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Sternengeschichten Folge 479: Der Erdähnlichkeitsindex

“Erdähnlich” ist ein schwieriges Wort in der Astronomie. Ok, eigentlich ist “erdähnlich” gar kein schwieriges Wort. Lässt sich ganz leicht sagen: “Erdähnlich”. Aber es geht auch nicht um die Aussprache, sondern darum, was das Wort bedeuten soll. Wenn man hört, dass ein Himmelskörper “erdähnlich” ist, dann ist es nur verständlich, wenn man sich dann vorstellt, dass dieser Himmelskörper so wie die Erde ist. In der Astronomie meint man mit “erdähnlich” aber was anderes. Oder eigentlich meint man schon auch, dass ein Himmelskörper so wie die Erde ist. Aber man kann einen Planeten eben auf viele Arten mit der Erde vergleichen.

Der Mars zum Beispiel ist im astronomischen Sinne ein erdähnlicher Planet. Die Venus genau so. Man könnte sogar den Merkur als “erdähnlich” bezeichnen; vielleicht sogar auch den Mond. Aber bleiben wir bei Mars und Venus. Sie sind erdähnlich, weil es sich bei beiden Planeten um Himmelskörper mit einer festen Oberfläche handelt, so wie die Erde. Mars und Venus bestehen aus Gestein und haben einen Kern aus Metall – so wie die Erde. Sie haben zumindest näherungsweise die gleiche Masse und Größe wie die Erde. Ok, der Mars ist schon ein Stück kleiner – aber im Vergleich zu etwa dem Jupiter und Saturn kann man durchaus sagen, dass Mars und Erde in erster Näherung gleich groß sind.

Mars und Venus sind also erdähnliche Planeten, weil sie ähnlich wie die Erde in Größe, Masse und Aufbau sind und sich etwa deutlich von Planeten wie Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun unterscheiden: Sehr viel größere Himmelskörper, die keine feste Oberfläche haben und vor allem aus Wasserstoff und Helium bestehen und nicht aus Metall und Gestein. Venus und Mars sind aber definitiv NICHT erdähnlich, wenn es um die Bedingungen auf der Oberfläche geht. Wer auf Venus oder Mars ohne Raumanzug aus einem Raumschiff tritt, wird sehr schnell sehr tot sein. Auf der Venus vermutlich auch mit Raumanzug; dort hat es mehr als 400 Grad… Mars und Venus sind lebensfeindliche Planeten; es gibt dort kein flüssiges Wasser auf der Oberfläche, keine Atmosphäre die man atmen kann und auch sonst nichts, was uns an die Erde erinnern würde.

Die Venus, ein erdähnlicher Planet Künstlerische Darstellung: ESA/AOES

Genau darum ist es schwierig, wenn man den astronomischen Fachbegriff “erdähnlich” in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit verwendet. Wenn irgendwo in den Medien verkündet wird, man hätte einen “erdähnlichen Planeten” bei einem anderen Stern entdeckt, dann kann man es den Menschen nicht verübeln, wenn sie sofort an die Möglichkeit von außerirdischem Leben denken. Aus astronomischer Sicht heißt das aber nur, dass man einen Planeten gefunden hat, der ungefähr so groß und so schwer wie die Erde ist und kein Gasriese wie Jupiter.

Die Wissenschaft hat es aber sowieso lieber mathematisch und exakt. Deswegen haben sich im Jahr 2011 der Astronom Dirk Schulze-Makuch und Schwung Kolleginnen und Kollegen Gedanken darüber gemacht, wie man die “Erdähnlichkeit” eines Himmelskörpers besser beschreiben kann. Das Resultat ist der sogenannte “Earth Similarity Index”, also der “Erdähnlichkeitsindex”. Das ist eine Zahl und um die zu berechnen braucht man zuerst ein paar andere Zahlen. Zum Beispiel
die Dichte eines Himmelskörpers. Die mittlere Dichte der Erde beträgt 5,5 Gramm pro Kubikzentimeter. Die vergleicht man jetzt mit der mittleren Dichte eines anderen Himmelskörpers; sagen wir der Venus. Da lautet die Zahl 5,2 Gramm pro Kubikzentimeter. Ok, wir sehen sofort, dass die Dichte der Erde größer ist als die der Venus. Aber darum geht es nicht, wir wollen das alles vernünftig quantifzieren. Beziehungsweise Schulze-Makuch und seine Kolleg_innen wollten das und haben sich dabei bei bei einer Formel inspirieren lassen, die eigentlich aus der Ökologie stammt und die Biodiversität zweier Orte vergleicht. Die Details sind jetzt egal, aber am Ende kann man aus den beiden Dichten eine Zahl berechnen, die zwischen 0 und 1 liegt. 0 heißt, dass sie sich maximal unähnlich sind, bei 1 wären sie identisch. Im Fall der Dichte von Erde und Venus kommt man damit auf circa 0,97. Was den offensichtlichen Befund bestätigt: Die Dichten von Erde und Venus sind sich sehr ähnlich.

