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Sternengeschichten Folge 485: Mondstillstand, Klimawandel und lästige Überschwemmungen

Der Mond beeinflusst die Erde. Wir Menschen aber auch. Und wenn beides zusammenkommt, kann das unangenehme Folgen haben. Aber fangen wir zuerst mit dem Mond an. Wenn er die Erde beeinflusst, dann geht es nicht um den “richtigen Zeitpunkt” zum Haareschneiden, die Gartenarbeit oder ähnlichen esoterischen Unsinn. Darüber habe ich ja schon in Folge 254 der Sternengeschichten gesprochen. Es geht um die Gezeiten, die im Detail durchaus sehr kompliziert sind, was man in Folge 161 nochmal nachhören kann. Aber im Prinzip geht es um die Anziehungskraft des Mondes, die an unterschiedlichen Stellen der Erdoberfläche unterschiedlich stark ist weil ja diese unterschiedlichen Orte auch unterschiedlich weit vom Mond weg sind. Dieser Unterschied in der Anziehungskraft des Mondes führt am Ende zu dem, was wir Gezeiten nennen, also Ebbe und Flut: unterschiedliche Wasserstände an den Küsten der Meere.

Wie stark Ebbe und Flut ausfallen, hängt von diversen Faktoren ab. Unter anderem von der Geografie, also der genauen Form der Küstenlinie, dem Ausmaß des Gewässers um das es geht, und so weiter. Es kommt aber auch an, wie Mond und Sonne gerade in Bezug aufeinander stehen. Denn es gibt ja nicht nur Gezeiten, die der Mond auslöst, sondern auch Gezeiten die durch die Anziehungskraft der Sonne verursacht werden. Wir auf der Erde spüren immer nur die jeweilige Summe der Gezeitenkräfte, die Sonne spielt aber durchaus eine wichtige Rolle und macht im Schnitt mehr als ein Drittel der Gezeitenkraft aus, die auf die Erde wirkt. Wenn jetzt Sonne und Mond von der Erde aus gesehen auf einer Linie stehen, dann summieren sich ihre Kräfte und die Gezeiten fallen stärker aus. Das nennt man “Springtide” und sowas kommt logischer bei Vollmond und Neumond vor. Bei Halbmond stehen Sonne und Mond rechtwinkelig zueinander und ihre Beiträge schwächen sich ab. Diese schwächeren Gezeiten heißen Nipptiden.

Aber das war noch längst nicht alles. Die Bahn der Erde um die Sonne und die Bahn des Mondes um die Erde sind ja keine exakten Kreise. Die Bahnen sind Ellipsen, sie sind zueinander geneigt, sie wackeln aufgrund diverser Störungen ständig durch die Gegend, und so weiter. Das alles beeinflusst, wie Sonne, Mond und Erde zueinander stehen und verändert die Stärke der Gezeiten. Das will ich jetzt nicht alles im Detail erklären, sondern mich auf ein bestimmtes Detail konzentrieren. Dabei geht es um die “Knotenlinie” und den sogenannten “Mondstillstand”.

Fangen wir mit den Knoten an. Die Ebene der Mondbahn ist gegenüber der Ekliptik, also der Ebene der Erdbahn geneigt. Und zwar um circa 5 Grad. Das bedeutet, es gibt eine Linie entlang der sich die beiden Ebenen schneiden und das ist die Knotenlinie. Und entlang der Mondbahn gibt es zwei Punkte, die genau auf dieser Linie liegen, nämlich die “Mondknoten” oder “Knotenpunkte”. Befindet sich der Mond in einem Knotenpunkt, dann befindet er sich auch genau im Schnittpunkt von Mond- und Erdbahn. Nur dann stehen Erde, Mond und Sonne WIRKLICH in einer Linie, also genau hintereinander und können einander verdecken. Wenn also zufällig Neumond ist wenn der Mond im Knotenpunkt steht, gibt es eine Sonnenfinsternis; ist gerade Vollmond wenn der Mond den Knotenpunkt passiert, dann kriegen wir eine Mondfinsternis. Aber heute soll es ja nicht um Finsternisse gehen, sondern um die Gezeiten.

