Es ist eigentlich erstaunlich, wenn es nicht so deprimierend wäre. Aber auch heute, im Jahr 2021, gibt es immer noch Menschen, die der Meinung sind, dass mit unserem Klima im Prinzip eh alles ok ist und man doch bitte nicht so eine Hysterie darum machen soll. Und wenn das wirklich nur ein paar Menschen wären, dann wäre die Sache ja nicht so schlimm. Es wird immer Leute geben, die aus welchen Gründen auch immer ihren Verstand vor der Realität verschließen. Aber wenn diese Menschen Politikerinnen und Politiker sind, also diejenigen, deren wichtigsten Aufgabe es sein sollte, Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise zu planen und umzusetzen: Dann ist es eben nicht nur erstaunlich, sondern tatsächlich gefährlich.
Einer dieser Menschen ist Herbert Kickl, seit ein paar Monaten Chef der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Und so wie alle Chefs aller im Parlament vertretenen Parteien war er kürzlich zu einem “Sommergespräch” im Fernsehen. Man kann sich die Sendung hier noch ein paar Tage lang ansehen; man kann es aber auch bleiben lassen, denn Kickl sagt eh nur das, was man von einem Politiker seines Schlags erwarten würde. Ein paar Minuten ging es aber auch um das Klima und diesen Teil wollte ich mir dann doch ein wenig genauer ansehen. Denn auch wenn in Österreich – im Gegensatz zu Deutschland – in nächster Zeit keine bundesweite Wahl ansteht, ist der Umgang mit der Klimakrise DAS Thema, an dem sich alle Politikerinnen und Politiker messen müssen. Es ist das Thema, das die Politik und unser Handeln als Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten bestimmen wird und muss wie kein anderes. Dazu kommt, das zum Klima gerade jetzt so viel Wissen vorhanden ist wie kaum irgendwo anders. Anfang August wurde der erste Teil des Sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates veröffentlicht: Fast 4000 Seiten zum aktuellen Stand des Wissens über das Klima. Wer informiert sein möchte, KANN informiert sein und wer aus einer verantwortungsvollen Position wie Herbert Kickl Dinge sagt, die dem Stand des Wissens widersprechen, kann eigentlich nur absichtlich uninformiert sein.
Von der Moderatorin Lou Lorenz-Dittlbacher gefragt, was ihm bei seinen Wanderungen in der Natur in letzter Zeit aufgefallen ist, stellt Kickl sofort klar, dass er nicht in den “Klimaalarmismus” einstimmen wird und kommt ungefragt auf Gletscher zu sprechen:
“Kickl: Ich habe im Zusammenhang mit Gletschern viel mit Leuten gesprochen, die lange dort unterwegs sind, die zum Beispiel aus Bergführer-Generationen kommen, und die haben mir dort Dinge erzählt von wegen Gletscherrückgang und ähnlichen Sachen, die halt manches auch ein bisschen kritisch hinterfragen, was man uns immer wieder erzählt.
Lorenz-Dittlbacher: Vor zwei Wochen hat es geheißen, der Hallstätter Gletscher wird bis 2100 verschwinden, das glauben sie nicht?
Kickl: Schauen Sie, wenn wir über die Klimasache reden, dann müssen wir wissen, das wir die Bilder, die wir von der Gletscherausdehnung alle kennen, und ich kenn die alle sehr gut, weil das ist die Zeit, wo dann die Fotografie massiver eingesetzt hat und wo alle diese Führerliteratur zum Beispiel in Zusammenhang mit den hohen Gebirgen entstanden ist, dass diese Gletscherausdehnung in einer Zeit entstanden ist, wo wir quasi das Ende einer Eiszeit gehabt haben. Das heißt der Gletscher war sehr, sehr weit ausgedehnt. Jetzt können sie nicht hergehen und sagen, das ist der Normalzustand, sondern das war eine Phase der Klimaentwicklung und es gibt andere Phasen der Klimaentwicklung. Der Gletscher hat sich wieder zurück gezogen und möglicherweise wird es wieder Phasen geben, wo sich der Gletscher ausdehnt.”
