Heute findet an der Universität Jena eine Podiumsdiskussion zum Thema “Wissenschaftskommunikation” statt an der auch ich teilnehme (und ich habe vorletzte Woche schon sehr ausführlich meine Gedanken dazu dargelegt). Vor kurzem bin ich aber auch noch auf einen anderen, sehr interessanten Gedanken zu diesem Thema gestoßen. Er stammt aus einer Sendung der Reihe “Sternstunde Philosophie” die schon vor 5 Jahren im Schweizer Fernsehen lief. Zu Gast war der Philosoph Richard David Precht und nachdem er lange über das Schul- und Bildungssystem gesprochen hat, ging es in der Diskussion auch kurz um die Vermittlung von Wissen. Auf die Frage, ob Forscherinnen und Forscher eine Pflicht hätten, ihr Wissen an die Öffentlichkeit zu vermitteln, hat er geantwortet:
“Ich würde nicht sagen es gibt ne Pflicht, aber man muss gute Gründe habe, es nicht zu tun. Was ist diese Forschung wert, wenn sie hochintelligent Fragen der praktischen Ethik behandelt, Fragen des Klimawandels (…) wenn sie nichts anderes sind als Briefe an Freunde? Wenn sie einen Text schreiben der adressiert ist an 50 andere, plus einer Community von 300/400 anderen die in der Lage sind, das zu lesen und das zu verstehen. Und das ganze bleibt immer in dieser Welt gefangen. Dann wird sich nichts in dieser Gesellschaft zum Positiven ändern.”
“Was ist diese Forschung wert?” – dieser Satz hat mich zum Nachdenken gebracht. In vielen früheren Texten zum Thema habe ich ja schon ausführlich erklärt, warum Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit der Öffentlichkeit über ihre Arbeit reden sollten. Weil eine Gesellschaft über die Themen informiert sein sollte, über die sie Entscheidungen treffen muss. Weil es wichtig ist, die Welt zu verstehen in der man lebt. Weil die Universitäten ihre Geldgeber (also die Öffentlichkeit) über ihre Arbeit informieren sollte. Weil es genau so gewinnbringend sein kann, über Wissenschaft zu lernen wie ein Konzert anzuhören oder einen Film anzusehen. Und so weiter – ich will das gar nicht alles erneut ausbreiten. Aber den Aspekt, den Precht anspricht, habe ich mir so noch nie überlegt.
“Was ist diese Forschung wert?” – Das ist eine Frage, die man sich stellen sollte. Aber wenn sie gestellt wird, dann meistens nicht so wie Precht das getan hat, sondern nur in einem wirtschaftlichen Kontext. Also: Kann ich das, was du erforscht, irgendwem verkaufen? Kann man damit bessere Handys bauen oder tödliche Krankheiten heilen? Etc – und wenn das auch unter Umständen relevante Fragen sind, ist es doch bei weitem nicht der einzige Gesichtspunkt, unter dem man die Ergebnisse der Forschung betrachten sollte. Aber was man sich durchaus fragen sollte ist das, was Precht gemeint hat: Wenn meine Forschung nur für eine Handvoll Menschen verständlich und relevant ist – was ist sie dann wert?
Bei vielen Forschungsprojekten ist ziemlich klar, dass sie etwas “wert” ist. Wer an neuen Medikamenten forscht oder an besseren Akkus, umweltfreundlichen Recyclingprojekten, und so weiter, hat wenig Probleme zu erklären, warum das für den Rest der Menschheit relevant ist (das einzige Problem liegt dann wieder bei der Wissenschaftsvermittlung und der Tatsache, das viele das nicht erklären können oder wollen). Aber auch die Arbeit all der Forscherinnen und Forscher die hoch komplexe, abstrakte und auf den ersten Blick alltagsferne Phänomene erforschen kann für den Rest der Welt relevant sein und ist das im Allgemeinen auch. Nur ist es dann eben eine andere Art der Relevanz. Ich habe mich zum Beispiel während meiner Zeit als aktiv forschender Astronom mit der Dynamik extrasolarer Planetensysteme beschäftigt. Also mit der Frage, wie sich die Planeten anderer Sterne bewegen. Das hat erstmal nichts mit unserem Alltag zu tun. Und nichts, was ich über die fernen Planeten herausgefunden habe, wird irgendwann zu einem Produkt führen, dass man im Supermarkt um die Ecke kaufen kann.
Und natürlich war meine Arbeit, so wie die Arbeit aller Wissenschaftler, für Außenstehende kaum verständlich. Wenn ich einen Fachartikel geschrieben habe, dann hatte der – so wie Precht es gesagt hat – vermutlich wirklich nur eine Zielgruppe von ein paar Dutzend Kollegen und ein paar hundert Astronomen aus der erweiterten Community waren in der Lage (und hatten die Lust) das zu lesen und zu verstehen. Aber darüber hinaus war mir klar, dass sehr viel mehr Menschen von diesem Thema fasziniert waren! Auch wenn die fernen Welten anderer Sterne nichts mit unserem Alltag zu tun haben, wollen sehr viele Menschen trotzdem darüber Bescheid wissen. Wir wollen wissen, was es da draußen noch für Planeten gibt; wie sie beschaffen sind; wie sie sich verhalten und ob es dort vielleicht noch Leben gibt. Das sind Fragen, die die Menschheit seit Jahrtausenden interessiert – ganz unabhängig von ihrem rein praktischen Wert.
Und genau das ist es, was sich alle Forscherinnen und Forscher überlegen sollen: Was ist diese Forschung wert? Wo betrifft meine Arbeit den Rest der Menschheit? Wo finde ich das, dass zumindest prinzipiell alle interessiert und nicht nur die paar Dutzend Fachkollegen? Wenn ich zu dem Schluss komme, dass da wirklich absolut nichts ist, was abgesehen von den paar Fachkollegen für irgendwen von Interesse ist, dann sollte man sich vielleicht Gedanken nach der Sinnhaftigkeit seines Tuns machen.
Aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass man zu diesem Schluss kommt. Denn zumindest die Naturwissenschaft erforscht die Natur, also die Welt in der wir leben. Und weil wir in dieser Welt leben, muss sich da eigentlich zwangsläufig etwas finden lassen, dass den “Wert” dieser Forschung ausmacht.
Diesen Wert zu identifizieren und dann zu kommunizieren: Das ist es, worauf es bei der Vermittlung von Wissenschaft ankommt. Man kann seine Forschung noch so verständlich vermitteln: Wenn man sich zuvor nicht über das Gedanken macht, was “diese Forschung wert ist”, wie Precht sagt, dann kann man die Kommunikation auch gleich bleiben lassen, denn dann wird abgesehen von den paar Dutzend Kollegen niemand Interesse daran haben.
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