“Es gibt religiöse, psychotherapeutische und medizinisch-homöopathische Möglichkeiten der Behandlung bei Homosexualität und homosexuellen Neigungen”
Diese exemplarische und auf den ersten Blick zweifellos satireverdächtige Meldung des „Bunds Katholischer Ärzte”, die schön und schauerlich zugleich aufzeigt, was Religion mit dem Verstand von Menschen anrichtet, war der Auslöser für den folgenden Post.
Besonders apart auch die wohlfeile, fadenscheinige und geheuchelte Konzession: „Wichtig ist festzustellen: Homosexualität ist keine Erkrankung” gefolgt von mehreren möglichen Therapieansätzen. Mal sehen:
„Die Therapie (griechisch θεραπεία therapeia „das Dienen, die Bedienung, die Dienstleistung, die Pflege der Kranken”[1]) bezeichnet in der Medizin die Maßnahmen zur Behandlung von Krankheiten und Verletzungen.” (aus der Wikipedia)
Also: Man rät zur „Therapie” einer sexuellen Orientierung, die eigentlich „keine Erkrankung” sei, mit einer Methode, die keine Wirkung hat und daher selbst wenn es eine Krankheit zu behandeln gäbe, versagen müßte und die als „esoterische Lebenshilfe” eigentlich von der Kirche abgelehnt wird.
Bevor ich aber erzähle, warum in meinen Augen Religion ein großes Übel und eine Kraft zum Bösen ist, hier zunächst eine deutliche Positionierung:
Ich unterscheide ganz klar zwischen Glauben und Religion.
Ich habe keinen Glauben, aber ich habe Mitgefühl und jedes Verständnis für ein selbst fundamentales Bedürfnis nach Glauben und nach dem Gefühl der Geborgenheit in der Welt und des Trostes, das der Glaube dem Vernehmen nach schenken kann. Ich finde aber, Glaube muß und sollte privat sein und sein wollen und die unbedingte Freiheit dazu muß an der Grenze zur Freiheit Anderer, anderes oder nichts zu glauben, enden. Dem ohngeacht verstehe ich dennoch seine Notwendigkeit für viele, denn ich begreife, daß viele Menschen ihre Sehnsucht nicht als Reichtum an und in sich empfinden können und wollen, sondern sie auf ein Ziel richten müssen, dessen Natur und Ursprung sich keiner Rationalität unterordnen lässt, das darunter aber auch nicht leidet. Ich begreife auch, daß ebenso viele Menschen die Vorstellung ihrer eigenen Endlichkeit, des in eine unbeaufsichtigte Welt Geworfenseins und einer vollkommen auf und in ihnen selbst ruhenden oder lastenden Verantwortlichkeit nicht zu ertragen vermögen.
Wenn ich auch gleich den christlichen, islamischen oder jüdischen Eingott gerade nicht für eine geeignete und erst recht nicht würdige Projektionsfläche für diese Bedürfnisse ansehe, so halte ich doch jene Dispositionen, die sie hervorbringen, für zutiefst menschlich – sie waren zu allen Zeiten in uns und sind es noch immer. Die menschliche Psyche hat, um ihren Inhabern angesichts solcher Ängste und Bedrängnis dennoch eine Alltagsfunktionalität abzutrotzen, höchst potente Mechanismen zu ihrer Bewältigung eingerichtet. Psychologen könnten hier gelehrter als ich Auskunft geben über Verdrängung, Projektion, Neigung zu Mustererkennung und Kausalitätswahrnehmung, Hawthorne Effekt, „observer bias” usf. Zusammen mit der genetisch prädisponierten* weil selektiv vorteilhaften Neigung zur unhinterfragten Anerkennung von Autoritäten erhob sich so jedenfalls eine menschliche Geistes- und Bedürfniskonstitution, die unsäglich anfällig für die Ausbeutung durch sie Durchschauende ist. Selbst in präszientistischen Zeiten gab es „Proto-Psychologen”, die diese Zusammenhänge zuerst geahnt und an sich selbst wahrgenommen haben mögen und sie dann auszunutzen verstanden:
Zuförderst mußte man nur die menschimmanente und eine Nachweispflicht bereitwillig ignorierende Bereitschaft, an etwas Übergeordnetes, Sinnstiftendes, Bestimmendes zu glauben, erkennen und zwar als in allen Menschen gegenwärtig und drängend und mächtig.
Dann bedurfte es der Kühnheit, sich von der eigenen Angst zu emanzipieren und diesen Impetus zu nutzen, sich hinzustellen und mit zureichender Emphase und Überzeugungskraft dieses Übergeordnete zu benennen, zu definieren und ihm Eigenschaften zuzuweisen, die mit den Erwartungen, Befürchtungen und Sehnsüchten der Glaubensbereiten vollends übereinkamen: z.B. “Gott”. Der nächste Schritt war die Abgrenzung: nur bestimmte Eingeweihte dürfen als Mittler zwischen dem neuen Gott und den Anbetenden fungieren, nur sie kennen seinen Willen, nur sie haben dessen Interpretationshoheit inne, entscheiden, was ihn zornig oder milde stimme. Die Zementierung des Gehorsams gegenüber den Eingeweihten erfolgte durch Instrumentalisierung und Nutzbarmachung der tiefen, wesentlichen Furcht des weltausgesetzten Menschen: nicht nur wurde die Unerträglichkeit der Endlichkeit aufgefangen, sondern die Möglichkeit und damit maximale Drohung einer unerträglichen Unendlichkeit errichtet, indem das ewige, selige jenseitige Leben aber auch das ewige Leiden nach dem Ende im Diesseits – Himmel oder Hölle – behauptet, definiert, ausgestaltet, reglementiert und mit fiktionaler Komparsenschar besetzt wird.
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