Am Ende der letzten Folge war unser Stand: ausreichende, saubere und intakte DNA aus Spurenmateriel extrahiert, deren Konzentration wir bestimmt hatten und die nun mit dem Ziel einer DNA-Profil-Erstellung als Vorlage für die PCR-Vervielfältigung zur Identifikation von Personen geeigneter Abschnitten dienen soll.
Aber welchen Abschnitten? Genau das erzähle ich in dieser Folge.


V o r b e m e r k u n g : Menschen sind diploid, das bedeutet, daß sie einen doppelten Chromosomensatz besitzen, bestehend aus 23 Chromosomenpaaren: 22 sogenannte Autosomenpaare und ein Paar Geschlechtschromosomen (Frauen zwei X-, Männer ein X- und ein Y-Chromosom).

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Das Bild zeigt also einen männlichen Chromosomensatz.

Auf den Chromosomen eines Paares befinden sich jeweils die gleichen Inhalte (z.B. Gene), die allerdings nicht identisch sein müssen, da je ein Chromosom eines Paares vom Vater und das andere von der Mutter stammt.
Das ist in etwa so, wie wenn man das gleiche Kochbuch (s. „Restaurantanalogie“) zweimal im Bücherregal stehen hat, aber in unterschiedlichen Ausgaben: die Inhalte stimmen natürlich überein, aber hier und da ist ein Druckfehler, der vielleicht in der anderen Ausgabe korrigiert wurde, die Seitennumerierung ist anders usf. Worauf es ankommt: der Mensch hat von jedem Gen, von jedem DNA-Abschnitt zwei Kopien, je eine auf einem Partner eines Chromosomenpaars. Da die Abschnitte nicht immer auf den Buchstaben genau identisch sind, kann man also von „Ausgaben” oder Varianten der Abschnitte sprechen, das Fachwort ist „Allel”. Die Kombination der beiden Allele eines Abschnitts auf den beiden Partnern eines Chromosomenpaares nennt man „Genotyp”.
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Ein DNA-Profil hat immer die Aufgabe, Zuordnungen durch Individualisierung zu ermöglichen, d.h. das DNA-Profil eines Asservates oder eines Menschen muß eindeutig und einmalig sein. Streng genommen ist niemals sicher, daß ein DNA-Profil wirklich einmalig ist, aber man kann es so gestalten, daß man jenseits jedes vernünftigen Zweifels mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann.
Welche Bedingungen müssen DNA-Bereiche oder -strukturen erfüllen, damit sie den Anforderungen des DNA-Profilings genügen?