Da ist ab und zu auch Wasser. Hängt von den Gezeiten ab.

Deswegen ist es auch noch wichtig zu wissen, dass die Knotenlinie nicht fix im Raum steht. Denn da sind ja immer noch die diversen gravitativen Störungen der anderen Himmelskörper. Die Knotenlinie dreht sich im Kreis und braucht 18,61 Jahre um eine komplette Drehung zu vollführen. Was heißt das jetzt alles? Schauen wir zuerst mal, wie hoch der Mond überhaupt so am Himmel stehen kann. Das hängt natürlich auch vom jeweiligen Zeitpunkt ab und auch von wo auf der Erde man zum Himmel schaut. Aber erinnern wir uns: Die Mondbahn ist um 5 Grad gegenüber der Ekliptik geneigt. Die Ekliptik ist die Ebene, in der sich die Erde um die Sonne bewegt oder, umgekehrt betrachtet, die Ebene, in der sich die Sonne scheinbar bewegt, wenn wir von der Erde aus zum Himmel schauen. In den Folgen 135 und 474 habe ich über die Sommer- und die Wintersonnenwende gesprochen. Das sind die Zeitpunkte im Jahr, an denen die Sonne ihren höchsten bzw. tiefsten Stand am Himmel erreicht. Wir wissen ja, dass die Sonne im Winter tief am Himmel steht und im Laufe des Frühlings Tag für Tag ihren Höchststand zu Mittag immer weiter oben erreicht. Bis sie zur Sommersonnenwende schließlich mittags so hoch steht, wie es nur geht und dann – Tag für Tag – ihren Höchststand wieder tiefer am Himmel hat. Den tiefsten Höchstand erreicht sie zur Wintersonnende und dann geht das Spiel wieder von vorne los.

Das war die Sonne, die sich in der Ekliptikebene bewegt. Und weil die Mondbahn um 5 Grad gegenüber der Ekliptik geneigt ist, kann der Mond noch 5 Grad höher am Himmel aufsteigen als die Sonne bzw. seinen Tiefstpunkt 5 Grad tiefer erreichen. Es ist allerdings ein bisschen komplizierter, denn der Mond braucht ja nur knapp 4 Wochen für einen Umlauf die Erde. Wie hoch ein Himmelskörper – Sonne, Mond oder irgendwas anderes – am Himmel steht, wird mit der sogenannten “Deklination” gemessen. Das ist eine Koordinate, wie die geografische Breite. Nur dass sie nicht vom Äquator der Erde aus gemessen wird, sondern vom Himmelsäquator aus, der aber dem an den Himmel projizierten Äquator der Erde entspricht. Der Polarstern, der ja fast exakt im Himmelsnordpol steht, hat deswegen eine Deklination von 90 Grad Nord. Bei der Sonne beträgt die maximale Deklination zur Sommersonnenwende +23,5 Grad und -23,5 Grad zur Wintersonnenwende. Soll heißen: Im ersten Fall steht sie 23,5 Grad über dem Himmelsäquator und im zweiten 23,5 Grad darunter. Wie hoch der Himmelsäquator selbst am Himmel zu sehen ist, hängt von der geografischen Breite ab. Steht man direkt am Äquator der Erde, dann verläuft der Himmelsäquator logischerweise auch direkt über den eigenen Kopf, hat also eine Höhe von 90 Grad über dem Horizont. An den Polen sieht man den Himmelsäquator direkt am Horizont und dazwischen entspricht die Höhe des Himmelsäquators 90 Grad minus der jeweiligen geografischen Breite. Will man also wissen, wie hoch die Sonne maximal am Himmel stehen kann, muss man 90 Grad – minus geografische Breite rechnen und dann plus 23,5 Grad. Und beim Mond kommen noch mal 5 Grad dazu.

