Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 287: Der Virgo-Galaxienhaufen
Im März des Jahres 1781 trug der französische Astronom Charles Messier einen neuen Nebel in seinen Katalog ein. Es war die Nummer 91 und entdeckt hatte man das Objekt im Sternbild Jungfrau. Messier schrieb dazu: “Das Sternbild Jungfrau und speziell sein nördlicher Teil ist eines der Sternbilder, das die meisten Nebel enthält. Der Katalog nennt 13, die bestimmt wurden (…) All diese Nebel scheinen keine Sterne zu enthalten und sind bei gutem Wetter während des Meridiandurchgangs sichtbar.”
Was das für “Nebel” waren, die Messier in seinem Katalog aufgelistet hatte, wusste man damals noch nicht so genau. Messier selbst war an den Nebeln auch nicht direkt interessiert. Er war auf der Suche nach Kometen. Und um nicht fälschlicherweise irgendwelche anderen Objekten mit den im Teleskop leicht verschwommen und neblig erscheinenden Kometen zu verwechseln, legte er einen Katalog an, in dem er alles am Himmel eintrug, was so ähnlich aussah wie ein Komet, aber kein Komet war. Über diesen heute berühmten “Messier-Katalog” hab ich schon in Folge 128 der Sternengeschichten ausführlich gesprochen. Heute soll es darum gehen, was Messier da genau beobachtet hatte.
Viele der Objekte seines Katalogs waren keine “Nebel” sondern Galaxien. Das weiß man aber erst seit den 1920er Jahren. Bis dahin gingen noch viele Astronomen davon aus, dass das gesamte Universum nur aus den Sternen der Milchstraße besteht. Darüber hinaus sollte es nichts geben und die “Nebel” die am Himmel gesehen werden konnte, wären nichts anderes als Gaswolken zwischen den Sternen oder kleine Sternhaufen. Aber ein paar waren auch der Meinung, diese “Nebel” wären selbst Galaxien wie die Milchstraße, die aus Milliarden Sternen bestehen und uns nur als Nebel erscheinen, weil sie so unvorstellbar weit entfernt sind. Die Geschichte dieser “großen Debatte” habe ich ausführlich in Folge 49 der Sternengeschichten erzählt.
Die Vertreter der zweiten Hypothese hatten jedenfalls recht. Der Himmel war voller ferner Galaxien und Messier hatte viele davon in seinem Katalog der Nebel aufgelistet. Und im Sternbild Jungfrau, auf lateinisch “Virgo”, gab es eine deutliche Häufung dieser Galaxien. Heute wissen wir, dass das kein Zufall ist, sondern es sich tatsächlich um einen Galaxienhaufen handelt. So wie Sterne sich aufgrund der wechselseitig aufeinander ausgeübten Gravitationskraft zu Galaxien zusammenfinden, können viele Galaxien gemeinsam einen Galaxienhaufen bilden. Beim Virgo-Galaxienhaufen sind das um die 1500 Galaxien. Der ganze Haufen ist etwa 54 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Beziehungsweise gilt das für das Zentrum des Haufens; insgesamt hat das Ding eine Ausdehnung von 9 Millionen Lichtjahren. Könnten wir den gesamten Haufen mit freiem Auge am Himmel sehen, dann würde er 16 Mal so groß wie der Vollmond erscheinen!
Aber die Galaxien des Virgo-Haufens leuchten viel zu schwach als das wir sie ohne Teleskope sehen können. Und den Haufen darf man sich auch nicht wie einen “Haufen” vorstellen, den wir aus dem Alltag kennen. Es sind ja immer noch Galaxien, die sich da zusammengefunden haben. Also Objekte die hunderttausende Lichtjahre groß sind und zwischen denen Millionen Lichtjahre leerer Weltraum liegen. Im Virgo-Haufen findet man die beiden typischen Galaxienarten, also Spiralgalaxien, so wie unsere Milchstraße und elliptische Galaxien, die im wesentlichen gigantische kugelförmige Ansammlungen von Sternen sind. All diese Galaxien beeinflussen sich gegenseitig mit ihrer Gravitationskraft. Das führt zum Beispiel dazu, dass man im Zentrum des Virgo-Haufens kaum Spiralgalaxien beobachtet. Dort sind die wirkenden Gravitationskräfte sehr stark; die anderen Galaxien ziehen quasi an den Spiralarmen der Spiralagalaxien, so dass sie sich auflösen und die Spiralstruktur verschwindet.
Im Zentrum findet man daher hauptsächlich riesige elliptische Galaxien. Auch sie wurden schon von Charles Messier in seinem Katalog aufgelistet und tragen die Bezeichnungen M49, M60 und M87. Am größten davon ist M87: Innerhalb eines Radius von knapp 100.000 Lichtjahren, was dem Durchmesser unserer eigenen Milchstraße entspricht, findet man in M87 gewaltige 2 bis 3 Billionen Sterne (also hundert Mal mehr als in unserer Milchstraße). M87 ist wirklich ein gewaltiges Sternensystem. Unsere Milchstraße ist zum Beispiel von ungefähr 200 Kugelsternhaufen umgeben. M87 hat mehr als 10.000 solcher Haufen gravitativ an sich gebunden. Im Zentrum von M87 sitzt ein supermassereiches schwarzes Loch das fast sieben Milliarden mal so viel Masse hat wie unsere Sonne. Würde man dieses Ding ins Zentrum unseres Sonnensystems setzen, dann würde es bis weit über die Bahn des Pluto hinausreichen! In der Umgebung findet man jede Menge Gas und Staub die mit Geschwindigkeiten von bis zu 1000 Kilometern pro Sekunde um das Loch herum kreisen und dann hinein fallen. Bei diesem wilden Ritt wird das Material stark aufgeheizt und beginnt, Strahlung abzugeben. Die Radiostrahlung die aus der Umgebung des schwarzen Lochs von M87 kommt, hat man schon 1947 registriert, als die Radioastronomie noch ganz am Anfang stand. Ein Teil des Materials, das um das schwarze Loch kreist, wird wieder weit hinaus in die äußeren Bereiche der Galaxie geschleudert; man hat Überreste dieses Materials noch in Entfernungen von 250.000 Lichtjahren gefunden.