  • Sie sollten möglichst variabel sein, d.h. die definierten Bereiche müssen möglichst zahlreiche Allele (s.o.), haben. Je mehr Allele ein solcher Bereich hat, desto größer ist sein dikriminatorisches Potential, also seine Fähigkeit, Menschen voneinander unterscheidbar zu machen. Existierten für einen Bereich z.B. nur zwei Allele, die gleichmäßig in der Bevölkerung verteilt wären, so könnte, wenn eines der beiden Allele im DNA-Profil einer Tatortspur aufträte, die Hälfte der Bevölkerung nicht als Spurenverursacher ausgeschlossen werden. Wiese der Bereich hingegen 20 ebenfalls gleichmäßig verteilte Allele auf, so kämen, wenn ein eines dieser Allel in einer Spur festgestellt würde, nur 5% der Bevölkerung noch als Spurenverursacher in Frage. Das bringt uns dann auch gleich zum nächsten Punkt:
  • Die Allele eines Bereichs sollten in der Bevölkerung möglichst gleichmäßig verteilt sein. Wäre das nicht gegeben, würde man häufiger die häufigeren Allele finden. Wäre z.B. die Verteilung in unserem Beispiel mit 20 Allelen nicht gleichmäßig, sondern dergestalt, daß eines der 20 Allele bei 99,9% der Bevölkerung vorkäme und die verbleibenden 19 Allele auf die restlichen 0,1% der Bevölkerung entfielen, so würde man sehr häufig nur das eine häufige Allel in DNA-Profilen feststellen und es kämen dann zugleich immer 99,9% der Bevölkerung als Urheber des Profils in Frage – eine denkbar schlechte Ausgangslage. Die Voraussetzung für eine gleichmäßige Verteilung der Allele in einer Population ist übrigens, daß die Allele und der ganze DNA-Bereich, deren Ausprägung sie darstellen, evolutiv neutral sind, also keine Rolle in der Evolution spielen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Allele keine Merkmale ausbilden, gegen oder für die selektiert werden kann, die also die Wahrscheinlichkeit, Nachkommen mit eben diesen Allelen zu hinterlassen, in keiner Weise beeinflussen.
  • Die Bereiche müssen voneinander unabhängig vererbt werden und darüberhinaus einen überschaubaren Erbgang aufweisen; das heißt, die Wahrscheinlichkeit, daß ein Individuum eines seiner beiden Allele für Bereich A vererbt, darf keinen Einfluß auf die Wahrscheinlichkeit ausüben, daß dasselbe Individuum eines seiner beiden Allele für Bereich B vererbt. Überschaubar ist ein Erbgang zudem dann, wenn er nach den Mendelschen Regelnverläuft, wenn also grundsätzlich jedes Elternteil zufällig, also mit je 50% Wahrscheinlichkeit, eines seiner beiden Allele an einen Nachkommen vererbt, der daraufhin von jedem Elternteil ein Allel besitzt, so daß eine Generation von Nachkommen im Durchschnitt immer die Allelverteilung in der Elterngeneration abbildet.
  • Die Bereiche sollten „erbstabil” sein, d.i. eine geringe Mutationsrate aufweisen. Wenn das nicht der Fall ist, die Bereiche also häufig von Mutationen, das sind Veränderungen in der DNA, betroffen würden, so könnte man die Variabilität in der Allelverteilung nicht ohne weiteres auf reine unabhängige Durchmischung in der Population zurückführen, sondern müßte stets berücksichtigen, daß es mit einer verhältnismäßig hohen Wahrscheinlichkeit zu mutationsbedingten Allelübergängen (ein Allel wird durch Mutation zu einem anderen) kommen kann, was für reproduzierbare und belastbare DNA-Profile und auf diese gestützte Beweisführungen sehr hinderlich wäre

Bevor wir nun im Genom Ausschau nach für unser Ansinnen geeigneten DNA-Abschnitten halten, müssen wir noch die Strafprozessordnung (StPO) zu Wort kommen lassen, denn die Praxis für spurenkundliche Untersuchungen wird rechtlich durch den §81 der StPO geregelt. Er ist untergliedert in acht Unterabschnitte:

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Kommentare (11)

  1. #1 Theres
    27/04/2011

    Puh, harter Stoff … gut erklärt, doch ich muss ziemlich viel wiederholen.
    Aber: Wieso ist das Herausfinden der mutmaßlichen Haarfarbe (gibt Färbemittel) usw. nicht gestattet? Das würde doch weiterhelfen?

  2. #2 Joe Dramiga
    28/04/2011

    Ein schöner und wichtiger Artikel, der vielleicht einige Ängste vor DNA-Profilen nimmt. Wo kannst Du denn die Häufigkeitsverteilung für die Allele nachschauen? Wie groß sind die Populationen (Einwohnerzahl) und die Regionen (Quadratkilometer) auf die sich diese Häufigkeitsverteilungen beziehen?

  3. #3 Cornelius Courts
    28/04/2011

    @Joe Dramiga;
    “Wo kannst Du denn die Häufigkeitsverteilung für die Allele nachschauen?”

    Man kann bei den Laboren fragen, die ihre eigenen Häufigkeitsverteilungen ermittelt haben, oder man schaut hier: https://allstr.de/AutosomalDatabase/home.seam

    “Wie groß sind die Populationen (Einwohnerzahl) und die Regionen (Quadratkilometer) auf die sich diese Häufigkeitsverteilungen beziehen?”

