Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 330: Migrationsmeteoriten
Der älteste Stein der Erde liegt auf dem Mond. Beziehungsweise jetzt nicht mehr, weil wir ihn von dort wieder zurück auf die Erde gebracht haben. Allerdings ohne es zu wissen. Die ganze Geschichte ist ein klein wenig kompliziert.
Am 31. Januar 1971 startete die Apollo-14-Mission der NASA zum Mond. Die Astronauten Alan Shepard, Edgar Mitchell und Stuart Roosa machten sich auf den Weg zum Mond und landeten dort am 5. Februar. Mehr als 9 Stunden verbrachten sie insgesamt auf der Oberfläche des Mondes und führten dort jede Menge wissenschaftliche Experimente durch. Sie installierten Geräte die Mondbeben messen sollten, Experimente zur Erforschung des Sonnenwinds und der kaum vorhandenen Mondatmosphäre. Und sie sammelten dort 42,9 Kg Mondgestein.
Von diesen Steinen versprach man sich besonders interessante Informationen. Der Landeplatz der Raumfähre lag in der sogenannten Fra-Mauro-Formation und unmittelbarer Nähe des Cone-Krater. Diese Gegend interessierte die Wissenschaftler, weil sie 500 Kilometer vom Mare Imbrium entfernt lag. Dabei handelt es sich um ein enormes, 1300 Kilometer großes Becken, das vor ungefähr 3,9 Milliarden Jahren durch den Einschlag eines riesigen Asteroiden entstanden ist. Man kann es auch mit freiem Auge als dunklen Fleck in der nördlichen Hälfte des Mondes sehen. Und dunkel ist es deswegen, weil bei diesem Einschlag riesige Mengen an geschmolzenem Gestein aus dem Inneren des Mondes an die Oberfläche gelang sind. Die dunkle Mondlava dieses und anderer Ereignisse anderswo auf dem Mond bildete heute die dunklen Flecken, die wir “Meere” nennen. Das Mare Imbrium war das letzte große Meer, das entstanden ist. Danach ging es ein wenig ruhiger zu auf dem Mond, es gab keine großen Einschläge mehr und die letzte Phase der Mondentstehung war abgeschlossen.
Bei der Entstehung des Mare Imbrium wurde mit Sicherheit auch viel Gestein aus den tieferen Schichten des Mondes in alle Richtungen geschleudert. Zum Beispiel auch in die 500 Kilomter entfernte Fra-Mauro-Formation, weswegen Apollo 14 dort landete um genau solche an die Oberfläche gelangten Tiefengesteine zu suchen. Und den Cone-Krater suchte man sich aus, weil es sich um einen recht jungen Krater handelte. Das ganze Zeug; der ganze Staub der sich seit der Entstehung des Mare Imbrium über die Mondoberfläche gelegt und die interessanten Schichten verdeckt hat, war bei diesem Einschlag durchbrochen worden.
Einer der Steine die die Astronauten vom Mond mit zur Erde brachte, stammte vom Rand dieses Kraters. Es ist ein unregelmäßig geformtes Stück, ungefähr 23 Zentimeter groß und neun Kilogramm schwer. Es trägt die offizielle Bezeichnung “Apollo 14 breccia 14321” und den inoffiziellen Spitznamen “Big Bertha”. Eine Brekzie ist ein Gestein, das aus verschiedenen Gesteinstrümmern besteht, die durch eine feine Gesteinsmasse quasi zusammenklebt sind. Die meisten der Trümmer sind dunkel, aber ein kleines Stück sticht durch seine helle Farbe heraus. Es hat so ausgesehen, als würde es da eigentlich nicht dazu gehören und ob das wirklich so war, haben Jeremy Bellucci vom Schwedischen Naturhistorischen Museum und seine Kollegen untersucht.
