Diese Fragmente unterscheiden sich also durch das jeweils eingebaute ddNTP am Ende (und dadurch die Farbe) und ihre Länge. Wenn man nun die Fragmente der Länge nach auftrennt (durch das Verfahren der Elektrophorese, s. auch hier) und gleichzeitig ihre Farbe feststellt, kann man dadurch die Sequenz des ursprünglichen DNA-Stückes rekonstruieren:
vom kürzesten Fragment im Beispiel oben ausgehend in Richtung längere Fragmente erhält man die Sequenz „t c g a a t g c” (man betrachtet immer das letzte Nukleotid). Diese kann man dann nach der Regel t = a, a = t, g = c und c = g in die Sequenz „AGCTTACG” übersetzen und das ist dann unsere gesuchte Sequenz XXXXXXXX.
Dieses Grundprinzip, daß also entlang eines zu sequenzierenden DNA-Stückes eine komplementäre Sequenz synthetisiert und dabei durch irgendein Verfahren der Einbau erkennbarer Nukleotide registriert und anhand der zeitlichen Abfolge der Einbauereignisse die gesuchte Sequenz konstituiert wird, liegt auch den meisten NGS-Verfahren, derer es mehrere teils sehr verschiedene gibt, zugrunde. Ich werde sie hier nicht näher beschreiben, da eine solche Beschreibung zwangsläufig zuviel voraussetzen und sehr technisch und trocken geraten müßte.
Die technischen Details sind aber auch nicht unbedingt erforderlich, um das Potential des NGS zu verstehen. Es reicht, zu wissen, daß es durch NGS möglich ist, das Grundprinzip des Sequenzierens in unglaublich verdichteter, effizienter und extrem vervielfältigter, wenn man so will: paralleler Weise (weswegen NGS manchmal auch „massive parallel sequencing” (MPS) genannt wird) zur Anwendung zu bringen. Im Rahmen von NGS-Verfahren können so mehrere Tausend bis zu Millionen (!) Sequenzierreaktionen gleichzeitig ablaufen und sie sind dabei noch hochgradig automatisierbar, d.h. von Maschinen ohne menschliche Interaktion durchführbar. Dies ermöglicht einen atemberaubend hohen Probendurchsatz, so daß ein komplettes menschliches Genom mit seinen 3,2 Milliarden Buchstaben, für das das HGP noch 10 Jahre und hunderte Labore weltweit brauchte, inzwischen innerhalb weniger Tage von einem einzigen Labor sequenziert werden kann!
Was wird NGS bringen?
Nun, zunächst mal ein deutlich ehrgeizigeres Projekt: man wollte
bis Ende 2011 die Genome von rund 2500 Menschen zu sequenzieren, um daraus einen detaillierten Katalog menschlicher genetischer Variationen zu erstellen, inkl. Single Nucleotide Polymorphismen, INDELs und strukturelle Variationen wie Kopienzahlvariationen. Dies wäre die bislang bei weitem umfangreichste Erfassung menschlicher Genome.
Und es gibt auch schon einen NGS-Wettbewerb, dessen Preis, immerhin 10 Mio. $, gewinnt, wer es schafft, ein Gerät zu entwickeln, das 100 menschliche Genome in 10 Tagen oder weniger für maximal 10.000 $ pro Genom sequenzieren kann.
All das deutet schon an, welche gewaltige Wirkung und welchen Einfluss man sich von NGS erwartet und in der Tat verspricht diese Technologie enormen Erkenntnisszuwachs für die molekularen Biowissenschaften, insbesondere für die molekulare Evolutionsforschung.
Mittels NGS kann auch sehr alte, stark beschädigte d.i. fragmentierte DNA noch erfolgreich untersucht werden und somit ein genetisches Profil auch von archäologischen Funden, uralten Knochen oder in Bernstein eingeschlossenen Organismen erzeugt werden. Solche Daten könnten unschätzbar wertvoll für das Verständnis evolutiver Ereignisse und Verläufe, von Migrationen und Artaufspaltungen u.ä. sein. Außerdem wird NGS sehr wahrscheinlich den “Mumienstreit” beilegen, bei dem sich derzeit zwei Parteien unvereinbar gegenüberstehen, von denen die eine behauptet, die bislang mit klassischen Methoden gewonnenen Sequenzdaten von uralten Mumien seien korrekt wohingegen die andere skeptisch ist und alle bisherigen Daten für Artefakte oder Kontaminationen hält.
Ein aktuelles Beispiel für spektakuläre Ergebnisse von NGS-Experimenten ist die Auslesung des Genoms von “Ötzi“, die selbst aus einer minimalen Menge Knochenmaterials fast vollständig gelang. Die in Nature Communications publizierten Daten ließen nicht nur Schlüsse auf seine geographische Herkunft und Verwandtschaft zu heute lebenden Populationen zu, sondern ließen auch erkennen, daß Ötzi vermutlich braune Haare, die Blutgruppe 0 sowie unter Laktose-Intoleranz zu leiden hatte. Außerdem wurde bei ihm eine genetische Prädisposition für ein erhöhtes Risiko für koronare Herzkrankheit nachgewiesen. Die Methode funktionierte so gut, daß man sogar noch 60% des Genoms einer Borrelien-Art finden konnte, deren Befall ihm offenbar eine Lyme-Borreliose eingebracht hatte.
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