paar Monaten geschwärzt haben (Obwohl… überraschen würde es mich nicht, wenn in den Burschenschaftsbuden des Landes nach dem Regierungsantritt der FPÖ im Dezember ein großes Bücherschwärzen eingesetzt hätte. Immerhin musste man ja jetzt schnell so was ähnliches wie respektable wirken. Kaum eine Gruppe ist ja so überrepräsentiert wie die Burschenschaften: In ganz Österreich gibt es nur knapp 4000 von den Typen, aber unter den Abgeordneten der FPÖ machen sie 40 Prozent aus! Aber ich will jetzt hier keine Verschwörungstheorien spinnen).
Nicht enttäuscht hat mich der Einblick in die Arbeit der Forensiker. Es war sehr instruktiv zu sehen, wie enorm knifflig diese Arbeit ist und wie schwierig es ist, trotz dieser komplexen Analysen am Ende eindeutige Aussagen treffen zu können. So einfach wie das die Tatortwissenschaftler im Fernsehen machen, ist die Sache (wenig überraschend) nicht. Und vielleicht habe ich ja in der Leserschaft Leute, die vom Fach sind und mir sagen können, wie sie es anstellen würde, das chemische Problem der Liederbuch-Schwärzung zu lösen!
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