Mein Fahrradurlaub ist zwar schon seit Juli vorbei, Bücher übers Fahrradfahren haben mich allerdings auch im August noch beschäftigt. Genau so wie Bücher über andere Arten des Reisens, über Wissenschaftskommunikation und jede Menge andere Themen. Und weil der Monat sich nun seinem Ende zuneigt, kommt hier wieder die Übersicht über all das, was ich im August gelesen habe:
Tour de France und andere Radabenteuer
Bis jetzt hat mich Radfahren als Sport nicht sonderlich interessiert. Meine eigenen Radfahrten hab ich kaum als Sport gesehen, sondern als Erholung und Urlaub. Deswegen hab ich große Events wie die Tour de France auch nie wirklich verfolgt.
In diesem Jahr fand das größte Radsport-Event der Welt aber zeitgleich mit meinem eigenen Radurlaub statt und ich hab mir angewöhnt, die jeweilige Tour-Etappe bei der Erholung nach meinen eigenen Fahrten anzusehen. Und festgestellt, dass das professionelle Straßenradfahren seine ganz eigenen Regeln hat. Was für die Radsportfans offensichtlich ist, muss man als Laie ja erst mal lernen. Zum Beispiel das so etwas wie die Tour de France ein Mannschaftssport ist. Da fährt nicht jeder gegen jeden und wer zuerst im Ziel ist, hat gewonnen. Es gibt Teams und jeder im Team hat verschiedenen Aufgaben; als Erster durchs Ziel zu kommen ist nur eine davon und diese Aufgabe hat nicht jeder. Wenn man das (und die ganzen anderen Details) erst mal verstanden hat, wird so ein Rennen wie die Tour de France erst so richtig interessant. Und sehr gut verstehen kann man das mit einigen der Bücher, die ich gelesen habe.
Zum Beispiel “Auf der Straße: Eine Saison im Profipeloton” (im Original “The Racer: The Inside Story of Life on the Road”) von David Millar. Der schottische Radfahrer beschreibt dort im Detail, wie seine letzte Saison als Profi abläuft und man bekommt aus erster Hand erzählt, wie sehr sich dieser Sport von der naiven “Alle fahren los und wer zuerst im Ziel ist gewinnt”-Vorstellung unterscheidet. Ich kann das Buch sehr empfehlen, genau so wie “Lanterne Rouge: Der letzte Mann der Tour de France” (im Original “Lanterne Rouge: The Last Man in the Tour de France”) von Max Leonard. Hier bekommt man die gesamte Geschichte der Tour de France erklärt und zwar aus Sicht derjenigen, die letzter geworden ist. Obwohl es keine Schande ist, die “rote Laterne” verliehen zu bekommen. Im Gegenteil; Leonard beschreibt, wie sich Fahrer immer wieder regelrechte Kämpfe um diese Position liefern. Den abgesehen davon, dass es gar nicht so einfach und eine beeindruckende Leistung ist, überhaupt ins Ziel zu kommen (was jedes Jahr viele nicht schaffen), hat der letzte Platz seinen ganz eigene (und durchaus lukrativen) Anreiz. Als Überblick über das, was die Tour de France ausmacht und wie sie wurde, was sie ist, ist das Buch sehr zu empfehlen.
