Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 430: Weiße Löcher
Über schwarze Löcher habe ich in den Sternengeschichten schon viel erzählt. Und wenn man sich mit dem Thema beschäftigt, dann taucht früher oder später irgendwann der Begriff “Weißes Loch” auf. Was also ist ein weißes Loch? Die einfache Antwort: Ein weißes Loch ist wie ein schwarzes Loch, nur umgekehrt. Vielen Dank fürs zuhören, das wars für heute.
Nein, natürlich ist die simple Erklärung nicht genug. Sie ist zwar nicht komplett falsch, aber sie ist auch wenig hilfreich. Das Problem mit einer längeren Erklärung ist allerdings das Problem, das immer auftaucht wenn man über Kosmologie, schwarze Löcher und ähnliche Themen spricht. Da geht es um Phänomene, die absolut nichts mit unserem alltäglichen Leben zu tun haben. Es geht um Phänomene, die sich weit abseits von dem abspielen, was unser Gehirn im Laufe der Evolution zu verstehen gelernt hat. Will man sich zum Beispiel das Universum als ganzes vorstellen, dann muss man sich ein vierdimensionales Objekt vorstellen. Das können wir schlicht und einfach nicht. Wir müssen uns einen dreidimensionalen gekrümmten Raum vorstellen, was zwar theoretisch geht, aber nicht einfach ist, weswegen wir uns dann halt meistens damit begnügen, uns das übliche Gummituch mit einer Bowlingkugel drin vorzustellen. Was sehr viel einfacher ist, aber eben nur ein zweidimensionales Objekt, das sich in einem dreidimensionalen Raum krümmt. So funktioniert die echte Raumkrümmung im Universum nicht; es befindet sich auch nicht in einem höherdimensionalen Raum, in den hinein es sich krümmt oder in den hinein es sich ausdehnt. Aber das können wir uns halt nicht vorstellen.
Es soll aber in dieser Folge nicht darüber gehen, was wir uns über das expandierende Universum nicht vorstellen können, sondern über das, was wir uns über schwarze und weiße Löcher nicht vorstellen können. Und das ist fast alles. Solche extremen Objekte können wir zwar durchaus wissenschaftlichen erforschen. Aber die Art und Weise wie wir sinnvoll darüber nachdenken, benötigt Mathematik. Wir können ein schwarzes Loch mathematisch beschreiben, wir können die Mathematik durch die es beschrieben wird erforschen und so zu neuen Erkenntnissen kommen. Aber es ist eben abstrakte Mathematik, die genau deswegen abstrakt ist, weil sie nicht intuitiv vorstellbar ist. Ich erkläre das alles deswegen so genau, weil das bei den weißen Löcher genau so ist; vielleicht sogar noch ein wenig schlimmer. Alles was ich im folgenden erkläre, ist genau genommen der Versuch etwas zu veranschaulichen, was sich nicht veranschaulichen lässt. Da ich in diesem Podcast aber nicht nur mathematische Gleichungen aufsagen möchte, probiere ich es trotzdem.
Fangen wir noch mal mit den schwarzen Löcher an. Im Detail habe ich in den Folge 40 und 41 darüber gesprochen; in Folge 238 bin ich noch mehr ins Detail gegangen. Das wichtigste Konzept das man hier verstehen muss, ist der Ereignishorizont. Wenn irgendwo im Universum Masse rumliegt, übt sie eine Gravitationskraft aus. Wie stark diese Kraft ist, hängt einerseits von der Menge an Masse ab. Und andererseits davon, wie nahe man dieser Masse kommt. Man kann normaler Masse aber nicht beliebig nahe kommen. Wir Menschen sind zum Beispiel der gesamten Masse der Erde schon so nahe, wie es nur geht. Wir laufen direkt auf ihrer Oberfläche rum, noch näher geht es nicht. Die Anziehungskraft die wir von der Erde spüren ist schon die für uns maximal spürbare. Sie könnte aber größer sein. Denn auch wenn der Boden unter unseren Füßen direkt unter uns ist, ist sehr viel mehr Masse der Erde weiter weg. Immerhin reicht der Boden ja 6371 Kilometer bis zum Erdmittelpunkt und dann nochmal die gleiche Distanz bis zur anderen Seite der Erde. Die Masse dort ist also über 12.000 Kilometer von uns entfernt und dementsprechend schwächer ist ihre Anziehungskraft. Könnten wir die Erde auf eine Kugel mit 10 Meter Durchmesser zusammendrücken, dann wäre wir auf der Oberfläche dieser Kugel der Masse sehr viel näher. Die andere Seite wäre ja jetzt nur 10 Meter weit weg. Wir würden die Anziehungskraft der Erdmasse sehr viel stärker spüren! Und es würde uns sehr viel schwerer fallen, die Erde zu verlassen. Was ja jetzt schon nicht leicht ist; wir müssen die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit von 11,2 Kilometer pro Sekunde erreichen, wenn wir die Erde dauerhaft verlassen wollen und das geht nur mit Raketen. Auf der geschrumpften Erde müssten wir noch deutlich schneller werden, wenn wir der viel stärkeren Anziehungskraft entkommen wollen.
