Nach dem Tod des Physikers Stephen Hawking am 14. März 2018 waren die Medien voller Nachrufe. Zu Recht, denn das Leben und das wissenschaftliche Werk von Hawking waren absolut bemerkenswert. Bei all den Rückblicken ist die Wissenschaft des britischen Forschers für meinen Geschmack aber ein wenig zu kurz gekommen. Das liegt sicherlich auch daran, dass das, was Hawking über Universum herausgefunden hat, nicht unbedingt leicht verständlich ist. Aber ich möchte trotzdem probieren, seine wichtigsten Erkenntnisse in einer Reihe von Artikel ein klein wenig ausführlicher darzustellen.
An den Anfang möchte ich das Ergebnis stellen, mit dem Hawking in der Fachwelt bekannt geworden ist. Ein Ergebnis, das auch direkt mit dem ultimativen Anfang zu tun hat. Es geht um den Urknall und das Singularitäten-Theorem.
Am 18. Oktober 1966, im Jahr in dem Hawking sein Doktoratsstudium an der Universtät Cambridge abschloss, publizierte er einen Artikel mit dem Titel “The occurrence of singularities in cosmology”. Darin geht es um “Singularitäten”, die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein und die Vergangenheit unseres Universums. Mit Einsteins Theorie konnten Wissenschaftler beschreiben, wie sich die Raumzeit unter dem Einfluss von Massen verhält, aber auch die Raumzeit als Ganzes – das heißt unser Universum. Bei diesen Untersuchungen hatte man schon früher festgestellt, dass hier immer wieder besondere Situationen auftreten können. Wenn zum Beispiel ein Stern am Ende seines Lebens unter seinem eigenen Gewicht kollabiert, dann sagt die Relativitätstheorie, dass der Stern immer kleiner und immer dichter wird. Die Raumzeit um ihn herum wird immer stärker gekrümmt – bis die Krümmung der Raumzeit und die Dichte des Sterns irgendwann unendlich groß und seine Ausdehnung unendlich klein ist. So einen Zustand in dem physikalische Größen unendlich werden, nennt man “Singularität”.
Den Wissenschaftlern war natürlich klar, dass solche Zustände nicht die Realität beschreiben können. Wenn Singularitäten auftreten, dann ist das ein Zeichen dafür, dass die benutzte Theorie in diesen Fällen zusammenbricht und nicht mehr funktioniert. In den 1960er Jahren war man aber noch der Meinung, dass man diese Fälle eventuell einfach ignorieren kann und das es sich nur um eine Art mathematische Kuriosität handelt die aus bestimmten vereinfachenden Annahmen bei der Anwendung der Theorie resultieren.
Hawking hat sich in seiner Arbeit aber nicht mit kollabierenden Sternen und lokalen Singularitäten der Raumzeit beschäftigt, sondern mit dem Universum als Ganzes. Denn auch hier stießen die Wissenschaftler auf die störende Unendlichkeit. Die theoretische Untersuchung der Gleichungen aus Einsteins Theorie zeigten, dass das Universum in der Vergangenheit kleiner war als heute. Beobachtungen von Galaxien, die Edwin Hubble und seine Kollegen in den 1920er Jahren angestellt hatten, zeigten ein ähnliches Bild. Alle Galaxien bewegen sich voneinander fort; das Universum durchläuft eine beständige Expansion. Was die Vergangenheit des Kosmos angeht, gab es jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder das Universum hatte irgendwann in der Vergangenheit einen Zustand, in dem seine Dichte einen (sehr großen aber nicht unendlichen) Maximalwert hatte. Oder aber man trifft in der Vergangenheit auf eine Singularität, also einen Zustand in dem das gesamte Universum nur ein einzelner Punkt war, mit unendlich hoher Dichte und Temperatur.
Diverse Wissenschaftler hatten schon in den 1950er Jahren festgestellt, dass man tatsächlich genau so eine Singularität am Anfang des Universums findet. Dafür hatten sie aber sehr spezielle Annahmen getroffen, was die Verteilung der Materie im Universum, seine Symmetrie, und so weiter angeht. Die Vermutung – und die Hoffnung – war nun, dass die Singularität aus der Theorie verschwindet, wenn man weniger spezielle und realistischere Annahmen für die Eigenschaften des Kosmos trifft. Denn Singularitäten möchte man ja, wie gesagt, nicht in der Theorie haben!
Und jetzt kam Stephen Hawking mit seinem Artikel vom Oktober 1966. Darin rechnet er vor, dass es reicht, nur ganz wenige, sehr vernünftige Annahmen über das Universum zu treffen, und dann trotzdem auf eine Singularität trifft. Oder anders gesagt: Stephen Hawking konnte zeigen, dass die Singularität am Anfang des Universums keine mathematische Kuriosität der allgemeinen Relativitätstheorie ist, sondern eine direkte Folge der Tatsache, dass die Gravitation immer eine anziehende Kraft ist. Singularitäten lassen sich in der allgemeinen Relativitätstheorie schlicht und einfach nicht vermeiden; egal wie sehr man sich bemüht.
Wenn man das Universum mit der Einsteinschen Theorie beschreibt, dann landet man in der Vergangenheit zwangsläufig bei einem Zustand, in dem alles in einem einzigen Punkt unendlich hoher Dichte und Temperatur konzentriert war. Dieses Resultat war aus mehreren Gründen sehr bemerkenswert. Einerseits war es eine Bestätigung für die “Urknall”-Hypothese, also die Vorstellung, dass das Universum einen Anfang in der Vergangenheit hat und sich aus diesem Urzustand zum heutigen Kosmos entwickelt hat. Andererseits war es aber auch ein noch viel deutlicher Hinweis darauf, dass die klassische Beschreibung der Vergangenheit des Universums mit Einsteins Gleichungen eben nicht immer funktionieren kann. Wenn man weit genug in der Vergangenheit zurück geht, dann kommt zwangsläufig bei einer Singularität an und das heißt, dass die Relativitätstheorie von Albert Einstein hier nicht mehr funktioniert.
Unser Universum wird von der Gravitation dominiert. Und weil das so ist, findet man in der Relativtätstheorie Singularitäten. Insbesondere, wenn man in die Vergangenheit blickt und den Anfang des Kosmos betrachten will. Stephen Hawking hat bewiesen, dass das Universum mit einer Singularität begonnen haben muss und damit gleichzeitig gezeigt, dass wir uns nicht allein auf Albert Einstein verlassen können. Wir müssen uns auf die Suche nach einem anderen Zugang zur Beschreibung des Kosmos machen, wenn wir wirklich verstehen wollen, wie alles angefangen hat. Mit dieser Suche hat Hawking einen großen Teil seines restlichen Lebens verbracht. Und was er dabei entdeckt hat, werde ich in den nächsten Artikeln dieser Serie erklären.
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