In unserer Milchstraße gibt es 36 außerirdische Zivilisationen (35, wenn man uns nicht mitzählt)! Haben Wissenschaftler berechnet. Mit echter Mathematik und so. Steht überall in großen Schlagzeilen in den Medien. Es gibt sogar eine wissenschaftliche Facharbeit dazu – “The Astrobiological Copernican Weak and Strong Limits for Extraterrestrial Intelligent Life” – die 47 Seiten lang und voll mit Formeln und Zahlen ist. Wo auch tatsächlich genau das drin steht: Dass es in unserer Milchstraße mindestens 36 außerirdische Zivilisationen geben sollte die fähig wären, mit uns zu kommunizieren. Was aus all dem aber definitiv nicht folgt, ist dass es diese 36 Zivilisationen tatsächlich gibt. Um das festzustellen muss man aber zumindest ein klein wenig genauer auf die Forschungsarbeit schauen und nicht nur immer wieder diese eine spektakulär klingende Zahl von “36 außerirdischen Zivilisationen!!” wiederholen.
Sich über außerirdisches Leben Gedanken zu machen ist absolut nicht verwerflich und durchaus Teil der seriösen Astronomie. Selbst dann, wenn man sich über intelligentes außerirdisches Leben macht und darüber, ob und wie man mit solch einer Zivilisation Kontakt aufnehmen oder sie entdecken kann. Und natürlich kann man auch Statistik betreiben und versuchen zu schätzen, wie häufig (intelligentes) Leben im Universum sein könnte. Das Problem an der Sache mit der Statistik ist allerdings das wir als Grundlage für sämtliche Schätzungen bis jetzt nur genau einen einzigen Datenpunkt haben (nämlich die Existenz unserer eigenen Zivilisation) und den noch nicht mal vernünftig verstanden haben. Und wenn man aus einem einzigen Datenpunkt Vorhersagen ableiten will, muss man ganz genau darauf aufpassen, was man tut.
Tom Westby und Christopher J. Conselice von der Universität Nottingham die die aktuelle Arbeit verfasst haben, haben das getan. Ich möchte jetzt nicht die komplette, sehr ausführliche Facharbeit nacherzählen. Im Prinzip geht es um die bekannte “Drake-Gleichung”. Die stammt aus dem Jahr 1961 und mit ihr soll es möglich sein, exakt zu berechnen wie viele andere Zivilisationen in unserer Milchstraße existieren. Was in der Theorie sogar stimmt. In der Praxis aber nicht, wie ich zum Beispiel hier ausführlich erklärt habe. Denn um die Rechnung durchführen zu können muss man zum Beispiel wissen, wie viele Planeten in der Milchstraße lebensfreundliche Bedingungen aufweisen. Oder auf wie vielen Planeten Leben entstanden ist. Und das wissen wir eben nicht. Das können wir nur schätzen und nicht mal das können wir vernünftig. Die Drake-Gleichung kann daher beliebige Ergebnisse liefern, je nachdem welche Schätzwerte man da einsetzt.
Westby und Conselice haben die Drake-Gleichung ein wenig modifiziert so dass man weniger schätzen muss. Aber auch da kommen Zahlen drin vor, die wir schlicht und einfach (noch) nicht kennen, zum Beispiel die Menge an Planeten die sich in der sogenannten “habitablen Zone” um ihren Stern befinden und lebensfreundliche Bedingungen aufweisen. Ich will gar nicht auf die Details dieser “neuen Drake-Gleichung” eingehen. Viel wichtiger sind nämlich die Annahmen die Westby und Conselice treffen um ihre Berechnungen durchführen zu können. Das sind im wesentlichen zwei unterschiedliche Annahmen: 1) das “Weak Astrobiological Copernican scenario” das besagt, dass intelligents Leben auf einem Planeten mit entsprechend lebensfreundlichen Bedingungen frühestens nach 5 Milliarden Jahren entstehen kann. Und 2) das “Strong Astrobiological Copernican scenario” laut dem sich intelligentes Leben auf einem Planeten mit entsprechend lebensfreundlichen Bedingungen immer 4,5 bis 5,5 Milliarden Jahren nach der Entstehung so eines Planeten bilden kann.
