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Ich berichte von einer multidisziplinären, forensisch-wissenschaftlichen Arbeit über einen Leichenfund in Venedig aus den Zeiten der Pest, der auf einen Anti-Vampir-Begräbnisritus hinweist.


Die Arbeit ist aus dem letzten Jahr, aber ich finde sie spannend genug, um sie hier noch einmal vorzustellen.

Der Vampirmythos, dem das fundamentale biologische Prinzip, indem eine Lebensform eine andere verzehren muß, um (selbst den Tod) zu überdauern, zugrunde liegt, reicht zurück bis in die Antike. Schon in der Literatur und den Sagen der alten Griechen finden sich mit Ephialtae, Strigae, Lamia, Mormo und Empoussai zahlreiche ungustiöse und im weitesten Sinne „untote” mythologische Wesen. Aus der Odyssee, in der Homer berichtet, daß die Toten Blut tränken, entstand zudem ein zentraler Aspekt der Vampirmythologie. So ist es nicht verwunderlich, daß sich der Vampirglaube in Europa weit verbreitet und seine Spuren in zahlreichen Dokumenten und Manuskripten, Romanen, Kirchengesetzen, Exorzismustexten und Volksliedern hinterlassen hat und es erscheint nachvollziehbar, daß sich in voraufgeklärten Zeiten durchaus reale Ängste und Bedenken und daher auch Abwehrmaßnahmen gegen Vampire richteten.
Die forensischen und medizinischen Wissenschaften der Moderne haben den Vampir freilich längst aller übernatürlichen Aspekte entkleidet und die einzelnen Bestandteile dieses Volksglaubens auf durch Aberglauben, magisches Denken sowie medizinische und wissenschaftliche Illiteralität gestützte Fehlannahmen zurückgeführt.

In dieser Arbeit zeigen die Autoren mit forensisch- und paläopathologischen Methoden an einem Leichenfund aus dem 17. Jhdt., mit welchen Mitteln man sich zu dieser Zeit vor der durchaus ernsthaft befürchteten Rückkehr eines vermeintlichen Vampirs aus dem Grab zu schützen suchte.

Hintergrund
In den Jahren 2006 bis 2007 führte die venezianische Abteilung des „Archeoclub” eine Ausgrabung an einem Massengrab beim „Nuovo Lazzaretto” in Venedig durch. Die Ausgrabungsstelle befindet sich auf einer Begräbnisstätte, die um eine alte Mauer herum errichtet worden ist. Die Mauer wurde als Folge eines Gesundheits- und Quarantäne-Dekrets des republikanischen Senats vom 8. Juli 1468 gebaut, um als Bollwerk gegen das Vorrücken von Seuchen und Epidemien zu dienen. Neben den klassischen archäologischen fanden bei dieser Ausgrabung auch moderne forensisch-archäologische und anthropologische Methoden Anwendung, um die Genauigkeit der Datenerhebung zu verbessern.

Es wurden zwei stratigraphische Großeinheiten entdeckt: die eine Einheit enthielt verstreute und aus dem jeweiligen Körperzusammenhang gerissene, knöcherne Überreste, die deutlich postmortale Beschädigungen aufwiesen.
Die andere Einheit enthielt menschliche Überreste in ihrer ursprünglichen Niederlegung ohne Anzeichen von (Zer)Störungen nach dem Begräbnis.
Die stratigraphischen Daten und der Fund von Devotionalien, die Prägungen anläßlich des Jubiläumsjahres 1600 trugen, ließen eine recht genaue Einordnung der intakten Überreste (zweite Einheit) in die Zeit der Pestepidemie des 17. Jhdts. zu. Die Leichen wurden dabei offenbar in bereits zu Zeiten der vorigen Pest von Venedig (1576) ausgehobenen Gräbern bestattet.