Wenn Kickl so über die “Klimasache” redet, dann macht er genau das, was Wissenschaftsleugner schon immer gemacht haben: Er tut so, als wäre alles nur halb so schlimm. Und kommt mit dem alten Pseudoargument des “Früher hat sich das Klima ja auch schon geändert”. Ja, hat es. Aber es geht nicht um “früher”, es geht um jetzt und es geht um die Zukunft. Und JETZT ändert sich das Klima eben wieder. Und es tut das sehr, sehr viel schneller als es früher passiert ist. Das, was früher im Lauf vieler Jahrhunderte stattgefunden hat, läuft heute während einiger Jahrzehnte ab. Implizit will Kickl damit sicherlich auch sagen, dass wie Menschen nichts für den Klimawandel können, weil sich das Klima ja früher auch ohne Menschen geändert hat. Was natürlich ebenfalls Unsinn ist. Nur weil ein Haus auch durch einen natürlichen Blitzeinschlag abbrennen kann, folgt daraus nicht, dass es keine Brandstiftung geben kann.
Vielleicht sollte Kickl sich nicht auf seine “Führerliteratur” verlassen, sondern sich ansehen, was das IPCC in seinem aktuellen Bericht zu den Gletschern zu sagen hat. Das kann man problemlos online nachlesen und zwar ab Seite 67 in Kapitel 2 des Berichts. Dort steht zusammenfassend:
“In summary, there is very high confidence that, with few exceptions, glaciers worldwide have retreated since the second half of the 19th century, and continue to retreat. The current global character of glacier mass loss is highly unusual (almost all glaciers simultaneously receding) in the context of at least the last 2 kyr (medium confidence). Glacier mass loss rates have increased since the 1970s (high confidence).”
Kurz gesagt: Die Gletscher schmelzen, sie tun das schneller als sie es bisher auf natürliche Weise getan haben und das Ausmaß der Gletscherschmelze steigt seit den 1970er Jahren. Wer lieber Bilder anschaut anstatt zu lesen, findet die relevanten Daten in Abbildung 2.23 (auf Seite 195 in Kapitel 2):
Links sieht man die Anzahl der Gletscher, deren Abschmelzen sich beschleunigt hat, im Verlauf der letzten 2000 Jahre. Und rechts den jährlichen Masseveränderung der Gletscher. Die eine Kurve geht nach oben, die andere nach unten. Ich weiß nicht mit welchen Leuten Herbert Kickl “im Zusammenhang mit Gletscher” gesprochen hat. Aber vielleicht sollte er es mal mit Klimaforscherinnen und Klimaforschern probieren.
Zum Abschluss seiner glaziologischen Erkenntnisse hat Kickl dann noch diesen Satz gesagt:
“Ich darf nur daran erinnern, in den 70er Jahren – auch das weiß ich noch sehr gut – haben die Klimaforscher weltweit vor einer neuen Eiszeit und einem Vorstoß der Gletscher gewarnt.”
In den 1970er Jahren war der 1968 geborene Kickl noch ein Kind und ihm fehlte daher vermutlich auch die Medienkompetenz. Jetzt sollte er die aber haben und es wäre gar nicht so schwer, herauszufinden, dass nicht die “Klimaforscher weltweit” vor einer Eiszeit gewarnt haben. Sondern vor allem die Medien damals den Stand der Wissenschaft nicht sonderlich ausgewogen wiedergegeben haben. Im Jahr 2008 haben Thomas Peterson vom National Climatic Data Center in den USA und seine Kollegen in ihrer Arbeit “The Myth of the 1970s Global Cooling Scientific Consensus” die Literatur aus den 1970er Jahren untersucht und sind zu dem Schluss gekommen, dass es zwar ein paar wissenschaftliche Arbeiten gab, die angesichts steigender Luftverschmutzung (und der damit verbundenen Abkühlung aufgrund der stärkeren Reflexion des Sonnenlichts) vor einer etwaigen Abkühlung gewarnt haben, falls wir immer mehr Dreck in die Atmosphäre pusten. Die Mehrheit hat allerdings auch damals schon erkannt, dass dieser Effekt angesichts der durch den menschengemachten Treibhauseffekt steigenden Erwärmung der Erde keine relevante Rolle spielt. Oder, wie es im Fazit der Arbeit von Peterson & Co heißt:
“There was no scientific consensus in the 1970s that the Earth was headed into an imminent ice age. Indeed, the possibility of anthropogenic warming dominated the peer-reviewed literature even then.”