Die Knotenlinie

Das war jetzt alles ein wenig kompliziert, soll aber vor allem zeigen, dass der Mond sowohl höher am Himmel stehen kann als die Sonne. Er kann maximal eine Deklination von +28,6 Grad erreichen und minimal eine von 18,4 Grad. Egal welche Deklination der Mond aber gerade hat: Im Gegensatz zur Sonne erreicht er seinen Höchst/Tiefststand am Himmel aber eben im Verlauf von 4 Wochen – einem Monat – und nicht während eines Jahres. Oder anders gesagt: Im Laufe von 18.6 Jahren gibt es zwei extreme Zustände, die “Großer Mondstillstand” und “Kleiner Mondstillstand” genannt werden. Beim großen Mondstillstand wird der Mond seinen höchsten Punkt am Himmel mit einer Deklination von +28,6 Grad erreichen und zwei Wochen später bei einer Deklination von -28,6 Grad seinen tiefsten. Dannach werden die Deklinationswerte im Laufe der 18,6 Jahre weniger extrem, bis nach der Hälfte, also nach 9,3 Jahren, der Mond seinen höchsten Punkt am Himmel mit einer Deklination von +18,4 Grad erreicht und 2 Wochen später seinen tiefsten bei -18,4 Grad. Und dann geht alles wieder zurück.

Der Begriff “Stillstand” hat also nichts damit zu tun, dass der Mond irgendwie aufhört sich zu bewegen. Sondern bezieht sich darauf, dass die Schwankungsbreite der Monddeklination im Laufe von 18,6 Jahren größer und kleiner wird. Aber sich eben zu den Zeitpunkten von großem und kleinen Mondstillstand umkehrt, also kurzfristig nicht größer oder kleiner wird, sondern eben still zu stehen scheint. Gut, aber was hat das jetzt alles mit den Gezeiten zu tun? Ich habe zu Beginn erzählt, dass die Gezeiten ganz besonders stark sind, wenn Mond, Sonne und Erde exakt in einer Linie stehen, sich also alle in der gleichen Ebene befinden. Anders herum gesagt heißt das: Wenn der Mond gerade besonders hoch über die Sonnenposition am Himmel klettern kann, stehen die drei Himmelskörper tendenziell alles andere als in einer Ebene und die Gezeiten fallen schwächer aus. Oder nochmal anders gesagt: Während eines kleinen Mondstillstands sind Sonne, Mond und Erde eher so ausgerichtet, dass die Gezeiten stärker werden als während eines großen Mondstillstands. Und ein letztes Mal anders gesagt: Diese 18,6-Jahres-Periode in der Bewegung der Mondknotenlinie führt dazu, dass in der einen Hälfte des Zeitraums die Gezeiten tendenziell etwas schwächer ausfallen als sie eigentlich sollten und in der anderen stärker, als es ansonsten der Fall wäre.

Nodaltiden sind lästig – und werden noch viel lästiger werden (Bild: B137, gemeinfrei)

An den Extrempunkten ist der Effekt besonders ausgeprägt; man nennt das auch die “Nodaltide”. Das ist also ein Gezeiteneffekt, der mit einer Periode von 18,6 Jahren stärker und schwächer wird und dessen Einfluss durchaus ein paar Prozent der gesamten Gezeitenkraft ausmachen kann. Was – je nach Küstenlinie usw. – ein paar Zentimeter mehr oder weniger Wasserstand bei Ebbe oder Flut bedeuten kann. Das alles ist nicht neu; darüber weiß man schon seit dem 18. Jahrhundert Bescheid. Neu ist, dass auch wir Menschen angefangen haben die Erde zu beeinflussen und zwar mit dem menschengemachten Klimawandel. Die Erwärmung der Erde lässt den Meeresspiegel steigen. Einerseits, weil wärmeres Wasser sich ausdehnt und andererseits, weil natürlich auch das Eis der Gletscher schmilzt und ins Meer läuft. Womit wir jetzt beim Phänomen der “lästigen Überschwemmung” angekommen sind. Der Fachbegriff dafür ist “tidal flooding” oder eben “nuisance flooding” und beschreibt eine Überschwemmung, ganz ohne schlechtes Wetter, Sturm, und so weiter. Sondern eine Überschwemmung, die nur dadurch auftritt, dass die Gezeiten eben ein paar Zentimeter höher sind als normal und die Flut dann ein bisschen in Gegenden rumplantscht, wo sie normalerweise nicht hinkommt. Das ist im Allgemeinen nicht gefährlich, aber eben lästig. Kritisch wird es dann, wenn so eine “lästige Überschwemmung” häufiger wird. Wenn etwa eine Brücke oder eine Straße einmal kurz überschwemmt wird, ist das kein Drama. Wenn es aber immer wieder passiert, dann sorgt das Salzwasser irgendwann für Schäden. Gleiches gilt zum Beispiel auch für Felder in Küstennähe: Wenn sie zu oft mit Salzwasser überschwemmt werden, kann man da irgendwann nichts mehr anbauen. Und ständige Überschwemmungen, selbst wenn sie nur gering sind, erhöhen auch die Erosion an den Küsten selbst.

