Inzwischen haben mich so zahlreiche Anfragen und Bitten um meine Einschätzung erreicht, daß ich zur Auffassung gelangte, es wäre hilfreich, mich hier dazu zu äußern:
Was hat es auf sich mit den “Gentests”, die Osama Bin Laden identifiziert haben sollen?
Wenn die Angaben in diesem Artikel stimmen und die USA tatsächlich über eine Reihe von sicher von mit Bin Laden verwandten Personen stammenden Vergleichsproben verfügen, so ist es plausibel, daß es ihnen gelungen ist, Bin Laden korrekt in dem alle Verwandten verbindenden Stammbaum einzuordnen und ihn auf diese Weise zu identifizieren.
Die Abbildung zeigt einen (von mir frei erfundenen) hypothetischen Stammbaum der Verwandtschaftsverhältnisse von Bin Laden. Die Information aus dem DNA-Profil jeder dieser mit Bin Laden verwandten Personen würde seine Identifikation plausibler machen. Je näher verwandt, in desto höherem Maße. Hätte man ein DNA-Profil von Vater, Mutter oder einem seiner Kinder, könnte man ihn sofort sicher identifizieren, auch direkte Geschwister wären, je mehr STR-Systeme getestet werden, sehr starke Hinweise. Im Artikel ist nur von Halbbrüdern mit gemeinsamem Vater die Rede. Hier ist der Verwandtschaftsgrad schon stärker “verdünnt” und man müßte, wie erwähnt, mehrere Halbbrüder testen, um auf eine hohe Identitätswahrscheinlichkeit zu kommen.
Eine andere häufige Frage bezog sich auf die Methode, die angeblich eingesetzt wurde, um Bin Ladens DNA-Profil zu erstellen.
Wie aus meiner Serie über Forensische Genetik ersichtlich, ist die Erstellung eines DNA-Profils eigentlich ein aufwendiger und mehrschrittiger Vorgang. Er umfasst:
- Asservierung und Begutachtung der Spur
- DNA-Extraktion
- DNA-Quantifizierung
- Anreicherung der für die Identifikation relevanten DNA-Abschnitte
- elektrophoretische Auftrennung der einzelnen Amplifikate
- Messung und Deutung des Musters der Längenpolymorphismen und Ableitung des DNA-Profils
Mehrfach war aber in der Presse von einem “DNA-Schnelltest”, der vor Ort durchgeführt worden sei, die Rede. Ist sowas überhaupt möglich?
Auf dem diesjährigen “Spurenworkshop“, einer Forensiker-Tagung, die der Präsentation der Ergebnisse des internationalen Spuren-Ringversuchs GEDNAP dient, auf der aber auch aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt werden, stellte die Firma “LGC Forensics” tatsächlich ein etwa aktenkoffergroßes Gerät vor, das die mobile und sehr schnelle (ein paar Stunden) Herstellung von DNA-Profilen aus biologischem Material noch am Tatort ermöglicht. Diese Schnellmethode beruht dabei auf modifizierten und verkürzten STR-Systemen und ersetzt keine sorgfältige und gerichtsfeste DNA-Profilierung in einem entsprechend ausgestatteten Labor, aber sie kann sehr rasch recht ordentliche vorläufige Ergebnisse erzielen, die für zeitnahe Ermittlungen sehr nützlich sein können. Dieser neue Schnelltest ist noch nicht marktreif und ganz sicher kein Standard oder nach forensischen Maßstäben validiert, aber er funktioniert und es ist plausibel, daß Institutionen wie US-Geheimdienste oder das US-Militär darüber verfügt.
Also ja, wenn die USA über ausreichende Vergleichsproben von Bin Ladens Verwandten verfügen und wenn das Einsatzteam, das den vermeintlichen Bin Laden ermordet hat, einen mobilen Schnelltest mitgeführt hat (z.B. in dem Hubschrauber), so hätten eine rasche Vor-Ort-Identifikation tatsächlich durchführt werden können.
ABER: kein objektiver Zeuge war dabei, als der Test durchgeführt wurde und nachträglich auf eine Identifikation hinweisende und zu den Profilen der Verwandten passende Allelwerte zu “erfinden” und diese zu veröffentlichen, ist sehr leicht möglich. Man hätte diese Allelwerte sogar schon im Voraus berechnen und dem Einsatzteam einfach mitgeben können, so daß, sobald dieses “Vollzug” gemeldet hat, man sich auf das zwar gefälschte, aber vor dem Hintergrund der Verwandten plausible DNA-Profil Bin Ladens als Beweis für dessen Identität hätte berufen können.
Das Vorliegen eines passenden DNA-Profils beweist also nicht, daß es wirklich Osama Bin Laden war, der getötet wurde.
Kommentare (34)