Das nur zwei Gramm leichte Stück hellen Gesteins bestand aus Quartz, Feldspat und Zirkon. Das sind Gesteinsarten, die man auf der Erde sehr häufig findet und auf dem Mond eher selten. Ihre Analyse ergab zwei mögliche Arten, wie das Ding entstanden sein konnte. In seiner speziellen Zusammensetzung und kristallinen Struktur kann es sich nur in einer Region tief unter der Mondoberfläche gebildet haben. 170 Kilometer tief, im Mantel des Mondes – nur dort würde der nötige Druck herrschen um das Gestein so zu formen wie es geformt wurde. Allerdings wäre das enorm überraschend. Denn so tief im Mantel des Mondes entstehen normalerweise keine Gesteine aus Quarz und Feldspat. Und da ist es auch eigentlich viel zu heiß als dass sich ein Material wie Zirkon bilden hätte können. Und: So tief ist nicht mal der Asteroid eingedrungen, der damals das Mare Imbrium geschaffen hat. Wie soll das Zeug dann von da unten an die Oberfläche des Mondes kommen?
Die Struktur des Gesteins passt allerdings wunderbar zu den Bedingungen die auf der jungen Erde geherrscht haben. Dort kann so ein Gestein wie das aus der Apollo-Probe in einer wasserreichen Umgebung bei Temperaturen und Drücken entstanden sein, die in nur 19 Kilometer Tiefe herrschen. Also in genau der Region in der man auf der Erde die Entstehung solcher Gesteine erwarten würde. Der seltsame Stein passt viel besser zur Erde als zum Mond; wäre er auf der Erde entstanden, dann gäbe es keine seltsamen Widersprüche wenn man mal davon absieht, dass man das Ding eben auf dem Mond entdeckt hat und nicht auf der Erde.
Besonders interessant war die Untersuchung des Zirkons. Dieses Mineral enthält auch immer geringe Spuren von radioaktiven Elementen wie Uran oder Thorium. Aus der bekannten Rate ihres Zerfalls und den noch vorhandenen Mengen dieser Elemente und den Mengen ihrer Zerfallsprodukte kann man das Alter solcher Gesteine recht genau bestimmen. 4,011 Milliarden Jahre alt ist der Stein, lautete das Ergebnis in diesem Fall. Das ist wirklich alt; immerhin ist die Erde selbst erst vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden.
Auch hier bei uns haben wir schon extrem alte Zirkone gefunden. Die ältesten sind 4,4 Milliarden Jahre alt, stammen also wirklich aus der Zeit unmittelbar nach der Entstehung der Erde. Hier sind aber quasi nur noch die Zirkone selbst original. Das sie ursprünglich umgebende Gestein wurde im Laufe der Zeit zerstört und die Zirkone in andere und jüngere Gesteine eingebettet. Die Zirkone vom Mond befinden sich aber immer noch in ihrem ursprünglichen Gestein. Und der dort gefundene Brocken wäre demnach der älteste Stein der Erde.
Was aber macht das Ding auf dem Mond? Es könnte so abgelaufen sein: Der Stein ist in der Kruste der jungen Erde entstanden, vor 4,011 Milliarden Jahren. Dann schlug dort ein Asteroid ein – etwas was zu dieser Zeit noch viel häufiger stattfand als heute. Damals war gerade die Phase des “Late Heavy Bombardements”, über das ich in Folge 68 der Sternengeschichten mehr erzählt habe. Damals schlugen viel mehr Asteroiden auf Erde und Mond ein als davor oder danach und bei einem dieser Einschläge könnte Material von der Erde so weit empor geschleudert worden sein, dass es im Weltall gelandet ist. Ein Teil davon fliegt dort vielleicht heute noch herum. Ein Teil wird irgendwann wieder auf der Erde gelandet sein. Und ein Teil kann auch bis zum Mond gelangt und dort eingeschlagen sein. So ist unser Stein von der Erde auf dem Mond gelangt. Dort ist er dann bei anderen Einschlägen zuerst unter die Oberfläche gelangt, dann wieder herausgeschleudert worden und schließlich am Rand des Cone-Kraters gelandet, wo er dann am am 6. Februar 1971 von Alan Shepard aufgesammelt wurde.
