Warnung: in dieser Reihe wird es immer wieder zu Begegnungen mit und Blicke in die tiefsten menschlichen Abgründe kommen und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Diesmal: eine Studie über die Korrelation von Psychopathologie und Mordwaffenwahl
Anhand von 103 Fällen von Mord bzw. versuchtem Mord in Italien wurde untersucht, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Auftreten von psychischen Störungen oder Erkrankungen und der Art der Waffe, die ein psychisch Erkrankter für seine Tat wählt.
Herr Catanesi, der Autor der Studie, kommt zu dem Schluß, daß ein solcher Zusammenhang in der Tat besteht.
Anmerkung: Bei dieser Studie sollten die Umgebung und andere Umstände (wie z.B. das Geschlecht), die bei der Waffenwahl ebenfalls eine Rolle spielen, ausgeblendet werden. Z.B. ist die Verfügbarkeit/kulturelle Gepflogenheit von Feuerwaffen/Klingenwaffen in einem Land direkt korreliert mit der Häufigkeit von Tötungsdelikten mit Feuerwaffen/Klingenwaffen, die pro Jahr und pro 100.000 Einwohner in diesem Land gezählt werden. Ein anderes Beispiel ist Finnland, wo der „typische” Mord von einem betrunkenen Mann mit gewalttätiger Vorgeschichte mittels eines Messer verübt wird.
Das Studienkollektiv:
Die Täter aus 103 Fällen von Mord bzw. versuchtem Mord wurden in der Abteilung für Forensische Psychiatrie der Universität Bari psychiatrisch untersucht. Zudem wurden folgende Informationen erhoben: Alter, Geschlecht, vorherige Straftaten, psychiatrische Vorgeschichte, Drogen-/BTM-Vorgeschichte, Tatort, Tatzeit, Tatwaffe, Anzahl der Schläge/Stiche/Schüsse, Ort und Art der beigebrachten Wunden, Verhalten vor und nach der Tat sowie zum Zeitpunkt der Tatbestandsaufnahme. Weitere Faktoren waren psychopathologische Erkrankungen, Auslöser und Informationen zum Opfer und dessen Verhältnis zum Täter.
Die Methode:
Es wurden mögliche Korrelationen zwischen allen erhobenen Aspekten geprüft. Statistisch relevante Korrelationen wurden durch Kontingenztafeln und einen Chi-Quadrat-Test festgestellt. Odds Ratios (OR) wurden als Maßzahl für den Grad der Assoziation angegeben.
Die Autoren weisen noch ausdrücklich daraufhin, daß ihre Ergebnisse „italienspezifisch” seien. In Italien ist die legale Verfügbarkeit von Feuerwaffen außerordentlich gering und hat sehr wahrscheinlich einen großen Einfluss auf die Ergebnisse dieser Arbeit.
Ergebnisse:
Die 103 Delikte, denen die untersuchten Täter zugeordnet sind, waren Morde (65,09%) und versuchte Morde (34,91%), wobei drei Fälle von Mord und gleichzeitig versuchtem Mord (also mit mehr als einem Opfer) festgestellt wurden. 85,44% der Täter waren Männer und nur 15,56% waren Frauen, bei beiden Geschlechtern waren die meisten Täter zwischen 25 und 44 Jahren alt.
Die psychiatrische Untersuchung und Begutachtung der 103 Täter (s.o.) ergab, daß 84,4 % von ihnen eine psychische Störung aufwiesen. Am häufigsten wurde Schizophrenie (23,3%) diagnostiziert, gefolgt von Persönlichkeitsstörungen (Cluster A (6,8%) und B (16,5%), gem. DSM-IV TR) und Wahnvorstellungen (11,7%). Aber auch Depressionen (6,8%), bipolare Störungen, auch bekannt als „manisch-depressive” Störung (1,9%), Störungen mit organischer Ursache (5,8%), geistige Retardierung (8,7%) und Suchterkrankungen (2,9%) wurden festgestellt.
Im folgenden ergeht sich die Studie in einer umfangreichen Auflistung der Häufigkeitsverteilungen aller möglichen tat- und täterbezogenen Aspektausprägungen im Studienkollektiv, darunter die psychiatrisch-medizinische Vorgeschichte sowie prämorbide Persönlichkeitsmerkmale, der soziale Status, die häusliche Situation, Bildungsniveau, Erwerbstätigkeit/Arbeitslosigkeit und Vorstrafen des Täters aber auch Art des Tatorts, Tatzeit, Drogen-/Alkoholeinfluss bei der Tat, Tatausführung (organisiertes oder desorganisiertes Verhalten bei/nach der Tat), Tatmotiv und mögliche Auslöser (z.B. eine heftige Auseinandersetzung). Außerdem wird die Analyse der Gruppe der 121 Opfer nach Alter, Geschlecht, Beschäftigung und Verhältnis zum Täter aufgeführt.