Archäologische, anthropologische und taphonomische Befunde
Die Untersuchung der Überreste der beiden stratigraphischen Einheiten ermöglichte eine gute zeitliche Einordnung der Leichenteile und sogar eine Rekonstruktion von Vorgängen der Bestattung und des Begräbnisses.
Als besonders interessant stellte sich ein Skelettfund heraus, der ab der Hälfte des Torsos und aufwärts erhalten war. Bei der verstorbenen Person handelt es sich unter Berücksichtigung der generellen Schädelmorphologie und der Größe des caput humeri um eine erwachsene Frau. Die Leiche wurde in Rückenlage in einer einfachen Grube bestattet, die Arme parallel zur Wirbelsäule. Die anatomische Anordnung der Knochen und ihre Beziehungen zueinander waren regelrecht mit der Ausnahme einer Leichten Aufrichtung des linken Schlüsselbeins durch einen sogenannten “Wandeffekt”, der durch das Leichenhemd verursacht wurde. Das besondere an diesem Fund stellt ein mittelgroßer Ziegelstein dar, der in der Mundhöhle des Skeletts gefunden wurde und den Kiefer, der noch regelrecht artikuliert war, weit aufspreizte. Eine thanatologische und taphonomische Profilierung (nach Roskandic, s. Literatur) ließ eine postmortale Verschiebung der Knochen und Einbringung des Ziegels in die Mundhöhle ausschließen, darüberhinaus ist es höchst unwahrscheinlich, daß solche Ziegel Teil des Sedimentes waren, das für die Auffüllung der Gräber verwendet wurde.

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Die Einführung des Ziegels in den Mund der Toten muß also absichtlich und trotz der damit verbundenen erhöhten Infektionsgefahr für die Kirchendiener, die die Bestattung durchführten, vorgenommen worden sein. Damit kommt dieser Maßnahme sehr wahrscheinlich eine wichtige symbolische und rituelle Bedeutung zu.

Odontologische Befunde
Das Material wurde vor und nach der Sedimententfernung makroskopisch analysiert.

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Die Abbildungen zeigen die obere und untere okklusale Ansicht.
Lose gefundene Zähne wurden in die knöchernen Zahnkammern zurückgesetzt und so konnten fast vollständige Zahnreihen rekonstruiert werden. Die Tote hatte zu Lebzeiten keine Zahnbehandlungen erhalten und ihr Gebiss weist eine hohe Abnutzung der Okklusionsflächen, keine Zahnschmelzhypoplasien und den postmortalen Verlust der unteren Schneidezähne auf. Die beiden Kieferhälften wurden anschließend mittels eines tragbaren Röntgengeräts untersucht und eine Altersabschätzung durch Analyse des sekundären Dentins (nach Cameriere, s. Literatur) wurde durchgeführt.

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Die Abbildung zeigt das Röntgenbild vom periapikalen Bereich des oberen rechten Eckzahns der Leiche. Mithilfe dieser Darstellung konnte anhand der Bestimmung der Fläche der Pulpakammer unter Anwendung der o.g. Methode das Alter der Verstorbenen auf 61 +/- 5 Jahre geschätzt werden. Die Zahnanalyse ergab außerdem, daß die verstorbene Frau in ihrer Kindheit keine Perioden langer Krankheit oder Mangelernährung erlitten hatte.

