Die angebliche Entdeckung eines neuen Planeten im äußeren Sonnensystem hat in den letzten Tagen für viel Aufsehen gesorgt. Dabei sind die Menschen schon seit mehr als 200 Jahren damit beschäftigt, neue Planeten im äußeren Sonnensystem zu vermuten, zu suchen und auch zu finden. In einer kurzen vierteiligen Artikel-Serie möchte ich diese lange Geschichte ein wenig ausführlicher darstellen um am Ende die aktuellen Ergebnisse vernünftig darstellen und einordnen zu können.
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In der ersten Folge meiner Serie über die lange Geschichte der Suche nach dem “Planet X” habe ich die spannende Zeit zwischen 1781 und 1989 beschrieben. Da hat man nicht nur drei neue Planeten entdeckt (darunter ein “echter” und ein “falscher” Planet X) sondern am Ende auch festgestellt, dass die Astronomie eigentlich gar keinen Bedarf mehr an unbekannten Planeten hat. Die Hinweise denen die lange Suche zu verdanken war, hatten sich als Ungenauigkeit bei der Messung von Neptuns Masse herausgestellt. So wie das Sonnensystem beschaffen war, war alles in Ordnung. Es gab keinen Grund, in seinen äußeren Bereichen irgendwelche unbekannten Planeten anzunehmnen.
Das änderte sich am 30. August 1992. Da entdeckten David Jewitt und Jane Luu den Himmelskörper mit dem Namen “1992 QB1”. Er befand sich noch weiter von der Sonne entfernt als Pluto und war der erste Himmelskörper, der in dieser fernen Region gefunden wurde. In einigen Medien wurde das damals als die Entdeckung eines “zehnten Planeten” gefeiert. Den Astronomen war aber von Anfang an klar, dass man hier “nur” einen Asteroiden gefunden hatte. Sein Durchmesser beträgt ungefähr 167 Kilometer, was auch bei sehr viel Enthusiasmus nicht ausreicht, um aus dem fernen Felsbrocken einen Planeten zu machen.
Das bedeutet aber nicht, dass die Entdeckung von 1992 QB1 keine außergewöhnliche und wichtige Sache war! Schon 1943 stellte der irische Astronom Kenneth Edgeworth eine Theorie auf, nach der sich außerhalb der Neptunbahn ein großer Asteroidengürtel befinden könnte. Eine ähnliche Theorie entwarf auch 1951 der Amerikaner Gerard Kuiper. Fern der Sonne sollten sich jede Menge Objekte befinden, die während der Entstehungsphase der Planeten vor 4,5 Milliarden Jahren übrig geblieben sind. So wie in den inneren Regionen ballte sich im jungen Sonnensystem auch dort draußen der Staub zu Fels- und Eisbrocken diverser Größen zusammen. Aber weit entfernt von der Sonne bewegten sich die Objekte langsamer; es gab weniger Kollisionen und die Himmelskörper konnten nur langsam wachsen.
Bis auf wenige Ausnahmen sind die Asteroiden im inneren Sonnensystem alle verschwunden; sie wuchsen zu Planeten heran bzw. wurden von den herangewachsenen Planeten zerstört, in die Sonne oder aus dem Sonnensystem hinaus geschleudert. Im äußeren Sonnensystem aber blieben sie, was sie waren. Sie schafften es nicht, große Planeten zu bilden.
Eine plausible Hypothese die nun durch die Entdeckung von Jewitt und Luu bestätigt wurde. Mit 1992 QB1 hatten sie den ersten Asteroiden des Kuipergürtels (So wird diese Ansammlung von Asteroiden meistens genannt – “Edgeworthgürtel” wäre eigentlich der gerechtere Name) entdeckt!
Obwohl: Wenn man genau sein möchte, dann handelt es sich allerdings um das zweite Objekt im Kuipergürtel. Denn in den folgenden Jahren entdeckten die Astronomen immer weitere Asteroiden des Kuipergürtels. Einige davon noch weiter entfernt; einige aber auch direkt dort, wo sich Pluto befindet. Schon 1993 war eine ganze Gruppe von Asteroiden bekannt, die sich um Pluto versammelt hatten (die sogenannten “Plutinos”) und damals begannen die Astronomen auch darüber nachzudenken, ob es eigentlich noch angebracht ist, Pluto als “Planet” zu bezeichnen.
