Und ist es wirklich im Sinne der Christen Deutschlands, daß diese Leute, die, außer vorzugeben, ihre Religion zu vertreten, keinen einzigen Eignungsnachweis schuldig sind, in wichtigen Gremien, deren sonstige Vertreter Wissenschaft, Ratio und Evidenz verpflichtet sind, die aus den unveränderten Ansichten und Mythen eines Bronzezeit-Todeskultes destillierten Auffassungen zu modernen wissenschaftlichen Problemen zur Grundlage für die Ablehnung von PID, Abtreibung, Gentechnik, Stammzell- und Embryonenforschung, Kondomen und allgemein Empfängnisverhütung zu machen?! Ich glaube das nicht.
Zum Schluss ein kleines Experiment: wie liest sich folgende Definition für Religion?
„Religion ist ein ideologisches System, das seine Anhänger als organische Gemeinschaft, die alle anderen Loyalitäten übersteigt, verherrlicht. Sie betont einen Mythos von […] Wiedergeburt nach einer Periode des Niedergangs und Zerfalls. Zu diesem Zweck ruft sie nach einer ‚spirituellen Revolution’ gegen Zeichen des moralischen Niedergangs wie Individualismus und Materialismus und zielt darauf, die organische Gemeinschaft von ‘andersartigen’ Kräften und Gruppen, die sie bedrohen, zu reinigen. Sie tendiert dazu, Männlichkeit, Jugend, mystische Einheit und die regenerative Kraft von Gewalt zu verherrlichen. Sie ist gekennzeichnet durch eine obsessive Beschäftigung mit Niedergang, Demütigung oder Opferrolle einer Gemeinschaft und durch kompensatorische Kulte der Einheit, Stärke und Reinheit, wobei eine massenbasierte Partei von entschlossenen […] Aktivisten in unbequemer, aber effektiver Zusammenarbeit mit traditionellen Eliten demokratische Freiheiten aufgibt […]”
Sehr befremdlich oder arg unzutreffend?
Zur Auflösung: die kursiv geschriebenen Abschnitte enststammen einer fast unveränderten, von Matthew Lyons bzw. Robert O. Paxton stammenden Definition des Faschismus.
Ich schließe mit (und mich an) einem Zitat von Sam Harris:
„To speak plainly and truthfully about the state of our world – to say, for instance, that the Bible and the Koran both contain mountains of life-destroying gibberish – is antithetical to tolerance as moderates currently conceive it. But we can no longer afford the luxury of such political correctness. We must finally recognize the price we are paying to maintain the iconography of our ignorance.”
SAM HARRIS
Ich übersetze:
“Klar und wahrheitsgemäß über den Zustand unserer Welt zu sprechen – zu sagen, beispielsweise, daß Bibel und Koran haufenweise lebenszerstörerischen Schwachsinn enthalten – steht dem, was die Moderaten für Toleranz halten, unvereinbar gegenüber. Wir können uns aber den Luxus solcher politischen Korrektheit nicht länger leisten. Wir müssen endlich erkennen, welchen Preis wir dafür bezahlen, die Ikonographie unserer Ignoranz weiter zu erhalten.”
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NACHTRAG:
Während ich mein Eingangszitat nur als Ausgangspunkt für meinen Text verwendete, verpasst Florian nebenan den sogenannten Ärzten eine wohlverdiente Abreibung.
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*Es ist plausibel, daß es in der Evolution des Menschen einen selektiven Vorteil bedeutet hat, die Weisungen von Autoritätspersonen ungefragt zu übernehmen. So überlebten beispielsweise Kinder in der Steinzeit, die die Warnung der Eltern, nachts die Höhle oder sonstige Heimstatt nicht zu verlassen, befolgten und daraufhin nicht von nächtlichen Räubern getötet wurden, eher, als ungehorsame Kinder und mit ihnen die genetisch fixierte oder zumindest prädisponierte Verhaltensweise des Gehorsams. Autoritätshörigkeit und Unterworfenheit unter das Überlieferte und damit die Neigung zum Religiösen stellt mithin eine genuine Manifestation genau dieser Prädispositionen dar. Eine Studie, die in “Trends in Cognitive Sciences” (s.u.) veröffentlicht wurde, befasste sich mit der Frage der Herkunft der Religion: ist sie eine evolvierte Adaption, also eine “sinnvolle” Anpassung des Menschen an seine Umwelt und die wachsende Notwendigkeit zur Kooperation oder ist sie nur ein sich aus der Konfiguration der menschlichen Kognitionsfähigkeit ergebendes, “mitgeschlepptes” Nebenprodukt? Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß im Lichte der empirischen Evidenz moderner Moralpsychologie eher letzteres zutrifft. Insbesondere zeigten Individuuen, trotz unterschiedlicher religiöser Hintergründe, keinen Unterschied bei der moralischen Bewertung unvertrauter moralbezogener Szenarien. Dieser Befund weist darauf hin, daß sich Religiosität aus bereits zuvor existierenden kognitiven Funktionen entwickelt hat und dann erst Subjekt der Selektion wurde, wodurch ein adaptiv entworfenes System zur Lösung des Problems der Kooperation entstand.
Das bedeutet: Religiosität und damit die Religionen sind also wirklich nur ein Neben-, vielleicht ein Abfallprodukt der Evolution des menschlichen Geistes, ein Parasit, ein Virus im Substrat von Kognition und Verstand.
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