Der Rest des Gesprächs mit Kickl über das Klima brachte dann nichts weiters neues, nur die übliche populistische Beschwichtigungstaktik:
“Lorenz-Dittlbacher: Aber was wir diesen Sommer jetzt schon sehen und auch in vielen anderen Sommern gesehen haben, das ist, dass sich Starkregenereignisse, Wetterextreme total häufen. Hagel, Starkregen, Murenabgänge im ersten Halbjahr 2021 haben 70 Millionen Euro an Schaden verursacht. Im selben Zeitraum im Vorjahr waren es 20,5 [Millionen], das heißt die Schäden sind dreimal so hoch. Wenn man jetzt auf die Weinbauern schaut in Österreich, die Obstbauern, die Kürbisbauern, die zum Teil ihre ganze Ernte verloren haben, was ist dann die Botschaft? “Ist eh nicht so schlimm”?
Kickl: Nein. Aber ich glaube dass gerade die Bauern sehr, sehr gut wissen – und das sind ja meistens Familien die das über viele Generationen schon machen – dass es solche Phasen unterschiedlicher Klimaausprägungen und Klimaextreme immer wieder gegeben hat. Und die stellen sich sehr, sehr gut darauf ein. Ich halte es auf jeden Fall für ein bisserl naiv zu glauben, dass man durch die Einführung einer CO2-Steuer, dadurch das man jetzt den Treibstoff in Österreich noch teurer macht als er ohnehin schon ist und damit Transportkosten verteuert, damit Lebensmittel verteuert, damit sozusagen den Wohlstand im Land gefährdet – dass man damit den Weinbauern in Österreich hilft.
Lorenz-Dittlbacher: Aber wie hilft man ihnen ihrer Meinung nach?
Kickl: Ich glaube, eine vernünftige Umweltpolitik besteht zunächst einmal darin, sich jetzt, in Österreich, an diese Gegebenheiten möglichst gut anzupassen. Da gibt es vieles, was wir selber tun können. Aber man darf den Menschen nicht versprechen – das geht ja schon fast in eine Art ideologischen Fanatismus hinein – dass man ihnen sagt: Wir sparen jetzt so und so viel Prozent an CO2 ein in Österreich, setzen dafür drastische Belastungsmaßnahmen und dann hat der Weinbauer kein Problem mehr.
Lorenz-Dittlbacher: Aber viele hören jetzt, wenn Sie so sprechen: “Eh nicht so schlimm”. Sind Sie der Meinung, dass die Vorgänge, die Klimaerwärmung die größte Herausforderung der Geschichte im Moment ist?
Kickl: Es ist sicherlich eine große Herausforderung, aber wir müssen uns immer überlegen, was der Beitrag sein kann und was die Steuerungsmöglichkeiten sind, die wir haben. Und da glaube ich, erleben wir auch in der Klimadebatte, ähnlich wie in der Coronadiskussion, einen Verlust der Verhältnismäßigkeit. Wenn ich mir anschaue, welche Dinge da die Europäische Union binnen kürzester Zeit sich vorgenommen hat, was man da nicht alles auf den Weg bringen will – und Österreich mitten dabei – dann setz ich das in Relation zum Ausstoß an CO2 weltweit, dann merke ich, dass die Europäische Union gerade mal für 8 Prozent des CO2-Ausstoßes in der Welt zuständig ist. Die Chinesen kümmert das überhaupt nicht. Die Amerikaner kümmert das wenig. Indien kümmert das wahrscheinlich am allerwenigsten. Und dann glauben Sie ja doch nicht wirklich, dass sie mit einer klitzekleinen Veränderung in Österreich, die gleichzeitig Wohlstand, Arbeitsplätzen und ähnliches aufs Spiel setzt – dass sie damit etwas bewirken können.”
