Ich finde die Vorstellung äußerst beruhigend und befreiend, daß es außer uns nichts gibt, daß wir keine „Rolle” haben und spielen müssen, daß wir vollkommen unbedeutend sind in Bezug auf und aus Sicht der Welt und des Universums. Sie haben vor uns existiert, werden nach uns existieren und es wird vermutlich in ein paar Millionen Jahren keinerlei Spuren mehr geben, die darauf hinweisen, daß es uns je gab. Und das bedeutet, daß wir selbst uns einen Sinn geben können, daß ein anderer Mensch für uns das wichtigste auf der Welt, unsere Mitte, unser Zentrum sein kann und daß wir jede Sekunde, jeden Atemzug genießen dürfen in dem Wissen, daß wir nur dieses eine Leben haben, diesen verschwindend kurzen Augenblick, den wir uns gegen das entropische Fortgerissenwerden anzustemmen vermögen. Wenn wir diese Zeit nutzen, um glücklich zu sein und glücklich zu machen und zu lieben und geliebt zu werden (das ist ohnehin die ganze Weisheit) und unsere Kräfte nutzen, um dieser verzweifelten, heillosen Menschheit beizustehen – egal wie gering unser Beitrag auch sein mag – und das Leben von vielleicht nur einem Menschen besser und reicher zu machen – was könnte heroischer sein und unserer Existenz mehr Sinn verleihen?
In meinen Augen jedenfalls nicht, auf den Knien vor einer eingebildeten Gottheit zu rutschen und im Namen und nach dem vermeintlichen Willen derselben anderen Menschen alle Freude und Möglichkeiten zu rauben. Und deshalb wünschte ich mir nicht mal in den schlimmsten Momenten meines Lebens, “nie tiefer als in die Hand” irgendeiner Gottheit fallen zu können: ich käme mir vielleicht „erlöst” vor, doch nicht mehr frei. So wird es auch den Atheisten im Schützengraben, die es angeblich gar nicht gebe, ergangen sein und noch ergehen. Die Hand, die sie und mich auffinge, gehörte doch dem kosmischen Puppenspieler, dem beherrschenden Allvater im Himmel, der eine Mission für mich hat, der bei meiner Geburt schon festlegte, was ich mit meinem Leben anzufangen habe, der mir ohne meine Zustimmung eine bestimmte Rolle übergezwängt hat. Und gerade weil ich nicht von einem arbiträren, externen Zweck angetrieben bin, finde ich die Idee eines solchen Diktators über jede Einzelheit meines Lebens selbst in den nahezu hoffnungslosen Momenten so grauenhaft, daß mir die Vorstellung (s)einer mich auffangenden Hand nicht einmal dann Trost zu spenden vermöchte.
Ich brauche die Vorstellung einer übernatürlichen, übergeordneten Instanz und von deren Imperativ auch nicht, um eine universelle Einheit zu empfinden. Mein (gänzlich unesoterischer) Holismus findet sich im Sagan-Zitat: “We are star stuff contemplating star stuff”: Jedes Eisenatom in jedem unserer Erythrozyten, das in diesem Moment lebenswichtigen Sauerstoff transportiert, ist einmal im Herzen eines gewaltigen Sterns entstanden, viel größer als unsere Sonne und beim Tod dieses Sterns in einer riesenhaften Explosion ins kalte Universum geschleudert worden. Jedes unserer Atome stammt aus den äonenalten Fusionsöfen der Galaxis und alles, was existiert, alles, worüber wir nachdenken können, hat dort seinen Ursprung…
Das ist die wahrhafte und gottunbedürftige All-Einheit, die all unsere Unterschiede so trivial erscheinen läßt; die so viel größer, erhabener, demütiger stimmend und wundervoller ist, als es irgendein armseliger, von Menschen erfundener Popanz je sein könnte; sie ist die Grundlage einer würdevollen und stolzen und aufrechten und natürlichen (durch die Natur begrenzten!) „Spiritualität”, die, um sich auf sie einzulassen, einem Menschen allen Mut abverlangt, alle Eitelkeit verbietet und doch… wenn man sie wirklich zuläßt und, so weit es möglich ist, durchdringt, einen geborgen macht und frei.
Und beim Blick zu den Sternen stellt und verliert sich zugleich die Frage, ob wir das Erhabene schön oder das Schöne erhaben finden.
Ich mag die Justierung, die die Anschauung des Alls in einem vornimmt: was wir dort sehen, was dort geschieht, ist so unendlich unserem Zugriff entzogen, so gefeit gegen menschliches Handeln und Zerstören, so uralt, daß nur die Ärmsten und Elendesten sich noch gekrönt vorkommen können. Wir sind auf’s Zusehen, auf’s Nicht-Sehen und Suchen und auf’s Ahnen und Verstehen reduziert und zugleich dazu verdammt. Wir werden lange vorher wissen, ob und wann ein zufälliger, toter Eisbrocken aus den Tiefen des Alls die Erde und uns alle zerschmettern wird. Und doch ist es, das alles, unsere Heimat. Endlich und deshalb schön. Schön und deshalb endlich.
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