Ein wenig anders sind die Bücher von Tim Moore. Der britische Journalist schreibt gerne über Reisen, die er gerne mit dem Fahrrad durchführt. In “French Revolutions: Cycling the Tour de France” (auf deutsch: “Alpenpässe und Anchovis: Eine exzentrische Tour de France”) macht er genau das, was im Titel steht: Nämlich die Route der Tour de France aus dem Jahr 2000 mit dem Fahrrad abzufahren. In “Gironimo!: Riding the Very Terrible 1914 Tour of Italy” (auf deutsch: “Gironimo!: Ein Mann, ein Rad und die härteste Italien-Rundfahrt aller Zeiten”) ist der Titel ebenso aussagekräftig. Und in “The Cyclist Who Went Out in the Cold: Adventures Along the Iron Curtain Trail” (auf deutsch: “Mit dem Klapprad in die Kälte: Abenteuer auf dem Iron Curtain Trail”) braucht man genau so wenig Fantasie wie bei den ersten beiden Bücher. Ich habe alle drei sehr gerne gelesen. Man muss sich vielleicht ein wenig an den Humor gewöhnen; bzw sollte vielleicht nicht alle drei Bücher am Stück lesen, so wie ich das getan habe. Denn dann kriegt man doch sehr viel vom gleichen. Tim Moore, der großer Radsportfan ist, ist selbst nicht unbedingt sportlich. Ein großer Teil des Tour-de-France-Buches besteht aus Beschreibungen der Qualen entlang der Strecke. Ein fast ebenso großer Teil aus Beschreibungen der französischen Lokale und Hotels… Aber es liest sich ganz gut. Viel interessanter fand ich das Buch über das Giro d’Italia-Rennen vom Jahr 1914. Es gilt (zumindest behauptet Moore das) als härtestes Rennen das je durchgeführt wurde und mit Etappen die im Durchschnitt alle fast 400 Kilometer lang waren und der damaligen Radtechnik kann man das fast glauben. Moore will das Rennen nachfahren und zwar mit einem Fahrrad aus genau dieser Zeit. Die gibt es natürlich nicht mehr, weswegen er es selbst aus alten Teilen zusammenbasteln muss um sich dann mit der entsprechenden Original-Kleidung und Ausrüstung auf den Weg quer durch Italien macht. Der Schrotthaufen der sein Fahrrad ist sorgt dabei natürlich für jede Menge Probleme. Im dritten Radreise-Buch geht es den 13.000 Kilometer langen Iron Curtain Trail und zwar mit einem Original Klapprad aus DDR-Produktion…
Wie gesagt: Man muss sich an den Humor ein wenig gewöhnen, aber dann sind es nette Bücher die man im (Rad)Urlaub gut lesen kann. (Und bevor wer fragt: In ALLEN Büchern wird das Thema “Doping” angesprochen und entsprechend behandelt. Übrigens auch in einem aktuellen Artikel nebenan bei Weitergen).
Hilfe, ein Journalist!
Die Wissenschaftskommunikation hat mich im Blog in den letzten Wochen ja intensiv beschäftigt. Das führt unter anderem auch dazu, das mein Bücherstapel zu diesem Thema immer größer wird. Ein Buch das ich aber auf jeden Fall allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dringend empfehlen möchte, ist “Am I Making Myself Clear?” von Cornelia Dean.
Dean ist Wissenschaftsredakteurin bei der New York Times und beschreibt die Interaktion zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit aus der Sicht der Journalistin. Im Wesentlichen ist es ein Leitfaden für all diejenigen, die sich auf irgendeinem Weg an die Öffentlichkeit wenden oder müssen. Dean erklärt wie Medien funktionieren (was nicht jeder Wissenschaftler weiß) und wie man am besten damit umgeht, wenn man zum Beispiel von einem Journalisten um ein Interview gebeten wird. Oder wie man eine Pressemitteilung schreibt und wie nicht (und vor allem: WANN nicht). Sie erklärt, wie man ein Buch schreibt; wie man sich im Fernsehen verhält, und so weiter. Die praktischen Hinweise sind – nun ja – praktisch 😉 Aber viel interessanter ist das, was Dean über die Medien selbst erzählt. Denn wer mit der Öffentlichkeit kommunizieren will MUSS WISSEN, wie die Medien funktionieren, die man dazu benutzen will (und wenn man sich so manche Bücher, Videos oder Vorträge ansieht, dann ist dieses Wissen definitiv nicht selbstverständlich). Manches aus diesem Buch von 2009 ist ein wenig veraltet (ich glaube nicht, das Wissenschaftskommunikation per Second Life heute noch sonderlich gut funktioniert); manches ist außerhalb den USA nur bedingt anwendbar (zum Beispiel wenn es darum geht, wie man sich als Gutachter vor Gericht verhält oder wie man Politiker über Wissenschaft informieren kann). Aber ich habe das Buch auf jeden Fall mit großem Gewinn gelesen und freue mich schon auf die Lektüre von “Making Sense of Science”, das im letzten Jahr erschienen und quasi der Nachfolger ist – diesmal richtet sich Dean an die andere Seite und erklärt der Öffentlichkeit, wie man mit der medialen Berichterstattung über Wissenschaft am besten umgehen kann.
Stumme Frauen
“Vox” (auf deutsch Vox) von Christina Dalcher ist ein hervorragendes Buch. Und ein sehr verstörendes Buch. Stellt euch vor, in den USA würde ein Mann Präsident, der extrem reaktionäre Anschauungen hat, sehr irrational handelt, leicht beeinflussbar und von seltsamen Beratern umgeben ist. Einer dieser Berater ist Vertreter einer christlich-fundamentalistischen Strömung deren Ziel es ist, die ursprüngliche “Reinheit” wieder herzustellen. Also die Zeit, in der Männer noch Männer waren, Frauen noch Frauen und alle wussten, wo ihr Platz ist. Der Mann arbeitet. Die Frau kocht und erzieht die Kinder. Und hat ansonsten nicht viel zu sagen, weil es ihrer gottgewollten Rolle entspricht, sich dem Mann unterzuordnen und kein Widerworte zu geben. Und um sicherzustellen, dass die Frauen nicht zu viel reden, wird ihnen ein technisches Gadget aufgezwungen, das ihnen einen (potentiel fatalen) Stromstoß versetzt, wenn sie pro Tag mehr als 100 Worte sprechen.
