Aber ernsthaft, ich glaube, ich verstehe langsam, was wirklich hinter diesem Widerstand gegen Abtreibung, IVF und natürlich neuerdings auch PID steckt: Es geht, wie so oft, um Kontrolle und Macht.
Kontrolle zunächst über die Fortpflanzung und Sexualität und damit die stärksten Triebfedern des Menschen. Es war ein Geniestreich der Religionen, die Sexualität zu verdammen und als ewig-sprudelnde Quelle der „Sünde” (ein Konzept, dessen kongenialer Ersinnung sie sich ebenfalls rühmen darf) und damit Generator von Schuldgefühlen zu installieren. Auf die Sexualität richtet sich, auch aber nicht nur angetrieben vom ‚Biologischen Imperativ’ der Proliferation, ein sehr starkes, kaum zu sublimierendes Begehren. Es war also diabolisch-brilliant, den Gläubigen einzudrängen, daß ihre jeweilige Gottheit die Sexualität, die Lust dabei und die Freude daran, verachte und dereinst zu strafen gedenke und damit einen ewigen und perfiden Kreislauf von Lust, Schuld, Angst und Reue anzustoßen. Dieser „Carnot-Prozess” von Sünde und Erlösung, erzeugt so immer neue Sünder und hält alte „bei der Stange”, Menschen also, die aufgrund ihres höchst natürlichen und fast immer unausweichlichen Bedürfnisses immer wieder „sündigen” und zur Erlösung von diesen Sünden vermeintlich der klerikalen Mittler bedürfen und damit – denn darum ging es immer nur – abhängig werden und bleiben.
Alles, was dem Menschen ein höheres Maß an Kontrolle über oder Selbstbewußtsein zur Sexualität und Fortpflanzung gewährt, seien es Verhütungsmittel oder Abtreibung, sei es die Gleichberechtigung und -bewertung von Frauen und von Homosexuellen, seien es Sexualaufklärung oder eben aktuelle Fortschritte in der Reproduktionsmedizin, jede dieser Errungenschaften muß daher von der Kirche als Bedrohung eines ihrer wichtigsten Instrumente zur Aufrechterhaltung von Kontrolle und Abhängigkeit angesehen und bekämpft werden.
Der Machtaspekt ist etwas stärker chiffriert: Es ist im Grunde genommen eine Variation des Themas, das schon in früheren Zeiten mit der Kritik und dem Verbot der Pockenimpfung durch den damaligen Papst Leo XII. gespielt wurde (nebenbei: ist es nicht empörend, daß dieser gemeine, unehrerbietige Mensch dem armen lieben Gott durch wissenschaftliche Forschung und den ‚Segen’ der Impfung einfach die guten Pocken weggenommen hat? Damit haben wir den lieben Gott ja quasi gezwungen, sich AIDS als neue “Strafe“auszudenken – “Gott” bewahre, daß es dagegen jemals eine Impfung gibt!).
Dieser Gott entschied demnach in Vor-Impf-Zeiten nach Gutsherrenart, wer an den Pocken erkrankte, wer starb und wer nur furchtbar entstellt, aber als Zeichen seiner großen und unverdienten Gnade, dennoch überlebte. Solche Entscheidungsgewalt kommt in den Augen der Kirche dem lieben Gott offenbar auch bei der Reproduktion zu, indem er verfügt, wer sich fortpflanzen darf und wer nicht (und wohl auch, welche Embryonen einen natürlichen Abort erfahren)- und daran hat der Mensch nicht “rumzudoktern”!
Es geht hier also meiner Meinung nach um das “Hinnehmen” von “natürlichen” und der Auffassung dieser Leute zufolge “gottgegebenen” Zuständen und um die Kritik an der Auflehnung und dem Widerstand genau dagegen. Auch das, die Bereitschaft zur nichtinfragestellenden Duldung des Unvermeidlichen weil “von oben Gewollten”, ist eine unersetzliche Machtbasis für die Religion. (Hierdurch erklärt sich vermutlich auch der vehemente Widerstand der Kirche gegen die Erkenntnis, daß Homosexualität einfach “so” und besonders häufig ausgerechnet bei (zwischen 20 und 40%) katholischen Priestern auftritt und damit möglicherweise am Ende gar “gottgewollt” wäre.) Ohne diese Duldsamkeit, die gerne zu Demut verklärt wird und doch nichts weniger als Demut ist, wäre das schreiende Theodizee-Problem nicht zu bewältigen, die Menschen würden sich in Scharen von einem solchen Gott abwenden. So aber wird der vermeintliche “Wille Gottes” hinter für uns einfache Menschen unverständlich und beliebig wenn nicht zufällig wirkenden “Entscheidungen”, a.k.a. „unergründlichen Wegen” verschleiert. Die Unbegreiflichkeit dieses Gottes wird dadurch so gleißend, daß dahinter seine Grausamkeit und tyrannische Willkür, die freilich die seiner Erfinder und Interpretatoren ist, verblasst.
Wenn nun aber durch menschlichen Erfindungsgeist immer mehr solcher Bastionen der Willkür geschleift, immer mehr “gottgewollte” Urteile zu nurmehr lösbaren Problemen reduziert werden, so muß der Hebel der Religionen immer mehr seiner Kraft einbüßen, im gleichen Maß, in dem das Vertrauen der Menschen zu Wissenschaft und Fortschritt gedeiht und die einschüchternde Gewissheit, sich niemals sicher fühlen zu dürfen, das Gefühl des hilflosen Ausgeliefertseins daran verdorrt.
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