Würden wir die Masse der Erde auf einen Durchmesser von weniger als einem Zentimter zusammendrücken, dann würde etwas seltsames passieren. Dann wäre die nötige Fluchtgeschwindigkeit um von dieser kleinen, aber sehr massereichen Kugel zu entkommen, größer als die Lichtgeschwindigkeit. Was so viel heißt wie: Wir wären nicht in der Lage, zu entkommen. Denn nichts kann sich schneller als das Licht bewegen. Wir wären auf ewig auf dieser Kugel gefangen. Genau das ist der Ereignishorizont: Der Abstand von einer Masse, bei dem die Fluchtgeschwindigkeit größer als die Lichtgeschwindigkeit wird. Damit ist klar, dass man einen Ereignishorizont nur bekommt, wenn man ausreichend viel Masse ausreichend stark komprimiert. Das ist bei den meisten Objekten im Universum nicht so. Ein Stern wie unsere Sonne müsste beispielsweise auf weniger als 6 Kilometer Durchmesser gequetscht werden, um einen Ereignishorizont zu kriegen. Solche Kräfte existieren normalerweise nicht. Bei sehr großen Sternen kann es aber trotzdem passieren. Wenn die am Ende ihres Lebens keine Kernfusion mehr betreiben können, dann fällt das ganze Ding unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammen. Der nach außen gerichtete Druck der Strahlung fällt weg und alles wird immer stärker komprimiert. Ist die Masse des Sterns groß genug, wird die Masse so stark zusammengedrückt, dass ein Ereignishorizont entsteht. Dann kriegen wir ein echtes schwarzes Loch; wie zum Beispiel im Fall von Cygnus X-1, den ich in Folge 406 genauer erklärt haben.
Wir wissen, dass schwarze Löcher beim Tod sehr großer Sterne entstehen können. Oder besser gesagt: Wir wissen, dass große Sterne nach ihrem Tod so weit in sich zusammenfallen können, dass sich ein Ereignishorizont um sie herum bildet. Was hinter dem Ereignishorizont ist, wissen wir nicht. Unsere Theorien sagen vorher, dass die gesamte Masse sich in einem einzigen Punkt vereint, einer sogenannten Singularität. Aber das ist nur ein Zeichen dafür, dass die Theorien in diesen Extremfällen nicht mehr funktionieren. Im realen Universum kann es keine “Punkte” geben. Irgendeinen Zustand wird die Masse des Sterns hinter dem Ereignishorizont schon einnehmen – aber wir haben keine Ahnung, wie der aussieht.