Der menschengemachte Klimawandel hat mittlerweile für einen Anstieg des Meeresspiegels um circa 3,5 Millimeter pro Jahr gesorgt. Das klingt nach wenig. Aber es sind eben ein paar Millimeter pro Jahr. Und die können, zusammen mit den durch die Schwankungen der Knotenlinie ausgelösten Nodaltiden genau dafür sorgen, dass es eine “lästige Überschwemmung” gibt, die es ansonsten nicht gegeben hätte. Der Klimawandel macht diese Art von Hochwasser häufiger und damit eben nicht mehr nur lästig, sondern kritisch. Im Jahr 2015 gab es einen kleinen Mondstillstand. 18,6 Jahre später ist 2033, nochmal 18,6 Jahre später dann 2050. Der Meeresspiegel wird zwischen 2015 und 2050 auf jeden Fall steigen; egal was in Sachen Klimaschutz noch passiert. Der Anstieg des Meeresspiegels gehört zu den Phänomenen, bei denen wir es schon verpasst haben, sie aufzuhalten. Selbst wenn die CO2-Menge in der Atmosphäre nicht mehr weiter steigt wird es sehr, sehr lange dauern, bis das Wasser wieder zurück auf die Gletscher gelangt und dort dauerhaft gefroren ist. Die Klimakrise sorgt also nicht nur durch die häufigeren extremen Wetterereignise für mehr und heftigere Überschwemmungen. Wir müssen deswegen auch zu den Zeitpunkten des kleinen Mondstillstands in Zukunft mit sehr viel mehr “lästigen Überschwemmungen” rechnen. Mit all den Konsequenzen, die sie dann weit mehr als nur lästig machen.

Kommentare (4)

  1. #1 Jost Jahn
    Nebel
    11. März 2022

    Springtiden kommen lokal durchaus um 1-2 Tage verzögert an, z.B. in der Nordsee. Das liegt an manchen komplizierten lokalen Gegebenheiten. Die Nordsee selber ist zu klein und flach für Tiden, daher kommt diese Tide aus dem Atlantik in einer großen Runde vom Ärmelkanal und Norden, die sogar dazu führt, daß die Westküste von Dänemark durch überlagerung recht geringe Tiden hat.

  2. #2 Captain E.
    14. März 2022

    Das Phänomen nennt man Amphidromie. Durch die lokalen Bedingungen entstehen Punkte, an denen kein Tidenhub existiert. Die Gezeitenwellen laufen im oder gegen den Uhrzeigersinn darum herum. Die Nordsee hat tatsächlich gleich drei amphidromische Punkte.

  3. #3 Bullet
    16. März 2022

    Wieder ein schöner Trigger-Artikel für, äh, “Lord Voldemort”. Aber: krass wat dazujelernt durch des Captains Kommentar. Danke sehr.

  4. #4 Captain E.
    17. März 2022

    @Bullet:

    Danke dafür! Ich dachte, dass es hier jetzt passen müsste. Ich bin da vor einiger Zeit mal drüber gestolpert.