Grundsätzlich konnte ein niedriges Bildungsniveau, sowie eine schwache sozio-kulturelle Stellung der Täter festgestellt werden.
Im Zentrum des Interesses steht jedoch die Wahl der Tatwaffe. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Häufigkeit, mit der verschiedene Waffen benutzt wurden:
*Zustand mit Kreislaufschwäche und Atemdepression bis -stillstand, der mit Hypoxie und Hyperkapnie einhergeht; z.B. herbeigeführt durch Ersticken
Wurden Feuerwaffen benutzt, wurde in 39,29% der Fälle ein Schuß, in 39,29% der Fälle zwei bis drei Schüsse und in 21,43% der Fälle vier bis 10 Schüsse abgegeben, ein „Overkill”, so die Autoren, sei in keinem Fall beobachtet worden.
Bei den Klingenwaffen ergab sich ein anderes Bild, indem in 38% der Fälle ein Schlag, in 14% der Fälle zwei bis drei Schläge und in 36% der Fälle vier bis 10 Schläge geführt wurden und es in 12% der Fälle zu einem „Overkill” gekommen ist.
Die häufigsten Trefferregionen waren der Kopf (38,39%), gefolgt von Thorax (36,61%), Armen und Beinen (12,5%), Abdomen (11,61%) und in einem Fall die Gentialien. Die häufigste Verletzungsart waren Wunden (94,68%), gefolgt von Verstümmelung oder der Heraustrennung eines oder mehrerer innerer Organe (4,26%) oder einem extensiven, massiven Trauma des Körpers (1,06%).
Nun zur Kernfrage der Arbeit: „welche Waffen wählen Wahnsinnige?”
Es gab eine starke Korrelation zwischen dem Leiden unter Wahnvorstellungen und der Verwendung von Klingenwaffen (OR = 4,7; p < 0,05), dem Ausführen von 4-10 Schlägen (OR = 4,007; p<0,05) und der Verwundungsstelle Thorax (OR = 5,824; p<0,05).
Depressive Störungen waren stark assoziiert mit Asphyxie (OR = 15,9; p<0,05). In diesen Fällen waren die Tatorte häufig „sauber" und die Täter waren häufig junge Mütter, die ihre kleinen Kinder erstickten.
Störungen mit organischer Ursache waren deutlich korreliert mit der Verwendung von stumpfen Gegenständen (OR = 5,05; p<0,05). Dies erklärt sich wahrscheinlich dadurch, daß in diesen Fällen häufig kein Vorsatz bestand und der Täter das nächstbeste Objekt als Waffe einsetzte.
Darüberhinaus wurde noch Korrelationen zwischen Tatmotiv „Rache" und der Verwendung eines Gewehrs als Waffe (OR = 4,78; p<0,05), sowie zwischen Tatbegehung als impulsiver Reaktion und der Verwendung von Klingenwaffen (OR = 2,81; p<0,05) festgestellt.
Es bestehen also offenbar Zusammenhänge zwischen einigen psychischen Erkrankungen, insbesondere Wahnvorstellungen und Depression, und der Wahl der Waffe, die solchermaßen Erkrankte wählen, wenn sie einen Mord begehen (wollen).
Wahnvorstellungen und Depression entstehen, so die Autoren, über einen längeren Zeitraum und beide Störungen beeinflussten alle Entscheidungen, die die Erkrankten träfen, darunter auch die Wahl einer Tatwaffe. Das erkläre auch, warum sich bei Erkrankungen wie Schizophrenie, die durch bizarres, sprunghaftes und desorganisiertes Verhalten gekennzeichnet seien, eher eine ungeplante, i.e. zufällige Waffenwahl (und somit keine Korrelation) ergebe.
Die Autoren zeigen auf, daß Wahnvorstellungen, insbesondere Verfolgungs- oder Eifersuchtswahn, eine große Entschlossenheit, zu töten, hervorbringen können, die sich an Waffenwahl und der erhöhten Anzahl von Schlägen auf lebenswichtige Körperstellen festmachen lasse.
Bei der Depression hingegen herrsche ein Gefühl von Traurigkeit vor, das, zusammen mit einem Mangel an Vitalität und einer Auffassung des Todes nicht als Strafe sondern Erlösung von einem Leben in Schmerz und Verzweiflung, zur Wahl einer „weichen” Waffe und einer „sanften” Tatausführung (ohne dem Opfer Schmerz zuzufügen) führe.
_____________
Literatur:
Catanesi R, Carabellese F, Troccoli G, Candelli C, Grattagliano I, Solarino B, & Fortunato F (2011). Psychopathology and weapon choice: A study of 103 perpetrators of homicide or attempted homicide. Forensic science international, 209 (1-3), 149-53 PMID: 21316880
Kommentare (31)