Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 448: Der Asteroid Apophis
Ein Astronom (so gut wie nie eine Astronomin) steht in der Kuppel einer Sternwarte. Er blickt durch ein Teleskop und erschrickt plötzlich. Er springt auf, läuft zu einem Computer, tippt ein bisschen darauf rum. Panisch greift er zum Telefon während wir am Bildschirm zusehen können, wie ein Asteroid mit einer großen Explosion auf der Erde einschlägt. Tja. So ungefähr sehen die Szenen zu Beginn der einschlägigen Katastrophenfilmen aus, in deren weiteren Verlauf die Menschheit den Weltuntergang durch einen Asteroideneinschlag abwehren muss.
Solche Filme mögen zwar unterhaltsam sein. Mit der Realität haben sie aber natürlich nichts zu tun. Wenn wir wirklich mal einen Asteroid finden sollten, der sich auf einem Kollisionskurs mit der Erde befindet, würde das ganz anders ablaufen. Was man sehr schön am Beispiel des Asteroids Apophis sehen kann – bei dem es tatsächlich mal so aussah, als könnte er auf der Erde einschlagen.
Roy Tucker, David Tholen und Fabrizio Bernardi, zwei amerikanische Astronomen und einer aus Italien, haben am 19. Juni 2004 bei Beobachtungen am Kitt Peak National Observatorium in Arizona einen Asteroid entdeckt. Was an sich noch nicht weiter ausgewöhnlich wäre. Asteroiden werden andauernd entdeckt; es gibt ja auch enorm viele davon im Sonnensystem. So wie alle frisch entdeckten Asteroiden hat auch dieser eine sogenannte “provisorische Bezeichnung” bekommen. Also eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen, die vom Zeitpunkt der Beobachtung abhängen. In diesem Fall war das “2004 MN4”. Und haben die drei dann sofort den amerikanischen Präsidenten, die UNO, das Pentagon oder den ADAC angerufen? Nein, natürlich nicht. Wieso auch? Man wusste ja zu diesem Zeitpunkt nur: Da ist ein Asteroid. Und konnte aus den ersten Beobachtungen nur eine vorläufige Umlaufbahn berechnen. Das ist immer so; das ist auch verständlich: Je weniger Beobachtungspunkte man hat, desto ungenauer ist die daraus berechnete Bahn. Man wusste zwar, dass es sich um einen erdnahen Asteroid handelt, also die Gruppe von Asteroiden die sich zwischen den Umlaufbahnen von Venus und Mars befinden und von denen ich in Folge 271 mehr erzählt habe. Aber ansonsten wusste man noch nicht viel.
Es dauert, bis man eine Bahn WIRKLICH gut bestimmt hat. So wie man das in den Filmen oft sieht, funktioniert es jedenfalls nicht. Das fängt schon damit an, dass man nicht mit den eigenen Augen durchs Teleskop schaut. Da hängt eine Kamera dran, die Aufnahmen macht. Diese Aufnahmen schaut man sich nachher auf einem Computer an und vergleicht sie mit früheren Bilder der gleichen Himmelsregion. Man sucht nach Lichtpunkten, die auf dem neuen Bild zu sehen sind, auf dem alten aber nicht. Das kann dann aber natürlich ein schon bekannter Asteroid sein, der sich gerade durch die entsprechende Gegend am Himmel bewegt. Oder ein Satellit. Oder ne Supernova. Oder sonst irgendwas. Man muss ein paar mehr Bilder machen und schauen, ob sich der Lichtpunkt ein bisschen bewegt. Idealerweise nicht im Abstand von ein paar Minuten – in so einer kurzen Zeit bewegt sich nicht viel – sondern in ein paar Stunden oder Tagen. Wenn es sich bewegt und wenn es vorher nicht bekannt war, dann stehen die Chancen gut, dass es sich um einen Asteroid handelt. Das kurze Stück der Umlaufbahn, die man dann in den Aufnahmen direkt beobachtet hat, kann man benutzen, um auf die komplette Umlaufbahn zu schließen. Aber halt nur innerhalb von – anfangs noch sehr großen – Fehlergrenzen.