Aber damit ist die Sache noch nicht erledigt. Was man für die mittlere Dichte tun kann, kann man auch für den Radius machen. Oder für die Masse. Oder für die Temperatur auf der Oberfläche. Das alles kann man dann mitteln und am Ende bekommt man einen gesammelten Earth Similarity Index, der die Ähnlichkeit und Unterschiede all der Parameter berücksichtigt, die man betrachtet hat.

Schulze-Makuch und Co haben das ganze in zwei Untergruppen aufgeteilt. Wenn man etwa die Earth Similarity Indizes für den Radius und die Dichte eines Planeten kombiniert, bekommt man ein Maß, dass dem “erdähnlich” entspricht, das ich ganz zu Beginn erklärt habe: Wie ähnlich ist ein Planet der Erde hinsichtlich des Inneren. Handelt es sich um zwei Gesteinsplaneten mit fester Oberfläche, dann wird dieser “Innere Erdähnlichkeitsindex” nahe bei 1 liegen; vergleicht man die Erde mit einem Gasplaneten, wird es eher in Richtung Null gehen. Dann wurde aber auch noch ein “äußere Erdähnlichkeitsindex” definiert. Hier vergleicht man die Fluchtgeschwindigkeit und die Oberflächentemperatur. Das klingt seltsam. Ok, die Oberflächentemperatur macht Sinn; es ist ja durchaus relevant zu wissen, ob es auf einem anderen Planeten sehr viel heißer oder kälter ist als auf der Erde. Aber die Fluchtgeschwindigkeit? Die hängt von der Masse des Planeten ab und ist die Geschwindigkeit, die etwas haben muss, um von der Oberfläche des Planeten ins All zu entkommen. Wir denken dabei an Raumfahrt und daran, wie schnell unsere Raketen fliegen müssen. Aber die Fluchtgeschwindigkeit gilt für alles, auch und vor allem für die Atome und Moleküle einer planetaren Atmosphäre. Die Fluchtgeschwindigkeit bestimmt direkt, welche Atmosphäre ein Planet haben kann.

So berechnet man den ESI

Bei Erde und Venus kriegt man einen inneren Erdähnlichkeitsindex von 0,979. Wenig überraschend, denn wir haben ja schon festgestellt, dass die beiden Planeten sich sehr ähnlich sind, was die Größe, Dichte und den inneren Aufbau angeht. Der äußere Erdähnlichkeitsindex liegt aber bei nur 0,2. Weil es auf der Venus eben sehr viel heißer ist und ihre Atmosphäre ganz anders aussieht. In der Hinsicht ist sie der Erde alles andere als ähnlich. Wenn man jetzt beide Erdähnlichkeitsindizes kombiniert kommt man auf eine Gesamtzahl von 0,44. Die Venus ist also eher wenig erdähnlich, was diesen Earth Similarity Index angeht.
Stellt man die gleiche Rechnung für den Mars an, erhält man einen Wert von 0,7. Der Mars ist also deutlich erdähnlicher als die Venus. Deswegen können dort ja auch – zumindest theoretisch – Menschen hinfliegen und in Raumanzügen auf der Oberfläche rumlaufen und auf der Venus eher nicht.

Wie schaut es jetzt mit den Planeten anderer Sterne aus? Kommt drauf an. Schauen wir mal zum Stern mit dem schönen Namen “Teegardens Stern”. Der übrigens nach dem amerikanischen Astronom Bonnard Teegarden benannt ist und nix mit nem Teegarten zu tun hat. Es handelt sich um einen roten Zwergstern in nur 12 Lichtjahren Entfernung von der Erde. 2019 hat man dort zwei Planeten entdeckt. Beide sind nur minimal schwerer als die Erde. Die Planeten befinden sich sehr dicht an ihrem Stern, was aber nicht zu extremen Temperaturen führt, da es sich ja um einen vergleichsweise kühlen roten Zwerg handelt. Im Prinzip könnte die Temperatur auf der Oberfläche der Planeten gerade passen, so dass es dort erdähnliche und lebensfreundliche Werte hat. Wenn man jetzt den Erdähnlichkeitsindex der beiden Planeten berechnet, so erhält man für den einen eine Zahl die bei 0,68 liegt. Beim anderen sind es aber 0,95. Das ist SEHR erdähnlich. Können wir also damit rechnen, dass dort Leben existiert oder zumindest lebensfreundliche Bedingungen? Können wir den Raumanzug im Raumschiff lassen, wenn wir dort hin fliegen?