In dieser Welt spielt das Buch von Christina Dalcher. Der Nachfolger von Barack Obama hat die USA in kürzester Zeit in einen faschistischen Gottesstaat umgebaut. Frauen dürfen nicht arbeiten und auch sonst nicht viel. Vor allem nicht reden (oder schreiben oder lesen). Auch die Kinder nicht und wer es doch tut, muss mit extremen Strafen rechnen. Hauptfigur ist Jean McClelland. Vor dem Umbruch war sie eine Top-Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Neuro-Linguistik. Ihr Spezialgebiet war die Behandlung von Sprachstörungen, insbesondere der Wernike-Aphasie. Jetzt ist sie zur Sprach- und Arbeitslosigkeit gezwungen und muss zusehen, wie ihre kleine Tochter langsam die Fähigkeit zur Sprache verliert und ihre Söhne sich zu fundamentalistischen Mysoginisten verwandeln. Bis sie plötzlich von der US-Regierung gezwungen wird, wieder ihren alten Job aufzunehmen. Denn der Bruder des Präsidenten hat nach einem Schlaganfall genau die Art von Sprachstörung entwickelt, an deren Behandlung sie früher geforscht hat. So zumindest scheint es zu sein, aber tatsächlich steckt hinter der ganzen Sache ein viel schrecklicherer Plan…
“Vox” ist aus mehreren Gründen ein hervorragendes Buch. Zuerst einmal ist es enorm interessant, das zur Abwechslung einmal die Neuro-Linguistik die Hauptrolle in einem wissenschaftsbasierten Roman übernehmen darf. Die Autorin hat selbst auf diesem Gebiet als Wissenschaftlerin gearbeitet; weiß also wovon sie schreibt. Und dann ist “Vox” ein sehr verstörendes Buch. Angesicht der Entwicklungen im fiktiven Amerika des Romans denkt man sich zwar dauernd: “Nein, sowas kann niemals wirklich passieren!”. Da Dalcher die Entwicklung hin zu einer solchen faschistischen Gesellschaft aber durchaus sehr plausibel beschreibt und vor allem angesichts der realen Weltpolitik folgt darauf fast immer der Gedanken: “Wirklich? Ist es wirklich so enorm ausgeschlossen, dass so etwas niemals stattfinden könnte?”. Selbst in Deutschland würde sich vermutlich eine relevante Menge an Menschen finden lassen, die eine Rückkehr zu den “traditionellen Werten” befürworten. Und um eine Gesellschaft kippen zu lassen, braucht es keine radikale Mehrheit. Es reicht eine radikale Minderheit und eine Mehrheit, die den Entwicklungen passiv gegenüber steht…
Ich kann euch nur sehr empfehlen, das Buch zu lesen! Es ist enorm spannend, enorm informativ und man blickt danach mit Sicherheit auch ein wenig anders auf die reale Welt.
Was ich sonst noch gelesen habe
- “Neuschweinstein – Mit zwölf Chinesen durch Europa” von Christoph Rehage: Der Titel klingt ein wenig lächerlich; das Buch ist aber deutlich interessanter als er es vermuten lässt. Christoph Rehage hat sich eine simple Frage gestellt: Was treiben eigentlich all die chinesischen Reisegruppen die in kürzester Zeit quer durch Europa sausen. Die Antwort darauf findet er, in dem er einfach mitmacht. Das geht vor allem deswegen, weil Rehage perfekt chinesisch spricht und lange Zeit in China verbracht hat. Also bucht er eine der typischen Gruppenreisen und fährt mit. Ich fand das Buch hervorragend und sehr geeignet, dem Klischee des fotografierenden Chinesen der bei seiner Turbo-Tour durch Europa nix mitkriegt, ein wenig Realität entgegen zu setzen.