Man kann also nicht einfach durch ein Teleskop schauen und aus einer einzigen Beobachtung sofort wissen, ob und wo der Asteroid einschlagen wird. Es wird also auch niemand aufspringen um den Präsidenten anzurufen. Was man aber sehr wohl macht und das auch sehr schnell, ist die Meldung an das “Minor Planet Center”. Diese Einrichtung der Internationalen Astronomischen Union ist die offizielle Sammelstelle für alle Beobachtungen von Asteroiden, Kometen und anderen kleinen Himmelskörpern. Hat man etwas unbekanntes entdeckt, dann beeilt man sich aus zwei Gründen, das MPC zu informieren: Erstens, um die eigene Priorität anzumelden. Wer die Entdeckung als erstes dem MPC meldet, gilt auch als die Person, die den Asteroid offiziell entdeckt hat. Und zweitens, um an mehr Daten zu kommen. Denn irgendwann ist die Beobachtungsnacht zu Ende. Spätestens wenn die Sonne aufgeht. Oder schon früher, wenn Wolken kommen. Anderswo auf der Erde ist es aber noch Nacht und dort kann weiter beobachtet werden. Und wenn in der folgenden Nacht schlechtes Wetter ist, müssen die Beobachtungen anderswo durchgeführt werden, wo der Himmel klar ist. Es kann auch sein, dass der Asteroid vom eigenen Standpunkt aus gar nicht mehr am Himmel zu sehen ist; anderswo aber schon. Kurz gesagt: Ist eine Entdeckung erst mal beim MPC registriert, können alle anderen die das wollen, die entsprechenden Daten sehen. Die Seite des Minor Planet Center ist öffentlich im Internet einsehbar. Und viele Beobachterinnen und Beobachter schauen dort regelmäßig nach, bei welchen Objekten noch Messungen nötig sind.
Solche Beobachtungen fanden in den Monaten nach der Entdeckung von 2004 MN4 statt und die Bahn des Asteroids konnte immer genauer berechnet werden. Am 21. Dezember 2004 flog er in der Nähe der Erde vorbei, wodurch er besonders gut beobachtet werden konnte. Mit den dabei gewonnenen Daten konnte man die Bewegung des Objekts weiter in die Zukunft berechnen. Und stellte fest: Am 13. April 2029 würde er ganz besonders nahe an der Erde vorbeifliegen. Ein klein wenig erschreckend nahe… So nahe, dass man eine Kollision nicht ausschließen konnte. Es gibt zwei wichtige Datenbanken, die sich mit der Gefahr durch erdnahe Asteroiden beschäftigen: Eine ist “Sentry”, das “Earth Impact Monitoring” der NASA, die andere heißt “NEODyS” und wird von den Universitäten Pisa und Valladolid (in Italien und Spanien) betrieben. Beide verarbeiten die Daten des Minor Planet Center quasi automatisch und prüfen, ob irgendein Asteroid eine Gefahr für uns darstellen könnte. Und beide entdeckten die potenzielle Kollision für den 13. April 2029.
Am 23. Dezember 2004 berechneten diese Dienste eine Kollisionwahrscheinlichkeit von 1 zu 300, also circa 0,3 Prozent. Später am gleichen Tag hatte man schon mehr Daten zur Verfügung und konnte die Bahn genauer berechnen. Die neue Kollisionwahrscheinlichkeit lag nun bei 1 zu 62, also 1,6 Prozent Chancen auf eine Kollision. Am 25. Dezember 2004 gab es noch mehr Daten und eine Kollisionswahrscheinlichkeit von 2,2 Prozent. Das ist ein ziemlich außergewöhnlicher Vorgang, denn normalerweise läuft die Sache anders. Anfangs hat man wenig Daten und kennt die Bahn nur grob. Deswegen kann man sehr oft nicht ausschließen, dass eine Kollision stattfindet; die Chancen das sie tatsächlich passiert sind aber sehr gering. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die wahre Umlaufbahn an der Erde vorbei führt und man das ziemlich schnell erkennt, wenn mehr Beobachtungen vorhanden sind. Je mehr Daten, desto weiter sinkt die Kollisionwahrscheinlichkeit: Das ist das, was üblicherweise passiert. In diesem Fall war es aber umgekehrt: Je besser man die Bahn bestimmte, desto HÖHER war die Wahrscheinlichkeit einer Kollision.