Nun, da sind wir jetzt wieder beim Problem vom Anfang. Das was sein kann, ist das eine. Das was tatsächlich ist, das andere. Der Erdähnlichkeitsindex zeigt uns, dass Teegarden b – wie der Planet offiziell heißt – das Potenzial hat, ein echter, lebensfreundlicher Himmelskörper zu sein. Ob er es aber auch ist, wissen wir nicht. Zum einen, weil die Berechnung des Index nur so gut funktioniert wie die Qualität der Daten ist, die man da rein steckt. So etwas wie Masse oder die Größe können wir – im Prinzip – sehr gut und halbwegs genau messen. Die Oberflächentemperatur aber nur indirekt bestimmen. Ich habe das vorhin ein wenig umgangen, also ich über die Berechnung der Indizes gesprochen haben. Dass es auf der Venus so sehr viel heißer ist als auf der Erde wissen wir, weil wir dort gelandet sind. Weil wir Raumsonden in ihrer Umlaufbahn haben. Weil wir mit Teleskopen auf der Erde unseren Nachbarplaneten recht gut beobachten können. Wir haben die Temperatur dort direkt gemessen und wir wissen, dass es dort so heiß ist, weil die Atmosphäre der Venus so extrem dicht ist. Wüssten wir das nicht; würden wir nur Größe, Masse und Abstand der Venus von der Sonne kennen, dann würden wir denken und mangels weiterer Information denken müssen, dass die Temperatur dort bei circa 50 Grad liegt. Das ist die Temperatur, die die Venus dank ihres Abstands von der Sonne haben müsste. Dass es tatsächlich knapp 470 Grad sind, liegt am Treibhauseffekt der durch ihre dichte Atmosphäre ausgelöst wird.

Nein!

Wir haben aber keine Ahnung, wie die Atmosphäre der Planeten von Teegardens Stern aussieht. Oder die Atmosphäre von irgendeinem anderen extrasolaren Planeten. Trotz des hohen Erdähnlichkeitsindex könnte es sich um extrem lebensfeindliche Welten handeln. Der Erdähnlichkeitsindex ist ein durchaus nützliches Instrument für die Wissenschaft. Bei all den Daten die wir sammeln braucht es sinnvolle mathematische Konzepte um diese Daten zu organisieren und zu vergleichen. Man darf sich aber nicht von der Mathematik täuschen lassen! Ein Erdähnlichkeitsindex von 0,95 ist erstmal nur eine Zahl die in ihrem wissenschaftlichen Zusammenhang betrachtet werden muss. Aus dem darf sie auch nicht gerissen werden; insbesondere darf man daraus nicht ohne weiteres Pressemitteilungen oder Medienberichte machen, die behaupten, dass es sich um einen lebensfreundlichen Planeten handelt; eine “zweite Erde” und was man sonst immer wieder lesen kann, wenn es um die Entdeckung von anderen Planeten geht.

Die Instrumente der Astronomie werden immer besser. Irgendwann werden wir die nötigen Daten haben, um nach echter Erdähnlichkeit zu suchen und sie auch zu finden, wenn sie da ist! Bis dahin sollten wir in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit die Spekulationen auch deutlich als solche bezeichnen und nicht hinter komplexen mathematischen Formeln verstecken.

Kommentare (3)

  1. #1 Stefan
    28. Januar 2022

    Spannend finde ich KOI-4878.01. 1075 Lichtjahre entfernt. Host hat bisschen weniger Masse als die Sonne, ist aber ein Stück größer. 449 Tage Umlaufzeit. 0,99 Erdmassen (0,4 bis 3). Radius 1,04. Gleichgewichtstemperatur von 256 K (Erde 255 K). ESI liegt bei 0.98 (höchster Wert). Und er wäre in der habitablen Zone.

    Sagt natürlich nix aus, wie im Artikel oben sehr gut beschrieben und da fehlt es noch viel an Bestätigung. Aber mal ein Blick auf die Atmosphäre werfen lohnt sich sicher.

  2. #2 knorke
    28. Januar 2022

    Der Apell zu weniger krawalligen Schlagzeilen dürfte wohl leider ungehört verhallen.

  3. #3 Adam
    Berlin
    1. Februar 2022

    Gibt es vergleichbare Überlegungen auch für die Lebensfreundlichkeit? Denn da wären doch zumindest in der Theorie auch höhere Werte denkbar, als unsere Referenz der Erde.