Ich habe jetzt schon ziemlich viel erzählt, ohne etwas über die weißen Löcher zu sagen. Aber wir müssen erst mal ein paar Dinge über schwarze Löcher klären, bevor wir damit anfangen können. Schwarze Löcher sind zwar reale astronomische Objekte. Aber wir haben sie eben noch nicht wirklich gut verstanden. Die Theorie, mit der wir sie derzeit verstehen wollen, ist Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie. Die funktioniert wirklich sehr gut, aber nur dann, wenn die Größe der Objekte nicht zu klein werden. Wenn wir es mit etwas zu tun haben, das so schwer wie ein ganzer Stern ist, aber so weit komprimiert wurde, dass es nur noch so groß wie ein winziges Teilchen ist, dann weiß die Relativitätstheorie nicht mehr, was zu tun. Da bräuchte man dann eigentlich noch die auf die Beschreibung kleinster Teilchen spezialisierte Quantenmechanik. Aber die kann dafür nicht mit Gravitationskräften umgehen. Aber wenn wir jetzt einfach mal dem folgen, was uns die Relativitätstheorie sagt, dann sagt uns deren Mathematik, dass beim Kollaps einer Masse irgendwann eine Singularität entsteht die von einem Ereignishorizont umgeben ist. Die mathematischen Gleichungen sind aber zeitsymmetrisch. Was so viel heißt wie: Wenn ich in den Formeln einfach das Vorzeichen der Variable für die Zeit ändere, dann kriege ich eine Lösung, die rein mathematisch genau so gültig ist wie die andere. Oder anders gesagt: Wenn eine meiner Lösungen ein schwarzes Loch beschreibt, dann habe ich immer auch eine zweite Lösung, die ein weißes Loch beschreibt. Man kann sich ein weißes Loch also als die zeitliche Umkehr eines schwarzen Lochs vorstellen. Was man aber nicht tun sollte, weil dann alles nur noch verwirrender wird.
Bleiben wir erst mal bei dem, was noch einigermaßen einfach zu verstehen ist. Ein weißes Loch wird, so wie ein schwarzes Loch, durch einen Ereignishorizont ausgezeichnet. Wenn man sich dem Ereignishorizont eines schwarzen Lochs nähert, dann wird die Anziehungskraft immer stärker und irgendwann komme ich nicht mehr weg. Kommt man aber dem Ereignishorizont eines weißen Loches näher, dann wird es irgendwann immer schwerer, noch näher zu kommen. Und man wird feststellen, dass man sich schneller als das Licht bewegen müsste, um ihn zu überschreiten. Aus einem schwarzen Loch kommt nichts raus, das einmal drin ist. Und in ein weißes Loch kann nichts eindringen; von dort kommt nur raus, was schon drin war.
So wie ich das beschrieben habe, kann man sich ein weißes Loch fast wie ein reales Objekt vorstellen. So wie wir uns halt das dunkle Nichts des schwarzen Lochs vorstellen können, stellen wir uns hier eben ein strahlend weißes Irgendwas vor. Und tatsächlich würde ein weißes Loch auch genau so aussehen. Da nichts rein kommt sondern nur Zeug bzw. Strahlung raus, würde es hell leuchten. Diese Vorstellung ist aber falsch, weil wir den Weg der reinen Mathematik verlassen haben. Das was ich vorhin mit der Zeitsymmetrie der Gleichungen gesagt habe, gilt in einem Universum, in dem gar kein Stern vorhanden ist, aus dem sich ein schwarzes (oder weißes) Loch bilden könnte. Was seltsam klingt, aber funktioniert. Die Mathematik muss nicht wissen, wie ein schwarzes Loch entsteht. Wenn da einmal eine Singularität ist, dann steckt sie in den Gleichungen; dann braucht es auch keinen realen Prozess, der so etwas erzeugt. Sich auszudenken, wie das rein mathematisch beschriebene Objekt im echten Universum entstehen kann, ist Sache der Astronomie, nicht der Mathematik. Und die mathematischen Formeln sind viel einfacher, wenn keine störende Masse rumliegt. Man kann also mathematisch ein Universum beschreiben, das Ereignishorizonte enthält. Sowohl welche von schwarzen, als auch welche von weißen Löchern. Würde man in diese mathematische Beschreibung nun aber auch noch sowas wie Sterne inkludieren, dann würden die weißen Löcher verschwinden. Sie wären dann keine vernünftigen Lösungen der Gleichung mehr. Und das muss nicht mal ein Stern sein; irgendeine Masse würde reichen, selbst wenn es nur ein einziges Atom ist.