Die Autoren entwerfen auf Grundlage der gewonnenen Befunde schließlich folgendes Szenario: Während die mit der Bestattung betrauten Diener eine Grube für eine gerade der Pest erlegene Person aushoben, stießen sie auf die Begräbnisstätte der Verstorbenen. Sie bemerkten das Totenhemd und ein “Loch” darin, das mit dem Mund der Toten korrespondierte. Weil der Körper noch ziemlich intakt war, hielten sie die Verstorbene wahrscheinlich für einen Vampir, der sein Leichenhemd fraß und der für die aktuell tobende Pestepidemie verantwortlich zu machen war. Daraufhin rammten sie der Leiche einen Ziegelstein in den Mund, um den vermeintlichen Vampir zu bannen.
Die Einbringung des Ziegelsteins zu der Zeit, als die Verstorbene selbst gerade gestorben war, könne ausgeschlossen werden, da es keine Belege dafür gebe, daß zu dieser Zeit und in ihrem historischen und kulturellen Kontext solche Praktiken ausgeführt wurden.
Im 16. bis 17. Jhdt. sei der Vampirglaube hingegen selbst in weltläufigen und fortschrittlichen Städten wie Venedig durchaus verbreitet gewesen. Es sei jedoch dennoch überraschend, daß dieses “vampirbannende” Ritual so klar in einem archäologischen Zusammenhang erkannt worden sei. Das Grab dieser Verstorbenen könne somit die erste archäologisch attestierte und forensisch-wissenschaftlich untersuchte “Vampirbegräbnisstätte” überhaupt sein.

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Literatur:

Nuzzolese E, & Borrini M (2010). Forensic approach to an archaeological casework of “vampire” skeletal remains in Venice: odontological and anthropological prospectus. Journal of forensic sciences, 55 (6), 1634-7 PMID: 20707834

Roksandic M. Position of skeletal remains as a key to understanding mortuary behaviour. In: Haglund WD, Sorg MH, editors. Advances in forensic taphonomy. BocaRaton, FL:CRC Press,2001;99-117

Cameriere R, Brogi G, Ferrante L, Mirtella D, Vultaggio C, Cingolani M, Fornaciari G. Reliability in age determination by pulp/tooth ratio in upper canines in skeletal remains. J Forensic Sci. 2006 Jul;51(4):861-4.

Cameriere R, Ferrante L, Belcastro MG, Bonfiglioli B, Rastelli E, Cingolani M. Age estimation by pulp/tooth ratio in canines by mesial and vestibular peri-apical X-rays. J Forensic Sci. 2007 Sep;52(5):1151-5.

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Kommentare (13)

  1. #1 Deedohlithe
    26/07/2011

    “ließ eine postmortale Verschiebung der Knochen und Einbringung des Ziegels in die Mundhöhle ausschließen,” … ehhhhm

    Also gelebt hat die Leiche schon nicht mehr?

    Verdammt, wie formulier ich das jetzt?

  2. #2 WolfgangK
    26/07/2011

    Tolle Geschichte; eigentlich dachte ich immer, dass Vampirgeschichten eher ein Kleine-Leute-Aberglauben war ohne weitere Konsequenzen. Dass es doch auch hier und da zu Handlungen gegen angebliche Vampire gab, war mir nicht geläufig.

    @Deedohlithe
    Bei Vampiren ist bekannterweise postmortal gleich prämortal, sozusagen intermortal – oder so….

  3. #3 rolak
    26/07/2011

    Hi WolfgangK, letztens lief im TV eine Dokumentation über -halt Dich fest- aktuelle Vampir-Wiederkomm-Verhinderungs-Aktionen in (wer hätte es gedacht) Rumänien. Da wird immer noch das Grab geöffnet und die Leiche gepfählt. Illegitim mittlerweile, aber anscheinend unausrottbar. Und mit denselben Argumenten wie schon immer (chronische Krankheit, Milch sauer geworden etc pp).
    Diese Doku war es nicht, past aber wesentlich besser zum hiesigen blogpost 😉

  4. #4 WolfgangK
    26/07/2011

    @rolak
    Auch wenn ich ja eigentlich weiss, dass viel zu viele an irgendwelchen Unfug glauben, so erstaunt es mich immer wieder auf´s Neue, dass alte Legenden trotz aufgeklärtem Zeitalter nicht totzukriegen sind. Aber es soll ja auch heute noch Menschen geben, die an Hexen glauben. Übrigens, die einzig wahren und absolutst überzeugendsten (ähnlich brutalst möglichst) Vampire findet man nur hier: https://www.youtube.com/watch?v=mAXVDH_1q_M

    @Cornelius Courts

    Es sei jedoch dennoch überraschend, daß dieses “vampirbannende” Ritual so klar in einem archäologischen Zusammenhang erkannt worden sei

    Sind die jetzt nur selten beachtet und erkannt (aber viel häufiger vollzogen) worden oder haben die einfach nur selten stattgefunden? Ich denke, wenn der Vampirismus im 16/17 Jahrhundert weit verbreitet war, so müssten eigentlich auch Verbannungsrituale öfter ausgeführt worden sein.