In dieser Situation haben sich die beteiligten Forscherinnen und Forscher übrigens tatsächlich Gedanken darüber gemacht, ob und wen sie anrufen sollten. Aber auch hier lief alles deutlich anders ab als im Kino. Da waren keine Kontrollräume mit großen Bildschirmen, blinkenden Symbolen, und so weiter. Es war der 25. Dezember, es war Weihnachten. Die Forscherinnen und Forscher waren keine Angestellten der Regierung, sondern ganz normale Leute die an Unis gearbeitet haben. Beziehungsweise an diesem Feiertag eben zuhause waren. Und eigentlich mit ihren Familien feiern wollten, dann aber doch an ihren Computern gesessen sind, Daten ausgewertet haben und sich Emails geschrieben haben. Es gab damals keinen offiziellen Ablaufplan, wer zu informieren sei. Hätten die amerikanischen Leute im Team den US-Präsidenten – damals George W. Bush – anrufen sollen? Wie genau? Nur weil man Astronom ist, hat man ja nicht unbedingt die Nummer des Präsidenten? Hätten die italienischen und spanischen Astronom:innen ihre Staatsoberhäupter informieren sollen? Und was hätten die dann getan?
Übrigens: Geheimhalten hätte sich so etwas auch nicht. Das wird in den Kinofilmen ja gern mal gemacht, “damit keine Panik ausbricht”. Aber wie ich schon gesagt habe: Die Beobachtungsdaten, die jeweils aktuell berechneten Umlaufbahnen und die Kollisionswahrscheinlichkeiten stehen alle vollständig und öffentlich im Internet. Das wird live und automatisch aktualisiert; das kann man nicht geheimhalten. Und selbst wenn, dann würde es den Astronom:innen erstens auffallen, dass da plötzlich alle Daten über einen bestimmten Asteroid gelöscht worden sind. Und zweitens wäre das Ding ja immer noch am Himmel zu sehen! Und man kann den Leuten nicht verbieten, zum Himmel zu schauen; man hätte den Asteroid trotzdem weiter beobachtet.
Und eben WEIL alles über den potenziell gefährlichen Asteroid öffentlich im Internet einsehbar war, haben immer mehr Astronominnen und Astronomen auf der ganzen Welt Beobachtungen angestellt und an das Minor Planet Center geschickt. Am 27. Dezember 2004 konnte man die Bahnberechnung ein weiteres verbesseren. Die Kollisionswahrscheinlichkeit stieg weiter, auf 2,7 Prozent. Am Nachmittag des 27. Dezember wurde dann ein “precovery” gemacht. Das ist wie ein “discovery”, nur in der Vergangenheit. Es funktioniert so: Hat man ein Objekt entdeckt und kennt eine vorläufige Umlaufbahn, dann kann man die Bewegung nicht nur in die Zukunft berechnen, sondern natürlich auch für die Vergangenheit. Und wenn man weiß, wo ein Asteroid in der Vergangenheit war, kann man in Datenbanken nach Aufnahmen dieser Himmelsregion suchen, die aus ganz anderen Zwecken gemacht worden sind. Und wo der Asteroid vielleicht unbemerkt abgebildet worden ist. Man kann ja nicht immer ALLE Lichtpunkte auf so einem Bild im Detail untersuchen, vor allem dann, wenn man gar nicht auf Asteroidensuche ist. In diesem Fall hat man aber genau so ein Bild aus der Vergangenheit entdeckt, auf dem der Asteroid zu sehen war. So etwas ist super: Denn bei der Bahnberechnung kommt es darauf an, Daten für möglichst weit auseinander liegende Zeitpunkte zu haben. Jetzt konnte man also die ganzen Beobachtungen der Gegenwart mit dem Bild aus der Vergangenheit kombinieren. Mit einem Schlag wurde die Umlaufbahn sehr viel exakter und zwar so exakt, dass man ausschließen konnte, dass der Asteroid am 13. April 2029 mit der Erde kollidiert.