“Hier ist ein football-großer Stein (…) Er sieht so aus als gehört er zu den in dieser Gegend am weitesten verbreiteten Gesteinen.” sagt Shepard, während ihm sein Kollege Ed Mitchell dabei hilft, den schweren Stein aufzusammeln. Am 9. Februar 1971 landete der Stein dann gemeinsam mit den Astronauten wieder auf der Erde. Nach mehr als 4 Milliarden Jahren ist ein kleines Stück Erde nach einem langen Ausflug wieder zurück an den Ort seiner Geburt gekommen.
Es war natürlich ein enormer Zufall, dass die Apollo-Astronauten gerade dieses Stück vom Mond aufgesammelt haben. Immerhin war eines der wichtigsten Ziele der ganzen Mission ja das Sammeln von MONDgestein. Damit, dass man dabei ein Stück von der Erde erwischt, konnte niemand rechnen. Andererseits wollte man durch das Mondgestein ja die Entstehungsgeschichte des Mondes besser verstehen. Und das ist mit diesem speziellen Stück Fels durchaus gelungen. Erde und Mond gehören zusammen; sie haben eine gemeinsame Geschichte und “Big Bertha” zeigt uns, wie eng verknüpft ihre Vergangenheit war. Auf der Erde haben wir ja schon einige Mondmeteoriten gefunden, also Gestein vom Mond das von Einschlägen dort auf die Erde geschleudert wurde. Und es wird neben Big Bertha sicherlich noch weitere Erdmeteoriten auf dem Mond geben. Ob man in den 382 Kilogramm an Material, dass die Apollo-Missionen insgesamt eingesammelt haben, noch weitere Stücke von der Erde findet, muss sich noch zeigen. Aber auf dem Mond gibt es sicher noch etwas und wir sollten uns auf die Suche danach machen.
Denn wenn wir die Geschichte der Erde und ihre Entstehung verstehen wollen, dann brauchen wir Gestein aus ihrer Anfangszeit. Hier bei uns ist das durch die geologischen und tektonischen Prozesse weitestgehend zerstört worden. Aber auf dem Mond könnte es gut konserviert auf uns und unsere Forschung warten.
Wie viele Erdmeteorite wir in Zukunft wieder zurück nach Hause bringen können, wird sich noch zeigen. Eine ganz andere meteoritische Rückführung wird aber im Jahr 2020 stattfinden. Da schickt die NASA ihren “Mars 2020”-Rover auf unseren Nachbarplaneten. Der soll dort unter anderem Marsgestein einsammeln und wird auch ein Experiment mit an Bord haben, das den schönen Namen SHERLOC trägt. Das steht für “Scanning Habitable Environments with Raman & Luminescence for Organics and Chemicals”, dient zur exakten chemischen Analyse von Gesteinen und benützt dafür einen Laser. Der muss vor seinen Einsätzen entsprechend kallibriert werden und das an einem Stück Stein, dessen Eigenschaften nicht nur vorab schon sehr genau bekannt sein müssen, sondern das auch dem echten Marsgestein möglichst ähnlich ist. Warum also nicht gleich echtes Marsgestein verwenden, dachte sich die NASA und hat sich ein Stück eines Marsmeteoriten besorgt. Denn auch die gibt es hier auf der Erde: Felsbrocken vom Mars, die dort bei längst vergangenen Einschlägen ins All geschleudert wurden, dann durchs All flogen und irgendwann bei uns auf der Erde gelandet sind.
In diesem Fall haben sie SaU008 verwendet, einen Meteroiten den man 1999 in der Wüste von Oman entdeckt hat. Und der nun wieder zurück nach Hause kommt. Big Bertha und SaU008 sind ja nur Steine. Aber es wäre trotzdem irgendwie interessant zu wissen, was sie von all dem halten. Freuen sie sich, dass sie wieder auf ihre Heimatplaneten kommen? Oder denken sie sich vielleicht: “Verdammt! Jetzt bin ich so lange durchs Weltall geflogen um einen anderen Himmelskörper zu erreichen und dann kommen irgendwelche Typen und schleppen mich wieder dorthin, wo ich angefangen habe!”
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