  5. #5 Stefan W.
    19/08/2011

    Die Katholiken betreiben – nach eigenem Glauben – auch eine Art Vampirismus, in dem sie sich den Menschensohn einverleiben, den sogenannten, und v.a. dessen Blut. Igitt!

  6. #6 Cornelius Courts
    19/08/2011

    @Stefan W.: “Die Katholiken betreiben – nach eigenem Glauben – auch eine Art Vampirismus”

    ich hätte das eher für Kannibalismus gehalten. Die essen ja diesen Keks, von dem sie behaupten (und glauben MÜSSEN), daß er, nachdem der mit dem Kaftan sein Wullu-Wullu drüber gemacht hat, zu Leichenfleisch von diesem einen lange toten Handwerker (wenn es ihn gab) geworden ist. Das “Blut” trinkt ja nur der Vorbeter, soweit ich weiß…

  7. #7 s.s.t.
    20/08/2011

    Nun ja, zahllose Vereine haben merkwürdige Riten, angefangen bei den Pfadfindern, dem Kindergarten oder sonstwo; soll es sogar innerhalb von Familien geben. Möglicherweise schweißen solche Dinge tatsächlich zusammen. Irgendwie passt Küsschen hier und Küsschen da, auch dazu.

    Bei den Evangelen kriegt jeder einen Schluck ab, wegen der Schluckspechte wurde der Traubensaft jedoch von vergoren auf unvergoren (überall?) reduziert.

  8. #8 Jesi
    05/09/2011

    Wie kann ich mir denn den “Wandeffekt” vorstellen und wie genau funktioniert er?

  9. #9 WolfgangK
    07/09/2011

    @Cornelius Courts

    Hier hatte ich eine Frage gestellt bezüglich der Häufigkeitsdifferenz zwischen vollzogenenen Handlungen und archäologischer Erkennung vampirbannender Rituale, aber noch keine Antwort erhalten. Gibt es da Erkenntnisse oder handelt es sich bei beschriebener Entdeckung um einen absoluten Einzelfall?

  10. #10 Cornelius Courts
    08/09/2011

    @WolfgangK:
    ahja, sorry für meine Säumigkeit. Leider kann ich Dir das nicht beantworten, da ich, was diese archäologischen Fragen betrifft, nicht sonderlich firm bin. Ich weiß nur, daß es immer mal wieder Hinweise auf “Vampirbestattungen” gab, bei denen man also im Nachhinein auf ungewöhnliche, rituelle Bestattungsmaßnahmen schließen konnte…

  11. #11 WolfgangK
    12/09/2011

    @Cornelius Courts:
    Danke für die Antwort. Da es mich interessiert hat, habe ich ein bisschen herumgesucht.

    Falls es interessiert: der Vampirglaube war nicht nur in slawischen Gegenden, sondern im 17. Jahrhundert sogar bis in das Rheinland verbreitet. Allerdings war es wohl eher üblich, die dem Vampirismus verdächtigten Verstorbenen zu enthaupten und/oder zu verbrennen. Dies würde erklären, warum eine archäologische Erkennung des entsprechenden Rituals im allgemeinen selten bis unmöglich ist und der Venedig-Fall daher eher zu den seltenen archäologischen “Sahnehäubchen” gehört.

  12. #12 mackage sale
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    28/11/2016

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  13. #13 mackage sale
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