M87 ist also ein würdiges Objekt um sich im Zentrum eines Galaxienhaufens wie dem Virgo-Haufen zu befinden. Aber trotzdem nimmt M87 nicht die dominante Rolle ein, die etwa die Sonne in unserem Sonnensystem hat. Ein Galaxienhaufen funktioniert nicht wie ein Planetensystem, bei der sich alles um ein zentrales Objekt dreht. Das geht nur, wenn ein Objekt – wie eben die Sonne – deutlich massereicher ist als alle anderen und der Rest – die Planeten – sich relativ nahe befinden. Die Galaxien in einem Galaxienhaufen haben zwar auch unterschiedliche Massen; die Unterschiede sind aber nicht so groß wie die zwischen der Sonne und den Planeten. Und die Abstände zwischen den Galaxien sind im Vergleich viel, viel größer als die im Sonnensystem. Ein Galaxienhaufen wie der Virgo-Haufen gliedert sich daher in mehrere Unterhaufen. Jede der drei großen elliptischen Galaxien in der Zentralregion des Virgo-Haufens stellt das Zentrum eines eigenen Unterhaufens dar. Der um M87 wird – wenig originell – “Haufen A” genannt und zerfällt selbst wieder in zwei Unter-Unterhaufen. Um all diese kleinen Haufen herum versammeln sich die außen liegenden Spiralgalaxien, die selbst wieder eigenen Gruppen bilden.
Und alle zusammen bilden den Virgo-Galaxienhaufen. Jede Galaxie bewegt sich auf ihre eigene Art, in ihre eigene Richtung und mit ihrer eigenen Geschwindigkeit. Nur die Gravitationskraft der gesamten im Virgo-Haufen versammelten Masse hindert die einzelnen Galaxien, einfach auseinander zu fliegen. Interessanterweise sind die beobachteten Geschwindigkeiten der Galaxien viel zu schnell. Bestimmt man die Helligkeit der Galaxien und berechnet daraus die Anzahl der Sterne aus der sie bestehen müssen und daraus wieder die Masse, die nötig ist, um so viele Sterne zu bilden, kann man so die Gesamtmasse des Virgo-Haufens bestimmen. Die Gesamtmasse des Haufens bestimmt aber – wie ich eben erklärt habe – wie schnell sich die Galaxien bewegen können, so dass die Gravitationskraft der Haufenmasse gerade noch reicht, um den Haufen zusammen zu halten. Und die Galaxien im Virgo-Haufen bewegen sich viel zu schnell. Eigentlich dürfte es den Haufen gar nicht geben. Er müsste sich schon längst aufgelöst und die einzelnen Galaxien im Universum verstreut haben. Dass er trotzdem existiert und die Galaxien offensichtlich doch irgendwie zusammengehalten werden, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass es dort mehr Gravitationskraft geben muss, als durch die sichtbare Materie erzeugt werden kann. Seit man dieses seltsame Verhalten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das erste Mal entdeckt hatte, wissen wir, dass es im Universum etwas wie “dunkle Materie” geben muss; also etwas, das Gravitationskraft ausübt, aber nicht sichtbar ist, wie ich in Folge 25 der Sternengeschichten ja schon erklärt habe.
Unsere Milchstraße selbst ist übrigens kein Teil des Virgo-Haufens. Der Galaxienhaufen, zu dem wir gehören, hat den aufregenden Namen “Lokale Gruppe”. Aber sowohl die Lokale Gruppe als auch der Virgo-Haufen gehören zum Virgo-Superhaufen. Der, wie der Name andeute, eine Ansammlung von Galaxienhaufen ist. Unsere Milchstraße und die Lokale Gruppe liegen aber eher am Rand dieses Superhaufens während der Virgo-Haufen sein Zentrum bildet. Deswegen nennt man diese Superstruktur auch nur selten den “lokalen Superhaufen” und viel öfter “Virgo-Superhaufen”.
Das Sternbild der Jungfrau kann man mit freiem Auge leicht finden. Wenn man dann noch ein Fernglas oder ein kleines Teleskop dabei hat, kann man sich dort auf die Suche nach dem Virgo-Haufen begeben. M87 etwa ist auch in einem Feldstecher schon zu erkennen. Will man Details sehen, wird man aber um ein gutes Teleskop nicht umhin kommen. Der Virgo-Galaxienhaufen mag zwar eine gewaltige Struktur im Kosmos sein. Aber ohne technische Hilfsmittel gibt er seine Geheimnisse nicht so schnell preis…
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