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Sternengeschichten Folge 501: Die lila Erde

Wenn wir heute die Erde vom Weltall aus betrachten, dann sehen wir einen blauen Planeten. Oder einen grünen, je nachdem ob wir auf das Wasser oder aufs Land schauen. Aber wenn wir vor ein paar Milliarden Jahren auf die Erde geblickt hätten, dann wäre sie vielleicht ein violetter oder rosa Planet gewesen.

Um zu verstehen, wieso das so war, müssen wir uns kurz überlegen, warum die Erde heute blau bzw. grün erscheint. Blau ist sie natürlich wegen des vielen Wassers, dass aber selbst – so wie das Land – immer wieder mal auch grün aussehen kann. Und das liegt an den Lebewesen, die dort leben. Den Pflanzen auf dem Land und den Algen im Meer, die zwar nicht ausschließlich aber doch sehr grün sind. Und das wiederum liegt an der Art und Weise, wie diese Lebewesen ihr Leben leben. Sie tun das, in dem sie Fotosynthese betreiben, also in dem sie die Energie die im Licht der Sonne steckt direkt in chemische Energie für ihren Stoffwechsel umwandeln. Sie können das, weil sie den natürlichen Farbstoff Chlorophyll besitzen. Das Chlorophyll – oder besser gesagt die Chlorophylle, denn es gibt unterschiedliche Arten dieses Farbstoffs – kann Licht aufnehmen. Die in diesem Licht steckende Energie wird dann genutzt, um diverse chemische Reaktionen ablaufen zu lassen, damit am Ende die organischen Verbindungen entstehen, die die Pflanze oder die Alge zum Leben braucht.

Das hat jetzt noch nichts mit der Farbe zu tun. Die kriegen wir erst, wenn wir uns anschauen, welche Teile des Lichts das Chlorophyll nutzen kann. Das Licht der Sonne ist ja eine Mischung aus allen Farben; aus rot, grün, gelb, blau, und so weiter. Das Chlorophyll nutzt den roten Teil des Lichts, des blauen genau so. Aber nicht den grünen Anteil; der wird reflektiert. Das ist einerseits der Grund dafür, warum die Pflanzen grün erscheinen. Und andererseits seltsam, weil genau in diesem Bereich steckt die meiste Energie im Sonnenlicht. Warum sollten die Pflanzen gerade darauf verzichten?

Dazu kommen wir später noch. Zuerst schauen wir uns einmal ein paar Flamingos an. Die sind ja bekanntlich sehr rosa. Was nicht an den Flamingos selbst liegt, sondern an Halobacterium salinarum. Das ist ein Mikroorganismus und auch wenn er Halobacterium heißt, ist es keine Bakterie. Das hat man früher nur gedacht, bis man in den 1970er Jahren drauf gekommen ist, dass es jede Menge Mikroorganismen gibt, die zwar auf den ersten Blick so aussehen wie Bakterien, sich aber tatsächlich sehr grundlegend von ihnen unterscheiden; so grundlegend, dass man sie zu einer völlig eigenen Klasse von Lebewesen erklären muss: Die Archaeen. Heute teilt man die Lebewesen tatsächlich in drei große Gruppen. Da sind einmal die Eukaryoten, also alle Lebewesen, die aus Zellen mit einem Zellkern bestehen. Dazu gehören die Pflanzen, die Tiere, die Pilze, diverse Mikroben und natürlich auch wir Menschen. Dann gibt es die Bakterien. Und dann die Archaeen. Vermutlich stammen wir Menschen (zusammen mit allen anderen Tieren und Pflanzen) sogar von den Archaeen ab. Diese Mikroorganismen sind auf jeden Fall schon sehr lange auf der Erde, sehr viel länger als wir und sie besiedeln sehr extreme Lebensräume. Heiße Quellen, lichtlose unterirdische Gesteinsschichten, Regionen ohne Sauerstoff und andere eigentlich sehr lebensfeindliche Räume. Und so gern ich noch weiter über die Archaeen erzählen würde, wir müssen wieder zurück zu den Flamingos.

