Dieser Artikel ist Teil einer fortlaufenden Besprechung des Buchs “Wenn Gott würfelt: oder Wie der Zufall unser Leben bestimmt” (im Original: “The Drunkard’s Walk: How Randomness Rules Our Lives”) von Leonard Mlodinow. Jeder Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel des Buchs. Eine Übersicht über alle bisher erschienen Artikel findet man hier.
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Im ersten Kapitel des Buchs hat Mlodinow anschaulich dargelegt, wie sehr der Zufall unser Leben bestimmt und vor allem dort, wo wir nicht damit rechnen. Das zweite Kapitel hat sich mit den grundlegenden Regeln der Wahrscheinlichkeit beschäftigt. Im dritten Kapitel präsentiert Mlodinow das fiese Ziegenproblem, das unser Unverständnis der Wahrscheinlichkeit eindrucksvoll präsentiert. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit den Methoden zur Berechnung von Wahrscheinlichkeiten die vor allem Blaise Pascal im 17. Jahrhundert entwickelt hat. Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, was Wahrscheinlichkeiten in der realen Welt eigentlich bedeuten.
Und in Kapitel 6 wird es verwirrend… Denn da geht es um Thomas Bayes und seinen kleinen aber relevanten Beitrag zur Wahrscheinlichkeitsrechnung. Ein Beitrag, der für das Verständnis von Wahrscheinlichkeiten im Alltag von enormer Bedeutung ist, aber sehr oft ignoriert wird. Bayes hat sich mit den bedingten Wahrscheinlichkeiten beschäftigt, also mit der Frage, wie die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses von der Wahrscheinlichkeit eines anderen Ereignisses abhängt.
Ein Beispiel: Ein Mann nimmt nach der Arbeit heimlich Tanzstunden. Seine Frau merkt, dass er immer später nach Hause kommt und schließt daraus, dass er ein Verhältnis hat. Denn warum sonst sollte er ihr die Wahrheit über das verschweigen, was er nach der Arbeit tut. Wenn er eine Affaire hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit gröer, dass er über seine “Überstunden” lügt als wenn er keine Affaire hätte. Aber hier hat sie die bedingten Wahrscheinlichkeiten durcheinander gebracht. Da ist einmal die Wahrscheinlichkeit, dass der Mann lügt, wenn er eine Affaire hat. Und dann die Wahrscheinlichkeit, dass er eine Affaire hat, wenn er lügt. Beide Wahrscheinlichkeiten sind nicht gleich groß und dürfen nicht verwechselt werden!
WIE wichtig das ist, weiß Mlodinow aus eigener Erfahrung. Im Jahr 1989 bekam er einen Anruf von seinem Arzt der ihm erklärte, dass er mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 die nächsten 10 Jahren nicht überleben wird. Das ist natürlich keine sonderlich erfreuliche Nachricht sondern kommt einem Todesurteil gleich. Aber Mlodinow ist immer noch lebendig und die erschütternde Aussage seines Arztes ist nur schlechter Statistik zu verdanken.
Mlodinow hatte für seine Lebensversicherung einen HIV-Test absolviert und wurde positiv getestet. Der Test ist natürlich nicht perfekt. Wird er auf 1000 nicht-infizierte Blutproben angewandt, dann liefert er im Durchschnitt einmal ein falsches Ergebnis und behauptet, das Blut wäre infiziert obwohl es das nicht ist. Daraus hat der Doktor geschlossen dass der Test in 999 von 1000 Fällen richtig und Mlodinow mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 Prozent mit HIV infiziert ist. Aber das ist falsch. Der Arzt hat wieder zwei bedingte Wahrscheinlichkeiten verwechselt. Die Wahrscheinlichkeit dass Mlodinow positiv getestet wird, wenn er nicht HIV-positiv ist und die Wahrscheinlichkeit, dass Mlodinow nicht HIV-positiv ist, wenn er positiv getestet wird.
Um den Fehler des Arztes zu verstehen, muss man sich die Sache ganz genau ansehen und das Theorem von Bayes ist die korrekte Methode das zu tun. Es reicht nicht, sich einfach nur die Daten aller Menschen anzusehen, die den HIV-Test absolviert haben. Bayes’ Theorem ermöglicht es, zusätzliche Informationen zu inkludieren und sie zu benutzen um die Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen neu festzulegen. Mlodinow ist ein weißer männlicher heterosexueller Amerikaner der keine Drogen nimmt und gehörte damit 1989 zu keiner der klassischen Risikogruppen. Es macht also Sinn, sich bei der Untersuchung der Wahrscheinlichkeiten auf die Gruppe zu beschränken, zu der auch Mlodinow gehört. Außerdem muss man alle Möglichkeiten untersuchen, die bei der Auswertung des Tests auftreten können. Dazu gehören die Fälle, in der eine Person positiv getestet wird, die HIV-positiv ist (“richtig-positiven” Fälle); die Fälle in der eine Person positiv getestet wird, die nicht HIV-positiv ist (“falsch-positiv”); die Fälle in der eine Person negativ getestet wird, die nicht HIV-positiv ist (“richtig-negativ”) und die Fälle in der eine Person negativ getestet wird, die HIV-positiv ist (“falsch-negativ”). Erst wenn man weiß wie wahrscheinlich all diese Fälle sind, kann man korrekte Aussagen über den Test machen.
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