Die Bücher sind aus dickem Pergament (DNA), schwer und unhandlich und können nur in der Bibliothek, die noch dazu abgeschlossen ist, gelesen werden. Damit in der Küche (Zytoplasma) gekocht werden kann, wo die Rezepte als Anleitung für die Zubereitung von Speisen (Genprodukte wie Enzyme, Strukturproteine, Hormone etc.) benötigt werden, müssen also irgendwie die Informationen aus den dicken Kochbüchern aus der Bibliothek in die Küche kommen. Da die Bücher nicht transportiert werden können und auch nicht unter der Tür durch passen, müssen Abschriften (Transkripte) der Rezepte in Büchern angefertigt werden. Diese werden auf einem anderen Papier (RNA) als dem, aus dem die Buchseiten bestehen, niedergeschrieben (Transkription). Die Mitarbeiterin, die das macht (DNA-abhängige RNA-Polymerase), bekommt alles, was sie dafür braucht, in die Bibliothek geliefert. Da sie sich mit dem Kochen nicht so auskennt, schreibt sie einfach alles ab, was in einer Anleitung steht, also neben den wichtigen Infos (Exons) auch überflüssiges Zeug (Introns), z.B. eine Kurzbiographie des Kochs oder Nährwertangaben bestimmter Zutaten. Bevor die Abschriften in die Küche gebracht werden, werden sie daher noch von einem Lektorat (Spliceosom) redigiert, welches überflüssiges streicht (Splicing), manchmal leichte Modifikationen in das Rezept einbaut, wie z.B. Pilze weglassen (alternatives Splicing), und am Ende noch einen Erkennungsstempel (Capping) auf das fertige Rezept (reife mRNA) drückt.
Dieses ist handlich und klein und kann unter der Tür (Kernpore) durchgeschoben und in der Küche endlich vom Koch (Ribosom) als Anleitung zum Kochen (Translation) benutzt werden.
Da die Filialen wissen, zu welcher Kette sie gehören, bestellen sie in der Bibliothek natürlich nur die Rezepte für Gerichte, die in der Filiale auch vorgesehen sind. Eine Burger King Filiale würde also Whopper-Rezepte aber keine für BigMacs bestellen und eine Filiale einer Kette die französischer Haute Cuisine anbietet ordert Rezepte für Froschschenkel und nicht für Pommes Schranke(differentielle Genexpression).
Oder, ohne Analogie ausgedrückt: Zellen exprimieren zelltypspezifische Gene, z.B. werden bestimmte Leberenzyme nur in Leberzellen hergestellt und bestimmte Hormone werden nur in Zellen der Nebennierenrinde produziert.
Aber wie funktioniert das, ohne daß ein intelligenter Filialleiter den Angestellten auf die Finger guckt? Ich will ehrlich sein: Genexpressionsregulation ist ein unglaublich komplexes, längst nicht zu Ende erforschtes Thema, über das jedes Jahr tausende Seiten geschrieben werden und über das man monatelang referieren könnte. Zudem gibt es, wie oben angedeutet, im gesamten Prozess ja mehrere Stellen, an denen die Zelle steuernd eingreifen kann.
Ich muß mich hier also mit der Verdeutlichung eines Grundprinzips und dem „Beweis”, daß es wirklich ohne planende Hand funktioniert, begnügen. Ich versuche diese Darstellung anhand des sog. „lac-Operons” aus dem bekannten Bakterium Escherichia Coli (E. Coli).
Coli-Bakterien ernähren sich von den Kohlehydraten in ihrer Umgebung. Am liebsten haben sie die einfach zu verwertende Glucose (Traubenzucker). Nun kann es vorkommen, daß es keine Glucose, sondern nur Laktose (Milchzucker) in der Umgebung gibt. Coli-Bakterien, die Laktose nicht verwerten können, „verhungern” und in der Tat verfügen die Bakterien über Gene für den Lactoseabbau. Es wäre nun aber verschwenderisch und unökonomisch (und hätte sich in der Evolution daher nicht durchgesetzt) für E.Coli, stets die nötigen Genprodukte für die Lactose-Verwertung bereitzuhalten, falls es mal dazu kommen sollte, daß nur Lactose als Nahrung zur Verfügung steht (denn wenn es auch Glucose gibt, läßt E.Coli die Lactose zugunsten der Glucose links liegen). Ideal wäre es, die Genprodukte für die Lactose-Verwertung dann und nur dann zu produzieren, wenn nur Lactose als Nahrung verfügbar ist – und genau das kann E. Coli. Wie es das macht? Mit Hilfe des lac-Operons.
Das lac-Operon ist eine Funktionseinheit der DNA, die aus mehreren Teilen besteht:
- Promotor: dies ist die Stelle, an der die RNA-Polymerase, die eine RNA-Kopie der Lactoseabbaugene herstellt, ansetzen muß
- Operator: dies ist eine Stelle, die keine Information für ein Genprodukt enthält, sondern der Steuerung dient; sie ist so aufgebaut, daß an ihr ein bestimmtes Protein binden kann.
- Strukturgene (lacZ, lacY, lacA): dies sind die Gene für den Lactoseabbau. Das LacZ-Genprodukt ist ?-Galactosidase, ein Enzym, das Lactose in Galactose und Glucose aufspaltet. Das lacY-Genprodukt ist ein Transportprotein namens β-Galactosid-Permease (LacY), welches die Aufnahme von Lactose in die Zelle ermöglicht und das lacA-Genprodukt ist das Enzym ?-Galactosid-Transacetylase, das eigentlich nicht für den Laktoseabbau gebraucht wird (man weiß immer noch nicht genau weiß, welchen Nutzen dieses Protein dem Bakterium bringt).
Vor dem lac-Operon befindet sich noch ein Gen für ein Repressor-Protein (lacI).
Das lac-Operon kann zwei verschiedene Zustände einnehmen, es kann ein- und ausgeschaltet sein. Nur im eingeschalteten Zustand ist die Transkription der Laktoseabbau-Gene und damit die Herstellung der entsprechenden Genprodukte möglich.
Der Clou ist, daß das Operon nur dann eingeschaltet wird, wenn es nötig ist, wenn also Lactose vorhanden ist und die Genprodukte für ihre Verwertung benötigt werden.
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