Halobacterium salinarum und ähnliche Archaeen leben zum Beispiel gerne in sehr salzhaltigen Gewässern. Dort werden sie gefressen, zum Beispiel von winzigen Krebsen. Die wiederum sehr gerne von Flamingos gefressen werden. Die Archaeen landen also am Ende in den Flamingos. Oder besser gesagt, das Bakteriorhodopsin aus den Archaeen sammelt sich im Laufe der Zeit in den Flamingos an. Und das wiederum ist ein Protein, dass die Archeen nutzen, um Energie aus Licht zu gewinnen. Nicht genau so wie das die Pflanzen mit dem Chlorophyll tun, aber diese Details sparen wir uns jetzt. Bacteriorhodopsin ist ein Protein, das Licht absorbieren kann. Wir haben so etwas ähnliches in unseren Augen und es ist durchaus wahrscheinlich, dass wir es irgendwann im Laufe der Evolution von den Archaeen geerbt haben. Was Bacteriorhodopsin außerdem noch ist, ist lila (deswegen nennt man das Rhodopsin in unseren Augen auch manchmal “Sehpurpur”). So wie die Pflanzen heute das grüne Chlorophyll für ihre Fotosynthese benutzen, verwenden die Archaeen das lila Bacteriorhodopsin für ihren Stoffwechsel. Und im Vergleich zum Chlorophyll ist dieses lila Protein sehr viel einfacher aufgebaut. Es ist also absolut plausibel, dass es sich im Laufe der Evolution zuerst entwickelt hat. Vor Milliarden von Jahren, als das Leben auf der Erde ausschließlich aus Mikroorganismen bestanden hat, könnten frühe Bakterien und Archaeen dieses Protein verwendet haben, um Licht zu absorbieren.

Diese Mikroorganismen sind heute in der Lage, Gewässer rosa zu färben, wenn sie in großen Mengen auftauchen. Und könnten durchaus auch die frühe Erde pink-violett eingefärbt haben. Das ist die sogenannte “Purple Earth Hypothesis”, also die “Lila-Erde-Hypothese”. Das muss irgendwann vor 2,5 bis 3,5 Milliarden Jahren gewesen sein. Denn, wie ich in Folge 171 der Sternengeschichten schon ausführlich erklärt habe: Dann kam die “Große Sauerstoffkatastrophe”. Die ersten Mikroorganismen sind auf den Trick mit der Fotosynthese durch Chlorophyll gekommen, bei der als Abfallprodukt Sauerstoff entsteht. Dieses sehr reaktive Gas war für so gut wie alle damaligen Lebewesen enorm giftig und der absolut überwiegende Teil des Lebens starb damals aus. Nur die paar, die mit dem Sauerstoff klar kommen konnten haben überlebt und aus ihnen haben sich all die Lebewesen entwickelt, die Sauerstoff zum Leben brauchen (so wie wir Menschen). Übrig geblieben sind auch noch ein paar Mikroorganismen wie die Archaeen, die sich sauerstoffarme oder sauerstofffreie Nischen gesucht haben. Aber wenn die Erde früher wirklich lila war, ist sie spätestens mit der großen Sauerstoffkatastrophe grün geworden.

Salzige Seen mit rosa Archaeen (Bild: Grombo, CC-BY-SA 3.0)

Das kann auch erklären, wieso das Chlorophyll gerade das mit dem grünen Licht nicht so gerne mag. Wenn die frühen, lila Mikroorganismen mit ihrem simpleren Farbstoff das grün-gelbliche Licht der Sonne mit der meisten Energie genutzt haben, dann musste sich die Fotosynthese mit dem Chlorophyll unter diesen Bedingungen entwickeln. Und wenn das grün-gelbe Licht schon weg ist, dann bleibt halt nur noch der blaue und der rote Anteil übrig. Erst als die Mikroorganismen mit der effektiveren Fotosynthese die Oberhand gewonnen hatten, sind die lila Lichtdiebe verschwunden. Aber grün ist das Chlorophyll halt immer noch. Ob das damals wirklich so war, wissen wir natürlich nicht.

Aber es ist durchaus plausibel, dass es so war. Und das ist auch für die Astronomie interessant, nämlich dann, wenn wir auf den Planeten anderer Sterne nach außerirdischem Leben suchen. Da suchen wir ja nicht nach irgendwelchen Alienstädten oder so. Sondern nach Mikroorganismen oder ähnlich einfachen Lebensformen. Würden wir zum Beispiel aus weiter Ferne das Licht betrachten, das die Erde von der Sonne reflektiert, dann würde wir merken, dass da was fehlt. Wir würden feststellen, das weniger rotes Licht und weniger blaues Licht ankommt, als eigentlich ankommen sollte. Und der Grund dafür sind die Pflanzen und Algen mit ihrer Fotosynthese, die sich genau diesen Teil des Lichts schnappen. Wenn das Leben aber nicht grün startet, sondern lila, dann müssen wir auch nach anderen Spuren im Licht suchen. Vielleicht werden wir irgendwann in Zukunft da draußen keine zweite Erde finden, sondern eine lila Erde!