Mit einem Durchmesser von knapp 2400 Kilometer war Pluto zwar recht groß für einen Asteroid. Aber auch recht klein für einen Planeten. Außerdem war seine Bahn ziemlich seltsam und sah eigentlich eher so aus, wie man es von den Bahnen der Asteroiden gewohnt war. Pluto war ein vergleichsweise kleiner Himmelskörper, der sich auf einer asteroidenähnlichen Bahn gemeinsam mit vielen anderen Asteroiden inmitten eines Asteroidengürtels um die Sonne bewegt. Der Schluss lag nahe: Pluto ist einfach “nur” ein großer Asteroid; vielleicht sogar der größte Asteroid im Kuipergürtel.
Die Situation war vergleichbar mit der zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Auch da war man auf der Suche nach einem unbekannten Planeten; auch da fand man einen passenden Himmelskörper; auch da stellte man fest, dass die Suche unter falschen Voraussetzungen stattfand und es eigentlich gar keinen Grund dafür gab und auch da stellte sich der “Planet” später als großer Asteroid heraus. Ich habe diese Geschichte hier ausführlich erzählt und sie scheint sich fast 200 Jahre später zu wiederholen. Damals war es Ceres, entdeckt am 1. Januar 1801 und als lang gesuchter Planet zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter gefeiert. Erst später stellte sich heraus, dass sich dort ein Asteroidengürtel befindet und Ceres mit seinen fast 1000 Kilometer Durchmesser nur der größte der dortigen Asteroiden ist. Aber den Status eines Planeten trug er trotzdem einige Jahrzehnte.
Auf Pluto wartete nun das gleiche Schicksal. Nicht nur fand man nach 1992 jede Menge andere Asteroiden in seiner unmittelbaren Umgebung; man fand auch immer größere. 2001 zum Beispiel Varuna, der schon knapp 1000 Kilometer durchmass; 2002 den noch größeren Quaoar, und noch viele mehr. Die meisten Astronomen waren der Meinung es wäre nur sinnvoll, die nun als fehlerhaft erkannte Klassifikation als Planet aus dem Jahr 1930 zu korrigieren. Aber die Internationale Astronomische Union (IAU) lehnte das Vorhaben ab; nicht aus wissenschaftlichen sondern “aus historischen Gründen”.
Im Jahr 2005 fand dann aber eine Entdeckung statt, die der IAU eine Entscheidung aufzwang. Der amerikanische Astronom Mike Brown und seine Kollegen entdeckten Eris. Dieser Himmelskörper war tatsächlich so groß wie Pluto selbst; nach damaligen Wissensstand sogar ein kleines Stück größer. War Eris nun also der zehnte Planet des Sonnensystems? Und wenn nicht: Wieso durfte Pluto ein Planet bleiben aber Eris nur ein Asteroid?
Im Jahr 2006 wurde die Frage bei der IAU-Generalversammlung in Prag offiziell behandelt. Es wurde eine neue Definition des Wortes “Planet” verabschiedet die weder von Eris noch von Pluto erfüllt wurde. Beide waren große Asteroiden (bzw. “Zwergplaneten”, ein ebenfalls damals neu definierter Begriff) und das Sonnensystem hatte nur noch acht Planeten. Wer die Geschichte von Mike Browns Entdeckung im Detail nachlesen möchte, dem kann ich dieses Buch empfehlen, das auch auf deutsch* erhältlich ist.
Bis auf einige amerikanische Astronomen (Pluto wurde immerhin von einem Amerikaner entdeckt) und Teile der Öffentlichkeit störte sich niemand an Plutos neuem Status (und ich habe zu dem Thema hier, hier oder hier mehr dazu geschrieben). Aber die vielen großen Himmelskörper in den äußeren Regionen des Sonnensystems ließen die alte Frage wieder aufleben: Gibt es da vielleicht doch noch mehr? Nicht nur große Asteroiden, sondern auch echte Planeten? So groß wie die Erde? So groß wie Jupiter?