    Das ist unterschiedlich. Wir hier in Bonn haben einen sehr großen Einzugsbereich, den ich aber nicht genau angeben könnte. Es sollten aber mindestens 200 DNA-Profile die Grundlage für eine Häufigkeitsverteilung bilden. Bei uns sind es aber viel mehr.

  4. #4 BreitSide
    28/04/2011

    xxx

  5. #5 Cornelius Courts
    03/05/2011

    @Theres: “Wieso ist das Herausfinden der mutmaßlichen Haarfarbe (gibt Färbemittel) usw. nicht gestattet? Das würde doch weiterhelfen? ”

    Ja, in der Tat. Aber nur bei den Ermittlungen. Das ist aber ein deutschlandtypisches Phänomen, da der Datenschutz hierzulande sehr streng gehandhabt wird. In anderen Ländern, z.B. Niederlande, darf man solche Informationen (Haar- und Augenfarbe) erheben und verwenden…

  6. #6 phiS
    25/04/2013

    Ich bin gerade auf diesen Blog gestoßen und muss sagen, dass er wirklich interessant und schön gemacht ist! Die Erklärungen wissenschaftlicher Konzepte ist wirklich gut (bin selbst Biologe und wünschte, ich könnte meine eigene Forschung Nicht-Experten so gut erklären…)!

    Ich hätte da eine Frage zur genetischen Aufklärung für phänotypische Marker (wie die obengenannte Haarfarbe oder Augenfarbe). Wenn ich das richtig verstehe, bezieht sich der oben genannte §81 der StPO auf DNA-Profile von _Beschuldigten_. Wie sähe die Situation aus, wenn es um die genetische Untersuchung anderen Materials geht – Z.B. Leichenteile, Knochenfragmente, o.Ä. eines oder mehrerer mutmaßlicher Mordopfer, die eine nicht-genetische Identifikation der Person nicht zulassen und von der auch ein normales genetisches Profil (also z.B. Genotypisierung durch SSR Marker) nicht oder nur begrenzt nützlich ist. Wenn Rückschlüsse auf phänotypische Marker eines Opfers die Ermittlungen einen Schritt in Richtung der Identifikation bringen können, wäre so ein Vorgehen dann rechtlich erlaubt?

    Wäre so ein Vorgehen nicht erlaubt, so stellt sich auch die Frage, inwieweit andere genetische oder molekularbiologischen Analysen rechtlich gedeckt sind — z.B. auch das RNA-Profiling, das anderswo im Blog erläutert wird. Bzw. die generellere Frage: welche molekulare Analysen sind in welchem Fall erlaubt oder nicht erlaubt?

    • #7 Cornelius Courts
      25/04/2013

      Die Erklärungen wissenschaftlicher Konzepte ist wirklich gut

      Danke, das ist wertvolles Feedback 🙂

      Wenn ich das richtig verstehe, bezieht sich der oben genannte §81 der StPO auf DNA-Profile von _Beschuldigten_.

      Die betreffende Stelle lautet: “dürfen auch molekulargenetische Untersuchungen durchgeführt werden, soweit sie zur Feststellung der Abstammung oder der Tatsache, ob aufgefundenes Spurenmaterial von dem Beschuldigten oder dem Verletzten stammt, erforderlich sind; hierbei darf auch das Geschlecht der Person bestimmt werden. […] Feststellungen über andere als die in Satz 1 bezeichneten Tatsachen dürfen nicht erfolgen; hierauf gerichtete Untersuchungen sind unzulässig.”

      Bezieht sich also auf Beschuldigte und Opfer.

      “Wenn Rückschlüsse auf phänotypische Marker eines Opfers die Ermittlungen einen Schritt in Richtung der Identifikation bringen können, wäre so ein Vorgehen dann rechtlich erlaubt?”

      Jein, es ist kompliziert. Wenn die genetische Bestimmung phänotypischer Marker möglich ist, dann ist auch immer die genetische Identifikation möglich, da sie auf ähnlichen Methoden beruht (z.B. SNP-Analyse). Man bräuchte also die Phänotypisierung nicht, sie wäre nicht erforderlich für die Identitätsfeststellung.
      Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, daß die Identitätsfeststellung nicht funktioniert, wohl aber die genetische Phänotypisierung, DANN wäre letztere ja erforderlich und müßte nach meinem Verständnis auch erlaubt sein. Allerdings wäre mir kein derartiger Fall bekannt.