Man kannte die Bahn jetzt auch genau genug, um nicht mehr die provisorische Bezeichnung “2004 MN4” verwenden zu müssen. Immer dann, wenn die Bewegung eines Asteroiden einigermaßen sicher beschrieben werden kann, darf man ihm einen “richtigen” Namen geben. Die Entdecker entschieden sich in diesem Fall für “Apophis”, nach dem altägyptischen Gott der Finsternis und des Chaos. Und wahrscheinlich auch nach dem bösen Alien in der Fernsehserie “Stargate SG-1”, von der David Tholen und Ray Tucker große Fans waren.
Ganz sicher war man sich aber immer noch nicht, was Apophis und die Erde angeht. So ein erdnaher Asteroid fliegt ja nicht nur einmal an der Erde vorbei, sondern immer wieder. Für den 13. April 2029 war man jetzt zwar sicher. Aber auch 2036, 2051 und 2068 waren sehr nahe Begegnungen vorhergesagt bei denen man eine Kollision vorerst nicht ausschließen konnte. In diesem Fall haben weitere Beobachtungen auch nur bedingt geholfen. Denn es ist verdammt schwer, vorherzusagen, was NACH einer nahen Begegnung passiert. Der vorherberechnete Abstand zwischen der Erde und Apophis für den 13. April 2029 liegt bei nur 31.750 Kilometer über der Erdoberfläche. Bei diesem geringen Abstand wird die von der Erde auf den Asteroid ausgeübte Gravitationskraft besonders stark, er kriegt quasi einen ordentlichen Schubs und wird danach auf einer anderen Bahn weiterfliegen als zuvor. Wie dieser Schubs genau ausfallen wird, lässt sich allerdings nur schwer vorhersagen. Weswegen die Prognosen für die weiteren Begegnungen unklar waren.
Deswegen hat man Apophis weiter beobachtet. Er kam immer wieder in der Nähe der Erde vorbei – nie so nahe, dass es gefährlich werden würde. Aber doch so nahe, dass man ihn nicht nur mit normalen Teleskopen beobachten kann, sondern auch mit Radarteleskopen. Das heißt, man konnte Radarstrahlen von der Erde zu Apophis schicken, sie dort abprallen lassen und die Reflexion auf der Erde messen. Dadurch lässt sich der Abstand zwischen Erde und Apophis extrem genau bestimmen, was auch die Bahnbestimmung genauer macht. Im Laufe der Jahre konnte man langsam immer weiter Entwarnung geben. 2036 würde er an uns vorbeifliegen; 2051 ebenso. Als letztes noch offen war eine potenzielle Kollision am 12. April 2068, mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,00026 Prozent. Nicht mehr viel und eigentlich nichts, über das man sich groß sorgen muss. Aber nach Messungen während eines Vorbeiflugs von Apophis an der Erde am 6. März 2021 konnte man die Bahnbestimmung ein weiteres Mal verbessern. Und damit war dann klar, dass er auch 2068 nicht die Erde treffen wird.
Apophis wird im 21. Jahrhundert nicht mit der Erde kollidieren. Was das 22. Jahrhundert angeht, kann man noch keine Aussagen machen. So weit lässt sich die Umlaufbahn eines erdnahen Asteroiden nicht mit der nötigen Exaktheit berechnen. Aber selbst wenn Apophis in ferner Zukunft doch mal auf Kollisionskurs sein sollte, wird er keinen Weltuntergang verursachen. Er hat einen Durchmesser von circa 325 Metern, was zwar reicht, um die Region, in der er abstürzen würde, gewaltig zu verwüsten. Aber nicht, um ein globales Massensterben zu verursachen, so wie damals bei den Dinosaurieren, wo ein 10 Kilometer großer Asteroid mit uns kollidiert ist. Und im 22. Jahrhundert hat man ja dann hoffentlich die Techniken zur Asteroidenabwehr, die ich in den Folge 76, 77 und 78 vorgestellt habe, schon im Griff und kann der Sache entspannt entgegensehen. Und bis dahin hat man sich dann vermutlich auch geeinigt, wer wen zu welchem Zeitpunkt anrufen soll…
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