Zusammengefasst: Das Klima war früher auch schon anders, da sollen sich die Leute jetzt nicht so aufregen. Und die bösen Klimaschützer wollen uns die Autos wegnehmen, das Benzin teurer machen und uns in Armut stürzen. Außerdem sind die anderen Länder viel schlimmer und wir können eh nix machen.
Das ist mittlerweile zum Standardargument der Klimaforschungsleugner-Fraktion geworden: Österreich/Deutschland/etc ist nur ein kleines Land und die anderen sind viel schlimmer. Es ist allerdings auch ein falsches Argument, wie ich hier ausführlich erklärt habe. Mit “Aber die anderen!” kam man schon im Kindergarten nicht durch und sollte das in der Spitzenpolitik nicht viel weniger können. Vielleicht lohnt sich aber dennoch ein Blick auf die abschätzige Meinung Kickls bezüglich der anderen Ländern. Ist China, den USA und Indien der Klimaschutz wirklich so egal? Wenn man mal davon absieht, dass zwar aktuell China und die USA tatsächlich die meisten Treibhausgasse emittieren; historisch gesehen aber Europa für den meisten Dreck verantwortlich ist, der jetzt gerade die Klimakrise in der Atmosphäre anheizt, dann ist das Bild doch ein wenig differenziertert.
Der Klimaschutz-Index vergleicht, was die einzelnen Ländern in Sachen Klimaschutz und Klimapolitik so machen. Die Liste ist allgemein sehr deprimierend, da KEIN Land ausreichend viel unternimmt, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Deswegen sind die Plätze 1 bis 3 der Liste auch leer. Auf Platz 4 kommt dann Schweden, das also nach dieser Liste das Land ist, das sich weltweit am meisten um Klimaschutz kümmert. Österreich liegt aktuell auf Platz 35. Zwei Plätze hinter China und deutlich hinter Indien, das auf Platz 10 des Rankings liegt. Indien und China scheint die “Klimasache” also mehr zu kümmern als Österreich (die USA liegen allerdings tatsächlich auf dem letzten Platz des Rankings). Und während Österreich seine Position in der Liste zwischen 2015 und 2021 gerade mal von Platz 36 auf Platz 35 verbessert hat, ist Indien von Platz 31 auf Platz 10 aufgestiegen (und China von Platz auf 45 auf Platz 33). Vielleicht sollte Herbert Kickl mal bei den Politikerinnen und Politikern in Indien anrufen und fragen, ob sie das Klima dort wirklich am “allerwenigsten” kümmert.
Mir ist natürlich klar, dass der Chef einer rechtsextremen Oppositionspartei sich vermutlich verpflichtet fühlt, die Klimakrise herunterzuspielen. Immerhin ist das ja ein “linkes” Thema. Umweltschutz und so, das machen ja nur die Grünen… Nur dass das eben schon längst nicht mehr so ist. Klima hat nichts mit links oder rechts zu tun; die Klimakrise ist eine globale Krise, die sich herzlich wenig darum kümmert, welcher politischen Ideologie man anhängt. ALLE politischen Parteien und Richtungen müssen sich darum kümmern. Das sollte eigentlich auch jemand wie Kickl verstehen. Immerhin hat er sich im Rest des Gesprächs ja auch wieder ausführlich über sein Lieblingsthema ausgelassen: Die schlimmen Ausländer, die alle aus dem Ausland in unser schönes Inland kommen wollen. Was laut Kickel natürlich dringendst verhindert werden muss. Nun, wenn Kickl wirklich verhindern will, dass in Zukunft unzählige Menschen aufgrund der Auswirkungen der Klimakrise ihre Heimat verlassen und anderswo Schutz suchen müssen, dann sollte globaler Klimaschutz eigentlich ein vorrangiges Anliegen seiner Partei sein…
Aber zumindest kann ich dem letzten Satz, den Kickl zum Klimathema gesagt hat, durchaus zustimmen:
“Ich hab manchmal das Gefühl, es gibt keinen Hausverstand mehr in der Politik.”
Und wer sich – im Gegensatz zu Herbert Kickl – wirklich ausführlich über das Klima und die Klimakrise informieren möchte – kann gerne den Podcast “Das Klima” anhören, den ich gemeinsam mit der Meteorologin Claudia Frick betreibe.
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