  7. #8 pit87
    05/03/2014

    Hallo,

    Das ist echt eine super Seite und klasse erklärt.
    Da ich mich momentan mit dem Thema prüfungstechnisch mit dem Thema Rechtsmedizin beschäftige, habe ich eine Frage an dich, obwohl es vielleicht schon etwas zu speziell ist ;-). Könntest du vielleicht mal etwas zum Thema Artefakte (stutter, shoulder, Punktmutation, drop out usw.) schreiben. Ich tue mich damit sehr schwer die Unterschiede zu verstehen und habe bisher noch keine verständliche Seiten im Internet bzw. Bücher gefunden.
    Viele Grüße

    • #9 Cornelius Courts
      06/03/2014

      danke für die Rückmeldung (bin froh, daß ich den Kommentar bei bem alten Beitrag noch bemerkt habe :-)).

      Könntest du vielleicht mal etwas zum Thema Artefakte (stutter, shoulder, Punktmutation, drop out usw.) schreiben

      Artefakte sind Erscheinungen im Elektropherogramm, die unspezifisch sind, also nicht von den eigentlichen Spurenlegern stammen. Stutter-peaks sind Peaks, die meist 4 Basen vor dem eigentlichen Peak auftreten können. Sie entstehen, wenn die Polymerase “stolpert” und eine Repeateinheit (meist 4 Basen) zu wenig abliest. Man versteht nicht ganz genau, wie Stutter entsteht, aber er entsteht vorhersagbar und reproduzierbar und Hersteller geben daher für Kits auch stutter-ratios an und jedes akkreditierte Labor muß definierte Kriterien haben, ab wann ein Peak als stutter und nicht als echter Peak gewertet wird.
      Shoulder-Peaks sehen aus wie die “Schulter” eines normalen Peaks (sind also ganz eng dran (= eine Base weniger) und deutlich kleiner). Sie entstehen durch unvollständige 3′-Adenylierung.
      Punktmutationen sind keine Artefakte sondern Mutationen einzelner Basen (Transition oder Transversion). Punktmutationen sind für die STR-Analyse unerheblich, können aber ein Problem sein, wenn sie eine Primerbindestelle betreffen und der Primer nicht mehr binden kann, dann kann es zu vermeintlichen Allel- oder Locusausfällen (je nachdem ob hetero- oder homozygot) kommen.
      Drop-Out ist das Fehlen (= Nichtnachweisbarkeit oder unterhalb der festgelegten Detektionsgrenze, z.B. 50 rfu) eines Allels oder ganzen Locus im Elektropherogramm, das/der eigentlich da sein müßte. Drop-out tritt bei sehr geringen DNA-Mengen oder stark degradierter DNA auf und ist ein Problem bei der Interpretation. Um ein Profil mit Drop-Out-Artefakten bewerten zu können, muß man einen probabilistischen Interpretationsansatz wählen, der die Wahrscheinlichkeit einzelner Drop-out-Ereignisse berücksichtigt und einbezieht. Das ist erstens ziemlich kompliziert und zweitens muß man dafür diese wahrscheinlichkeiten erstmal kennen…

      Hoffe, das hilft Dir weiter.

  8. #10 pit87
    06/03/2014

    Super, danke für dir schnelle Antwort.
    Du hast mir sehr geholfen :-)!!

  9. #11 D.B.
    Deutschland
    30/11/2014

    Guten Tag Dr. Courts,

    war es früher als noch RFLP verwendet wurde ähnlich wie bei der STR-Analyse im Bezug auf die Anzahl der verwendeten Loci? Also wurden bei RFLP ebenfalls eine festgelegte Anzahl an Loci verwendet oder wie kann man sich dies vorstellen?

    Beste Grüße,
    D.B.