Na? Wer hat bei diesem Titel auch sofort an die katholische Kirche im speziellen und institutionalisierte Religionen im allgemeinen gedacht?
Ich habe mich ja hier kürzlich zu Abtreibung geäußert. Nun tat es mir Herr Meisner von den Katholiken nach.
Es sprach also: Mit der Duldung der Abtreibung
haben wir die Gesellschaft auf einen Weg in das Unmenschliche, in die Barbarei geführt
und
Das stumme Warum in den Millionen Kinderaugen liegt bleischwer wie eine Grabesplatte auf unserem Bewusstsein
Wow, starker Tobak! Und das ausgerechnet von einem hohem „Würdenträger” einer „Organisation”, die durch ihr dogmatisches Kondomverbot den “Kollateralschäden” der massenhaften HIV-Verbreitung und -Übertragung (auch auf Kinder) sowie Überbevölkerung und damit Armut und Hunger Beihilfe leistet, einer Organisation, die durch ihren Kindesmißbrauch und dessen systematischer Vertuschung hundert- und tausendfach zum Leid und Elend von Kindern auf der ganzen Welt beiträgt, deren ungeborenes Leben sie verteidigt, nur um ihr geborenes Leben zu verderben, und die überführten, besonders schlimmen Kinderschändern noch eine nette Pension zahlt.
Diese Organisation, die noch vor 50 Jahren die Menschenrechte als „liberalistische Verirrung” bezeichnete und nur gegen deren Widerstand das Grundgesetz in seiner jetzigen Form in Kraft treten konnte, stellt sich jetzt allen Ernstes als Schildmaid von „Millionen Kinderaugen” dar?!? Hypocrisy galore!
Doch damit beließ Meisner es nicht, sondern, da er schon mal in rechtschaffener Rage war, versetzte noch den altbekannten Rundumschlag gegen Reproduktionsmedizin:
Die Pränataldiagnostik, überhaupt die künstliche Befruchtung und ihre Auslese- und Selektionsmentalität züchten Leben und töten die Hoffnung.
Aha. Also “Abtreibung ist schlimm” hab’ ich verstanden, aber auch die künstliche Befruchtung (die ja gewissermaßen in die „andere Richtung” zielt)? In der Tat:
Wir erinnern uns des letztjährigen Nobelpreises für Medizin, der verdientermaßen Robert Edwards für die Durchführung der ersten künstlichen Befruchtung, die Erfindung der In-vitro-Fertilisation (IVF), durch die er ungezählten Familien das vormals verwehrte Kinderglück ermöglichen konnte, verliehen wurde. Eine großartige und für viele auf natürliche Weise als fortpflanzungsunfähig geltende Frauen und Männer gnadenvolle Errungenschaft und eine weitere Möglichkeit, einer zuvor als schicksalhaft empfundenen Laune der Natur mit wissenschaftlicher Hilfe beizukommen.
Genügend und vernünftige Gründe, sollte man meinen, Lob und Dankbarkeit auszusprechen und einen Preis zu verleihen. Nicht jedoch für besagte “Organisation”, die sofort ihre maßgebliche Auffassung zur Preisverleihung kundtat:
Ich halte die Wahl von Edwards für vollkommen deplatziert.
So sprach Ignacio Carrasco de Paula, Leiter der “päpstlichen Akademie für das Leben”
(ich hoffe, man ist sich vatikanseits der Ironie bewußt, die sich in der Bezeichnung und Existenz dieser Akademie, die ein passendes Pendant in der “chinesischen Akademie für Menschenrechte”, der “englischen Akademie für gutes Essen und die Feier Frankreichs” und der “deutschen Akademie für Gleichbehandlung, Integration und Säkularisation” hätte, darstellt).
Um die Maßgeblichkeit von Carrascos Äußerung richtig einschätzen zu können, wisse man, daß er “sich im Namen des Vatikans zu ethischen Angelegenheiten äußert”, dessen Kompetenz in der Beurteilung von und dessen Wille zur Beseitigung der von ihm selbst verursachten “ethischen Probleme” ja immer wieder eindrücklich unter Beweis gestellt wird. Jedenfalls heißt es weiter:
Edwards hat das Problem der Unfruchtbarkeit nicht gelöst, sondern übergangen.
Ich habe mich zuerst über diese Kritik gewundert. Man sollte doch annehmen, daß die Kirche, die zur Fortpflanzung ja eigentlich die “gehet hin und mehret Euch”/Verhütungsmittel-sind-des-Teufels-Einstellung vertritt, eine Möglichkeit zur Zeugung von Kindern, die zuvor nicht hätten gezeugt werden können, bejubelt, oder?
Doch tatsächlich hat der Vatikan die von Edwards entwickelte IVF bereits 1987 kritisiert. Die Methode sei unmoralisch, weil sie „die natürliche sexuelle Vereinigung von Mann und Frau ersetze”.
An dieser Stelle eine kostelose Information aus der Realität:
Lieber Vatikan, die “natürliche sexuelle Vereinigung von Mann und Frau” klappt bei den meisten Paaren, die IVF in Anspruch nehmen, sogar ganz ausgezeichnet und Du darfst mir glauben, daß diese Paare sich vor, während und nach der durch IVF ermöglichten Schwangerschaft (sehr) natürlich sexuell vereinigen können, wollen und werden. Das heißt, folgender Dialog
“Du, wollen wir uns auf natürliche Weise sexuell vereinigen?”
“Ach nein, Notwendigkeit und Bedürfnis dazu wurden doch durch unsere IVF ersetzt!”
dürfte zu den eher selteneren Kommunikationsphänomenen bei die IVF in Anspruch nehmenden Paaren gerechnet werden.
Du mußt, lieber Vatikan, wissen, daß es in dieser verrückten Zeit heute tatsächlich möglich ist, die “sexuelle Vereinigung” von dieser “gehet hin und mehret Euch”-Sache, abzukoppeln. Ich weiß, ich weiß, das magst Du gar nicht hören, klingt ja auch komisch, ist aber so. Vermutlich hat Dir Dein teurer Beraterstab, diese Jungs, die echt den Finger am Puls der Zeit haben, das aber inzwischen doch irgendwie “verklickert”, so daß Du heuer noch mit folgendem Argument gegen die IVF aufwartest: Du kritisierst, diese Methode habe
eine Vielzahl von Kühlschränken gefüllt mit Embryonen, die in Reagenzgläsern nur darauf warten, zu sterben
zur Folge. Ich wüßte gerne, ob das ein rein algebraisches Argument ist, ob der Vatikan also eine Liste führt, in der auf der linken Seite nicht-verwendete “Morituri”-Embryonen und auf der rechten durch IVF ermöglichte, geborene Christen-Babies addiert werden und seine Position zur IVF schließlich durch den Vergleich der Summen bestimmt. Solche Argumentationseffizienz wäre den werten Herrschaften durchaus zuzutrauen, im Seelengeschäft wird schließlich knallhart kalkuliert.
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