Wenn es sie gibt, dann müssen sie auf jeden Fall weit weg sein. Denn wenn da noch ein Planet wäre, würde er natürlich auch einen entsprechenden gravitativen Einfluss auf den Rest des Sonnensystems ausüben. Aber davon war nichts zu beobachten. Alle bekannten Himmelskörper bewegten sich so, wie sie es sollten. Irgendwelche unerklärten Störungen gab es nicht – ein “Planet X” muss also auf jeden Fall so weit weg sein, dass sein Einfluss auf den Bereich den wir beobachten können, unterhalb unserer Messgenauigkeit liegt.
Und er musste vor allem immer weit weg bleiben und könnte auch nicht ab und zu auf einen kurzen Besuch ins innere Sonnensystem kommen. Diese Tatsache zeigte auch, dass die diversen esoterischen und pseudowissenschaftlichen Behauptungen über die Existenz eines “Planet X” oder “Nibiru” Unsinn sein mussten. Denn im 20. Jahrhundert beschäftigten sich nicht nur die Astronomen mit unbekannten Planeten; auch anderswo spekulierte man über “versteckte” Planeten. Angeblich hätten alte Völker von der Existenz weiterer Himmelskörper gewusst; angeblich hätten dort Aliens gelebt und die Erde besucht; angeblich hätte dieser Planet bei regelmäßigen Vorbeiflügen an der Erde große Katastrophen verursacht und angeblich würde er das auch in Zukunft tun. Besonders im neuen Jahrtausend (und ganz besonders angesichts der Weltuntergangspanik des Jahres 2012) sagten diverse Esoteriker, Pseudowissenschaftler, Hellseher und UFO-Sekten voraus, dass demnächst wieder ein neuer Planet am Himmel erscheinen würde. Ich habe damals schon erklärt, warum das Unsinn ist und genau vorgerechnet, dass so ein Planet schon längst entdeckt worden wäre.
Mit dem “Planet X” der Astronomen haben all diese pseudowissenschaftlichen Geschichten nichts zu tun, auch wenn sie leider immer wieder miteinander vermischt werden. Im echten Universum wurden in der Zwischenzeit neue Entdeckungen gemacht. Schon 2003 fand man den 1000 Kilometer großen Asteroid Sedna, der seine Runden weiter entfernt von der Sonne zog als alle anderen bekannten Himmelskörper. Am sonnenfernsten Punkt seiner Bahn ist er 1000 Mal weiter von unserem Stern entfernt als die Erde! Mit Sedna hatte man das erste Mal ein Objekt entdeckt, dass nicht mehr zum Kuipergürtel zu gehören schien, sondern zur noch weiter entfernten Oortschen Wolke. So wie der Kuipergürtel wurde auch die Existenz dieser Region schon lange vorher vermutet. In den 1930er Jahren vermutete man dort den Ursprung der langperiodischen Kometen. Die Geschichte der Oortschen Wolke habe ich hier ausführlich erzählt und wenn es im Sonnensystem noch unbekannte große Planeten gibt, dann sind sie aller Wahrscheinlichkeit nach dort zu finden.
Die unzähligen Asteroiden und Kometen die sich in der Oortschen Wolke befinden müssen, werden wir vermutlich nie direkt beobachten können. Dafür ist sie einfach zu weit weg; sie reicht fast ein Lichtjahr hinaus ins All. Aber die Übergangszone zwischen Kuipergürtel und Oortscher Wolke; die sogenannte “innere Oortsche Wolke” könnte für Beobachtungen zugänglich sein. Sedna hält sich genau dort auf und es spricht nichts dagegen, dort auch noch weitere Asteroiden zu entdecken. Und vielleicht sogar Planeten?
Nun, wirklich belastbare Hinweise gab es noch nicht. Aber als das nächste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends anbrach, begann sich die Situation langsam zu ändern. Und wie es mit der Suche nach “Planet X” in den Jahren nach 2010 weiterging, wird das Thema der nächsten Folge sein.
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