“Physik ist, wenn’s knallt” lautet der Titel eines Buchs das mir kürzlich aufgefallen ist. Darin geht es – wie der Untertitel erklärt – um folgendes: “Wie man selber Trockeneis herstellt und mit Käse einen Menschen schweben lässt ─ Experimentierspaß aus dem echten Leben mit den Physikanten”. Die Physikanten veranstalten Wissenschaftsshows auf Bühnen, im Fernsehen und anderswo und dort knallt es augenscheinlich sehr oft. Wie man einige der Show-Experimente selbst durchführen kann ist das Thema des Buches; über das ich jetzt aber eigentlich gar nicht reden will. Mich beschäftigt die Aussage aus dem Titel.
Ist es wirklich dann Physik, wenn es knallt? Oder, im Kontext des Buches formuliert, kann (oder muss) man Physik mit einem “Knall” präsentieren, wenn man diese Wissenschaft der Öffentlichkeit vermitteln will? Ich bin natürlich der letzte, der den Wert von spektakulären Experimenten bestreitet, wenn es um die Vermittlung von Wissenschaft geht. Immerhin nutze ich ja genau das, wenn ich mit den Science Busters auf der Bühne stehe. Es ist unbestritten, dass die Leute zusehen, wenn es “knallt”. Aber ich bin auch der Meinung, dass man da nicht halt machen darf. Weil Physik eben nicht nur dann ist, wenn es knallt. Physik (bzw. Naturwissenschaft) ist immer und wenn man sie nur auf spekatkuläre Explosionen o.ä. reduziert, tut man ihr Unrecht!
Kurzer Einschub: Ich sag es zur Sicherheit dazu: Ich werfe den Physikanten nicht vor der Physik Unrecht zu tun. Der Titel ihres Buches hat mich nur angeregt mir über Wissensvermittlung Gedanken zu machen. Das was ich schreibe hat nichts mit dem Buch oder den Physikanten zu tun.
Klar ist es einfach, irgendwas explodieren zu lassen. Oder sonst irgendein spektakuläres “Bumm” zu produzieren damit die Leute aufmerksam werden. Aber viel spannender ist das, was hinter dem “Bumm” steckt. Und DAS zu vermitteln; diese Spannung und die Faszination die allen Dingen innewohnt ist meiner Meinung nach das eigentliche Ziel. Das lässt sich auf vielen Wegen erreichen und die großen Explosionen und Show-Experimente sind nur einer davon.
Eines meiner Lieblingsexperimente besteht zum Beispiel darin, eine Ansichtskarte per Magnet an einem Kühlschrank zu befestigen. Ok, das ist auf den ersten Blick nicht sehr spektakulär. Aber es geht ja gerade darum, nicht beim ersten Blick stehen zu bleiben. Sondern genau hinzusehen: Ein kleiner Magnet, der nicht größer als ein Zentimeter zu sein braucht, hält eine Postkarte fest. Sie fällt nicht runter. Obwohl – und das ist der Punkt an dem es spannend wird – die gesamt Erde mit ihrer gesamten Masse und Gravitationskraft daran zieht! Der winzige Magnet ist stärker als unser riesiger Planet! Warum ist das so? Was kann der Magnet, dass die Erde nicht kann?
Von diesem Phänomen ausgehend kann man jede Menge Geschichten erzählen. Man kann die Frage nach dem Unterschied zwischen elektromagnetischer Kraft und Gravitationskraft stellen und bemerken, dass die erste offensichtlich sehr viel stärker als die zweite ist. Was wir aber im Alltag nicht so wirklich direkt merken; da kommt uns die Gravitationskraft viel stärker vor, was unter anderem damit zu tun hat, das es zwar positive und negative elektrische Ladungen gibt aber die Gravitationskraft nur “positiv” ist. Man kann sich überlegen, was es bedeutet, dass die Gravitationskraft so viel schwächer ist als die anderen Kräfte; was daraus folgt und vor allem warum das so ist. Und wir dann schnell bei den absoluten Fundamenten der Naturwissenschaft landen; bei versteckten Dimensionen der Raumzeit, bei der Stringtheorie und bei den Grenzen dessen, was wir wissen können. Denn wir haben momentan genaugenommen noch keine Ahnung, warum die Gravitationskraft so schwach ist. Dazu bräuchten wir eine Theorie die in der Lage ist, Elektromagnetismus und Gravitation gleichzeitig zu beschreiben; eine Theorie die alle Kräfte im Kosmos vereinheitlicht, eine Theorie der “Quantengravitation” nach der seit Jahrzehnten gesucht wird und die wir trotzdem nicht gefunden haben. Ohne diese Theorie können wir nicht verstehen, wie schwarze Löcher wirklich funktionieren; wie das mit dem Urknall wirklich war, und so weiter. Und ohne diese Theorie können wir auch nicht wirklich verstehen, warum der Magnet in der Lage ist, die Ansichtskarte festzuhalten.
Das extrem unscheinbare “Experiment” eröffnet also einen Blick auf die Fundamente von Raum und Zeit; auf Anfang und Ende des Universums; und auf jede Menge andere höchst faszinierende Phänomene. Man muss aber eben auch hinsehen. Genau das ist Problem mit dem man sich auseinandersetzen muss, wenn man nur auf ein großes “Bumm” setzt. Dann kriegt nämlich das die ganze Aufmerksamkeit und die Versuchung ist groß, es dabei zu belassen. Ich sehe das immer wieder mal im Fernsehen: Da wird im Rahmen irgendeiner Sendung ein Experiment präsentiert wo es kracht, knallt oder sonst irgendwie spektakulär ist. Aber mit der so generierten Aufmerksamkeit wird dann nichts angefangen; es wird kaum irgendwas konkretes an Wissenschaft vermittelt außer: “Schaut wie cool die Physik ist. Sie kann knallen!”. Was ja einerseits stimmt – andererseits aber auch das Vorurteil verstärkt, es Wissenschaft wäre immer dann nicht cool, wenn es nicht knallt!
Ich habe über dieses Problem schon vor ein paar Jahren angesichts der Chemie geschrieben, die ja ebenfalls mit dem “Es muss knallen und stinken”-Dogma konfrontiert ist. Da hatte der Chemiker Andrea Sella den Stand der Wissenschaftskommunikation in dieser Disziplin so beschrieben: “Wir haben die letzten 300 Jahre im wesentlichen damit verbracht, Dinge in die Luft zu jagen.” und gefordert, dass sich das ändern sollte. Was aber natürlich für alle Wissenschaft und jegliche Wissenschaftskommunikation gilt.
Experimente sind wichtig wenn es darum geht, Wissenschaft interessant und anschaulich zu vermitteln. Spektakuläre Experimente sind dabei natürlich am besten. Aber “spektakulär” darf man eben nicht nur mit “große Explosionen” gleich setzen. Ich finde den Magneten am Kühlschrank höchst spektakulär! Und wenn man sich Mühe gibt, kann man das auch vermitteln. Experimente dürfen nie zum Selbstzweck werden bzw. einem reinen Show-Element. Zumindest dann nicht, wenn das eigentliche Ziel die Wissenschaftskommunikation ist. Physik ist, wenn’s knallt – ja. Aber Physik ist auch, wenn man den Kopf voll mit Gedanken hat von denen man zuvor nicht einmal wusste, dass man sie haben kann! Physik ist, wenn der Blick auf die Welt ein völlig anderer ist als zuvor. Physik ist, wenn man hinter die Welt unseres Alltages blicken kann und dort ein ganz neues Universum der Faszination entdecken kann.
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