- “The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China” von Christoph Rehage: Weil ich das “Neuschweinstein”-Buch so gut fand, hab ich auch gleich noch dieses hier gelesen. Rehage, der in China lebte und studierte und gerne wandert, beschließt, von Peking zu Fuß bis Deutschland zu laufen. Das klappt nicht ganz, aber für eine Wanderung einmal quer durch China hat es gereicht. Davon berichtet er in diesem ausgezeichneten Buch. China ist ja eines von diesen Ländern, von denen man als Europäer denkt, man würde so circa wissen, was dort abgeht (aber wer kann eigentlich schon spontan und ohne googeln mehr als drei Millionenstädte des Landes nennen – dabei gibt es fast 100 davon!). Aber in Wahrheit so wenig darüber weiß, wie die Chinesen über Europa wissen (siehe das zuvor erwähnte Buch). Rehages Reisebericht ändert das ein bisschen; man bekommt zumindest einen sehr viel besseren Eindruck von dem, was China zu sein scheint und was die Menschen dort beschäftigt. Rehage, der seinen Weg von China bis Deutschland mittlerweile wieder aufgenommen hat, hat auch ein Reiseblog mit jeder Menge Bilder seiner Erlebnisse.
- “1000 Kilometer Deutschland: Daten, Fakten, Gegensätze auf der längsten Bahnstrecke” von Julius Tröger: Hat mich ein wenig enttäuscht. Der Autor fährt mit dem ICE von Berlin über Stuttgart nach München; entlang der längsten ICE-Verbindung Deutschlands. Und präsentiert entlang des Weges jede Menge Statistiken über Deutschlands. Wo fahren die meisten Cabrios? Wo wohnen die meisten Olympiasieger? Wo sind die meisten Helene-Fischer-Fans? Wo stehen die meisten Windräder? Und so weiter. Die Statistiken betreffen alltägliches, banales, politisches, – es ist eine wilde und interessante Mischung. Die Statistiken sind grafisch sehr schön präsentiert und es wäre vermutlich besser gewesen, aus dem ganzen Material einen reinen Bildband zu machen. Die Rahmenhandlung von der ICE-Fahrt hätte Tröger sich sparen können. Denn abgesehen von ein paar Sätzen zu Bordbistro, Mitreisenden und Städten entlang der Route spielt sie keine Rolle. Das Buch ist generell sehr dünn und wenn man nicht im Detail auf die eigentliche Reise eingeht, dann braucht man sie eigentlich auch nicht als erzählerisches Mittel zu benutzen. Vor allem dann nicht, wenn man nichts erzählt, sondern nur Daten präsentiert.
- “Nul Points” von Tim Moore. Nachdem schon die Rad-Bücher von Moore gelesen habe, hab ich auch noch das Buch gelesen, in dem er alle Teilnehmer des Eurovision Songcontest besucht hat, die dort mit null Punkten ausgestiegen sind. Ich bin zwar kein ESC-Fan; fand das Buch aber trotzdem sehr amüsant und interessant. Ein wenig schade nur, dass sich beide Österreicher (Wilfried und Thomas Forstner) geweigert haben, mit Tim Moore zu reden 😉 Auf deutsch gibt es das Buch noch antiquarisch unter “Null Punkte – Ein bisschen Scheitern beim Eurovision Song Contest”. Und weil ich schon dabei war, hab ich auch noch “Spanish Steps: Travels With My Donkey” (auf deutsch: “Zwei Esel auf dem Jakobsweg”) gelesen. Moore bereist den spanischen Jakobsweg gemeinsam mit einem Esel. Ich habs ja nicht so mit der Pilgerei und dem Drang nach Selbsterfahrung der dafür anscheinend Voraussetzung ist. Aber das Buch ist zum Glück ganz anders als andere Pilger-Bücher und sehr amüsant.
- “Wissenschaft im Kreuzverhör: 25 spektakuläre Fälle von Galilei bis Guttenberg” von Heinrich Zankl. Das Thema ist auf jeden Fall interessant: Wissenschaft bzw. wissenschaftliches Fehlverhalten das zu juristischen Auseinandersetzungen geführt hat. Das Buch ist aber eher weniger beeindruckend. Die Geschichten sind informativ, aber allesamt ziemlich trocken geschrieben. Es gibt keinerlei roten Faden; die Machenschaften der NS-Ärzte stehen neben irgendwelchen irrelevanten Juristen die Hausarbeiten plagiiert haben. Galileo Galilei folgt auf deutsche Professoren die Drittmittel veruntreut haben. Ein Teil der Geschichten hat kein richtiges Ende, weil die Prozesse noch nicht abgeschlossen waren als das Buch erschien. Alles wirkt ein wenig lieblos – und es ist schade, das man aus diesem Thema nicht mehr gemacht hat.
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