Vorbemerkung: Dieser Beitrag soll der Auftakt einer kleinen Serie sein, in der ich portionsweise Arbeitsumfeld und Methoden der Forensischen Genetik vorstellen möchte.
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Forensisch: (vom lateinischen forum „Marktplatz, Forum, Plural: Foren” – dort wurden im alten Rom Gerichtsverfahren, Untersuchungen, Urteilsverkündungen und Strafvollzug durchgeführt) mit Bezug zu Recht, Rechtsprechung und/oder Gericht
Genetik: “(von griechisch γενεά geneá ‚Abstammung’ sowie γένεσις génesis ‚Ursprung’ ) oder Vererbungslehre ist ein Teilgebiet der Biologie und befasst sich mit den Gesetzmäßigkeiten und materiellen Grundlagen der Ausbildung von erblichen Merkmalen und der Weitergabe von Erbanlagen (Genen) an die nächste Generation (Vererbung).” Wikipedia
Die Forensische Genetik als Teilgebiet der Forensik oder der Forensischen Wissenschaften befasst sich also mit denjenigen forensisch relevanten Fragen und Problemen, die mit den Mitteln, Methoden und Techniken der Genetik beantwortet und bearbeitet werden können. Häufig handelt es sich dabei um die Zielsetzung der Individualisierung. Es soll z.B. eine biologische Spur an einem Tatort – ein Blutspritzer, eine Hautschuppe, ein Haar – eindeutig einer Person zugeordnet, also individualisiert werden. Oder es soll eine, z.B. durch Fäulnis visuell unkenntlich gewordene Leiche identifiziert oder, z.B. nach einer Naturkatastrophe, ein Leichenteil einer Leiche zugeordnet werden. Aber auch die “klassische” Vererbungslehre findet ihre forensische Anwendung, wenn das biologische Abstammungsverhältnis von zwei oder mehr Personen festgestellt, wenn also ermittelt werden soll, ob z.B. ein Mann wirklich der Vater eines bestimmtes Kindes oder eine Frau wirklich in mütterlicher Linie verwandt mit einer bestimmten Person ist. Die Grundlage für die genannten Untersuchungen ist die Erstellung eines oder mehrerer DNA-Profile (dazu später mehr). Ab und zu wird aber auch nach der biologischen Art einer Spur gefragt, also ob es sich z.B. bei einer Blutspur überhaupt um menschliches Blut handelt und wenn nicht, zu welchem Tier sie oder zu welcher Pflanzenart die zerkaute Nahrung im Magen einer Leiche gehört. Das gemeinsame Bindeglied all dieser Fragestellungen ist die DNA. An ihr kann man nicht nur nachvollziehen, aus welcher Art von Organismus sie stammt, sondern es lassen sich Individuen derselben Art auch voneinander unterscheiden, wenn sie nicht, wie eineiige Zwillinge, genetisch identisch sind.
Die Methoden der Forensischen Genetik haben sich im Laufe der Jahre, seit Sir Alec Jeffreys, aufbauend auf der Entdeckung hochvariabler Teilstücke in der DNS aus dem Jahr 1980, durch seine Methode der Analyse von Restriktionsfragmentlängenpolymorphismen (RFLP) zur Identifikation von Personen die DNA für die Forensik interessant machte, stark weiterentwickelt und verbessert. Sie sind so empfindlich, daß heute bereits die wenigen Hautzellen, die ein Täter bei der leisen Berührung z.B. eines Plastikbeutels abstreift, ausreichen, um ein vollständiges und umfangreiches DNA-Profil zu generieren. Die statistische Seltenheit solcher Profile in der Bevölkerung ist dabei so astronomisch hoch (z.B. 1: 10.000.000.000), daß eine zufällige Übereinstimmung praktisch ausgeschlossen ist und kein Verteidiger es wagen würde , vor Gericht dafür zu plädieren, die Übereinstimmung eines solchen Profils mit dem seines Mandanten als Zufall zu behandeln. Aber auch die Robustheit der Methoden hat sich immer weiter verbessert, so daß inzwischen auch sehr schlecht erhaltene oder durch Umwelteinflüsse stark beschädigte Spuren einer Untersuchung noch zugänglich sind.
Daß wir heute über so gute, robuste und empfindliche Methoden verfügen, aber auch, daß wir obsolete, den Ansprüchen nicht mehr genügende Methoden ausmustern konnten, verdankt sich ausschließlich der Forschung: Methodologische Forschung zur Weiterentwicklung und Optimierung bestehender Techniken, zur Entdeckung immer neuer noch sensitiverer, genauerer Methoden und zur Ausweitung von Untersuchungen auf bisher unberücksichtigte Moleküle, z.B. die “Einführung” der RNA-Analyse in das forensisch-genetische Repertoire (dazu später mehr), ist von zentraler Bedeutung für unser Fach. So ist es unserer Gruppe beispielsweise vor kurzem gelungen, eine Methode zu entwickeln, durch die wir selbst aus einem 67 Jahre alten Knochen, der auf dem Grund eines Sees in 20 m Tiefe lag, noch ein vollständiges DNA-Profil herstellen konnten (s. Literatur).
Neben der Methodologie gibt es aber auch andere interessante und wichtige Forschungsgebiete in der Forensischen Genetik: im Prinzip interessieren uns alle irgendwie forensisch relevanten Krankheitsbilder, die möglicherweise eine genetische Prädisposition ausweisen. Dazu zählen als prominenteste Beispiele der Plötzliche Kindstod und der Plötzliche Herztod. Aber auch die Suche nach genetischen Vorbedingungen für die Entwicklung von Sucht/Abhängigkeit, für die differentielle Verstoffwechselung von Drogen und Toxinen oder für eine mögliche Suizidneigung oder nach molekularen Markern für die Bestimmung von Todesursachen und Todeszeitpunkt sind äußerst spannende Themen. Und natürlich kennt auch die Forensische Genetik Kasuistiken, also Berichte von besonders abgefahrenen, bizarren, schwer (oder nicht) lösbaren oder sonstwie bemerkenswerten Fällen, die man mit der “community” teilen möchte.
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