Sich vorzustellen warum das so ist ohne die Mathematik genau zu betrachten ist unmöglich. Aber daraus folgt: Wir würden nur dann weiße Löcher im Universum haben, wenn das Universum schon direkt von Anfang an weiße Löcher gehabt hätte. Es gibt allerdings keinen Grund, warum das so sein hätte sollen. Und dann ist ja im realen Universum jede Menge Masse entstanden. Wenn da weiße Löcher gewesen wären, wären sie schon längst wieder weg. Oder anders gesagt: Auch wenn weiße Löcher rein mathematisch mit den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie beschreibar sind, heißt das nicht, dass sie auch tatsächlich existieren müssen. Es gibt keinen bekannten Mechanismus, mit dem sie entstehen könnten und es gibt auch weder einen Grund noch irgendwelche Anzeichen dafür, dass ein uns noch unbekannter Mechanismus existiert. Wir verwenden die Mathematik, weil sie eben auch jede Menge vernünftige Lösungen produziert mit denen wir reale Beobachtungen beschreiben können, wie eben die schwarzen Löcher, die tatsächlich im All existieren. Aber wir wissen auch, dass die Mathematik die wir verwenden, nicht die absolut richtige Mathematik ist. Es ist eine sehr gute Annäherung an die richtige Mathematik, sonst würden sich damit nicht so viele Beobachtungen so genau beschreiben lassen. Aber weil wir eben wissen, dass wir für eine vollständige Beschreibung eine Kombination aus Relativitätstheorie und Quantenmechanik brauchen, und wir diese Kombination nicht haben, folgt daraus, das unsere Mathematik unvollständig ist. Es ist also nicht überraschend, dass wir nicht mit allen Lösungen die sie produziert etwas anfangen können.
Nach allem was wir derzeit wissen, sind weiße Löcher nur eine mathematische Kuriosität. Wir haben weder irgendwo im All Beobachtungen gemacht, die nur durch die Existenz weißer Löcher erklärbar wären, noch auch nur annähernd irgendeinen Mechanismus ausmachen können, der zur Bildung von weißen Löchern führt. Früher dachte man mal, dass Quasare vielleicht weiße Löcher wären. Ich habe ja schon in Folge 52 ausführlich über die Dinger gesprochen. Die leuchten tatsächlich absurd hell und als man sie in den 1960er Jahren entdeckt, hatte man keine Ahnung worum es sich da handelt. Aber mittlerweile wissen wir sehr gut, dass es sich um die Zentren von fernen Galaxien handelt, in denen ein SCHWARZES Loch sitzt und mit seiner Gravitationskraft die Materie dort so schnell beschleunigt, dass sie zu leuchten beginnt. Und im Gegensatz zu den weißen Löchern gibt es bei dens chwarzen Löcher nicht nur Mechanismen wie den Kollaps eines Sterns der einen Ereignishorizont produziert, sondern wir haben auch immer wieder Beobachtungen gemacht die nur durch das Vorhandensein von viel Masse auf sehr kleinem Raum erklärt werden konnten. Schwarze Löcher sind faszinierend. Weiße Löcher mit Sicherheit auch. Aber im Gegensatz zu den schwarzen Löchern sind die weißen Löcher nicht real.
Die Forschung beschäftigt sich weiter damit, weil es eine gute Möglichkeit ist, die Mathematik die dem ganzen zugrunde liegt besser zu verstehen. Und die weißen Löcher werden sicherlich auch weiterhin die Fantasie der Menschen anregen. Ebenso wie Wurmlöcher, die übrigens eng mit den weißen Löchern verwandt sind (und aus den gleichen Gründen wie die weißen Löcher mit ziemlicher Sicherheit nicht real sind, aber das wäre ein Thema für eine andere Folge). Irgendwann kriegen wir vielleicht eine bessere Mathematik um das Universum zu beschreiben. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die weißen Löcher dann einfach aus unseren Theorien verschwinden. Vielleicht lernen wir aber auch etwas völlig neues, von dem wir jetzt noch nicht einmal wissen, das wir es lernen können. Genau deswegen treiben wir ja die Wissenschaft!
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