Warnung: in dieser Reihe wird es immer wieder zu Begegnungen mit und Blicken in die tiefsten menschlichen Abgründe kommen und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Diesmal: Ein Fallbericht über Tod beim Sex durch Hirnblutung nach Einnahme von Viagra
„Mors in coitu!” (dt. Tod beim Beischlaf) „Es gibt schlimmere Arten, abzutreten.” Mit diesen Worten fasste damals unser Pharmakologie-Professor etwas lakonisch die möglichen Nebenwirkungen von Sildenafil zusammen. Sildenafil, auch bekannt unter dem Handelsnamen „Viagra”, ist ein selektiver Inhibitor der Typ-5-Phosphodiesterase und wird zur Behandlung der erektilen Dysfuktion eingesetzt. Die erektionssteigernde bzw. -ermöglichende Wirkung Sildenafils ist dabei mehr oder weniger zufällig als Nebenwirkung der zuerst eigentlich beabsichtigten Anwendungsweise entdeckt worden. Es gab auch mehrere, medienwirksame tödliche Zwischenfälle, bei denen Patienten mit koronarer Herzkrankheit, die Viagra geschluckt hatten, beim darauffolgenden Geschlechtsverkehr einen tödlichen Kreislaufzusammenbruch erlitten hatten.
Viagra hat nachgewiesenermaßen eine erweiternde Wirkung auch bei Gefäßen der Körperperipherie. Außerdem verursacht es einen leichten Abfall des systemischen arteriellen Blutdrucks, weshalb eine gleichzeitige Einnahme von Nitraten (wie GTN oder PETN) kontraindiziert ist: eine gleichzeitige Einnahme beider Substanzen kann einen tödlichen Blutdruckabfall bewirken.
Im vorliegenden Fall war die Todesursache jedoch eine subarachnoidale Hirnblutung die durch das Platzen eines Aneurysmas im Hirn des Verstorbenen ausgelöst wurde:
Ein 49-jähriger Mann wurde in die Notfallambulanz eines Krankenhauses in Cagliari eingeliefert, wo nur noch sein Tod festgestellt werden konnte. Es wurde berichtet, er sei beim Geschlechtsverkehr, vor dem er Viagra eingenommen hatte, zusammengebrochen. Drei Tage später wurde er daraufhin im rechtsmedizinischen Institut obduziert. Als wesentlichen Befund zeigte die Untersuchung des Nervensystems eine große subarachnoidale Blutung, die auch als Todesursache ausreichte (die Abbildung zeigt Ausläufer der Hirnblutung in der chiasmatischen Zisterne, der cisterna interpeduncularis und der zerebromedullären Zisterne).
Als Quelle der Blutung konnte ein geplatztes Aneurysma entlang des Verlaufs der linken vorderen Hirnarterie festgestellt werden. Die feingewebliche Untersuchung ergab eine extrem ausgedünnte Gefäßwand innerhalb der Aussackung und bestätigte die makroskopischen Befunde.
Aufgrund der Vorgeschichte erfolgte auch eine forensich-toxikologische Untersuchung des Blutes, wodurch eine Sildenafil-Konzentration innerhalb des therapeutischen Bereichs festgestellt werden konnte (es lag also keine Überdosis vor).
Das Platzen eines Aneurysmas im Gehirn ist immer eine lebensbedrohliche Situation und häufig wird sie durch eine plötzliche Erhöhung des Hirninnendrucks, wie sie zum Beispiel beim Geschlechtsverkehr auftreten kann, ausgelöst.
Bevor man analysiert, ob in diesem Fall die Einnahme von Viagra eine Rolle beim tödlichen Verlauf gespielt hat, sollte betont werden, daß die subarachnoidale Blutung (SAB) keine der bekannten Nebenwirkungen des Medikaments darstellt. Nur in vereinzelten Fällen wurden bisher überhaupt Blutungen (jedoch keine SAB) nach Viagra-Einnahme berichtet und dann jeweils als Folge eine Überdosis oder bei Einnahme trotz Kontraindikation.
Außerdem ist die erweiternde Wirkung von Sildenafil auf die Hirnarterien sogar eher geeignet, deren mit einer SAB einhergehenden Vasospasmus und damit einen vielleicht tödlichen Ausgang durch verzögerten Verlauf zu verhindern.
Im vorliegenden Fall liegt also ein ungewöhnliches Zusammentreffen der Einnahme des recht gut erforschten Sildenafil mit einer tödlich verlaufenden SAB vor. Falls es sich bei letzterem um eine Nebenwirkung des Sildenafils gehandelt hat, dann stellt dieser Fall entweder eine auffällige Ausnahme bei einem weitgehend akzeptierten physiopathologischen Mechanismus dar oder das Geschehene legt nahe, daß bisher erhobene und für selbstverständlich gehaltene Feststellungen in Frage zu stellen wären.
Es dürfte jedenfalls im allgemeinen Interesse liegen, die klinische Forschung an und um Sildenafil fortzuführen, um alle Facetten der Wirkmechanismen aber auch alle möglichen Gefahren dieses häufig verschriebenen Medikamentes aufzuklären.
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Referenz:
[1] De-Giorgio F, Arena V, Arena E, Lodise M, Valerio L, d’Aloja E, & Chiarotti M (2011). Subarachnoid hemorrhage during sexual activity after sildenafil intake: an accidental association? The American journal of forensic medicine and pathology, 32 (4), 310-1 PMID: 21860321
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