Die Begründung für beide Annahmen lautet: Bei uns auf der Erde ist genau das passiert. So was kann man natürlich machen. Wenn es auf der Erde intelligentes Leben und auf der Erde dieses intelligente Leben circa 5 Milliarden Jahre nach der Entstehung des Planeten entstanden ist, dann kann man das zum allgemeinen Prinzip erheben und sagen, dass es so wie bei uns auch überall anders abläuft. Denn warum sollten wir ein Spezialfall sein? Wie gesagt: Das kann man machen. Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein, dass man hier sehr viel auf sehr wenig aufbaut. Klar, es wäre seltsam, wenn wir ein Spezialfall wären. Aber was heißt schon “Spezialfall”? Wir wissen zum Beispiel, dass ein Stern mit Planeten absolut nichts besonderes ist. Jede Menge Sterne haben Planeten. Aber wir haben in den letzten Jahrzehnten auch gelernt, dass da eine große Vielfalt gibt. Wir haben bei anderen Sternen Planetentypen gefunden, die es bei uns nicht gibt – riesige Gasplaneten in unmittelbarer Nähe des Sterns (“heiße Jupiter”), Gesteinsplaneten die größer als die Erde sind (“Supererden”), usw – und trotz langer Suche haben wir noch kein Planetensystem entdeckt dass so aussieht wie unser Sonnensystem. Planeten an sich sind also nicht speziell. Aber vielleicht ist die konkrete Struktur unseres Sonnensystems etwas, was man nicht sehr oft findet? Wissen wir momentan schlicht und einfach nicht…
Genau so ist es mit dem Leben. Auf der Erde ist definitiv Leben entstanden; vor circa 3,5 Milliarden Jahren. Und nachdem dieses Leben 3,5 Milliarden Jahren recht zufrieden damit war, als Mikroorganismen und simple Einzeller zu existieren, ist vor – aus astronomischer Sicht – kurzer Zeit komplexer geworden und quasi erst gestern ist dann auch intelligentes Leben entstanden. Warum? Und warum erst so spät? Wissen wir nicht… Wir wissen nicht, was genau alles für Bedingungen erfüllt sein müssen, damit überhaupt Leben entsteht und wir wissen nicht, was konkret passieren muss, damit aus Leben intelligentes Leben wird. Ebenso wissen wir nicht, auf welchen Zeiträumen sich das abspielt und ob die 3,5 Milliarden Jahre “Wartezeit” auf die irdische Intelligenzt typisch sind oder nicht.
Die Annahmen die Westby und Conselice getroffen haben kann man also durchaus treffen. Aber nur weil man sie getroffen hat folgt daraus nicht, dass sie auch die Realität beschreiben! Man muss halt irgendwelche Annahmen treffen weil man sonst überhaupt keine Berechnungen durchführen kann. Mit diesen Annahmen (es gibt auch noch ein paar andere Fälle die in der Arbeit untersucht worden sind) und diversen konkreten astronomischen Daten über die Häufigkeit und das Alter von Sternen, Planeten, und so weiter; mit Schätzungen über die Lebensdauer von Zivilisationen und jeder Menge Statistik kann man dann diverse Zahlen berechnen. Eine davon ist die mit den 36 außerdirdischen Zivilisationen. Was in den Medien aber meistens nicht erwähnt wird, sind die Fehlergrenzen. Denn wir haben die Sterne und Planeten ja nicht Stück für Stück abgezählt; die aus den Beobachtungsdaten abgeleiteten Werte sind mit Fehlern behaftet und das führt zu Fehlern beim Ergebnis. Und in dem Fall sind es nicht exakt 36 Zivilisationen. Sondern irgendwas zwischen 4 und 211 Zivilisationen!
Aber hey! Immerhin mindestens 4 Alienzivilisationen! Oder halt 3, weil wir selbst stecken in der Rechnung ja auch drin! Mindestens drei außerdirdische Völker in unserer Galaxis; das ist doch eine sehr coole Information! Im Prinzip schon – aber selbst dieser untere Wert des Fehlerbalkens basiert auf der Annahme das sich Leben anderswo genau so entwickelt wie es das hier bei uns getan hat. Wenn man an diese Annahme glaubt, kann man auch an die 3 oder 36 oder 211 Zivilisationen glauben. Und wenn man nicht an die Annahme glaubt, dann kann man auch an irgendwelche beliebigen anderen Zahlen zwischen 1 und unendlich glauben.
Ich sage nicht, dass solche Arbeiten wie die von Westby und Conselice unnötig oder schlecht sind. Das sind sie definitiv nicht. Man kann durch die Beschäftigung mit diesen Themen sehr viel lernen. Was man aber eben nicht lernen kann ist die genaue (oder selbst geschätzte) Anzahl an außerirdische Zivilisationen. Dazu haben wir schlicht und einfach nicht genug Informationen. Wir müssen entweder vernünftig verstehen wie und unter welchen Bedingungen (intelligentes) Leben entsteht. Oder mindestens noch einen weiteren Datenpunkt (d.h. eine andere Zivilisation) finden. Beides wird vermutlich nicht so schnell passieren…
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