Carl Guhr schrieb 1829 über Niccolò Paganinis Violinspiel:

Das Seelenvolle, Begeisterte, wahrhaft Eigenthümliche in Paganini’s Spiel strömt aus seiner innersten Natur. Die Gefühle und Empfindungen, die er im verwandten Busen erregen will, sind seine eigenen. In den Tönen seiner Melodien ist sein Leben rege und wach, finden wir stets sein Ich, seine Individualität. Die Trauer, die er empfunden, das Sehnen, das sein Wesen durchzieht, die Leidenschaft, die seinen Puls rascher jagt, sie alle fließen in seinen Vortrag über; […] so ist Paganini der Künstler, welcher die Welt um sich vergisst und sein eigenes Leben, wie es von Leiden durchfurcht, von Freude geglättet wurde, in Tönen wiedergebiert. Wer sein Spiel kennt, kennt auch ihn.

paganini2.jpg

aus [1]


In der Tat genoß Paganini (* 27. Oktober 1782 in Genua; † 27. Mai 1840 in Nizza) schon zu Lebzeiten außerordentlichen Ruhm und Bekanntheit für sein unvergleichlich virtuoses Spiel (wozu er möglicherweise auch durch eine Bindegewebsstörung, die hypermobile Finger- und Handgelenke zur Folge hat, befähigt wurde, das Bild zeigt seine Hand). Er begeisterte und faszinierte seine Zeitgenossen in hohem Maße, aber es kursierten auch Gerüchte über seine angeblich kriminelle Vergangenheit und, vielleicht auch aufgrund seines unheimlichen Äußeren, sogar Phantastereien über seine mystischen oder sogar satanischen Verwicklungen.
Dazu passt, daß auch die Umstände, unter denen er 1840 in Nizza zu Tode kam, nie ganz geklärt werden konnten.

In einer aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Archiv für Kriminologie” erschien vor kurzem ein Artikel, in dem Krankheit und Tod des Virtuosen auf Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen neu interpretiert werden und darüber möchte ich hier berichten.

Die Autoren untersuchten Haare, über deren erste Analyse zuvor schon in einer Fernsehsendung (s.u.) berichtet worden war. Sie wurden für weitere Untersuchungen von zwei direkten Nachkommen Paganinis zur Verfügung gestellt. Im Rahmen dieser Arbeit wurden mehrere analytische Verfahren eingesetzt: Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma (ICP-MS) für die Elementbestimmung, Totalreflexions-Röntgenfluoreszenzanalyse (TXRF) zur Schwermetalldetektion und morphologisch-mikroskopische Untersuchungen u.a. mittels Raster-Elektronenmikroskopie (REM) und Fourier-Transform-Infrarot-Spektroskopie (FTIR).

Ergebnisse der morphologischen Untersuchungen
Die Haare wurden zunächst unter dem Digitalmikroskop untersucht und zeigten sich als stark pigmentiert, glänzend, unregelmässig gewellt und von straff-elastischer Konsistenz, es handelte sich aber nicht um sog. „Korkenzieherlocken”.
Anhand von glatten Durchtrennungen an den wurzelnahen Enden der Haare stellten die Autoren fest, daß die Haare ca. 2-3 Wochen vor dem Tod gekürzt worden waren. Dann wurden Winkel und Strecken im Raum gemessen und mittels REM auf Übereinstimmung kontrolliert. Dabei wurden Schädigungen festgestellt, die die Autoren auf Milbenfrass zurückführen.

paganini1.jpg

Das Bild zeigt exogene Schädigungen (Milbenfrass) am Beispiel von Haar Nr. 9. Oben links die Messung mit dem Digitalmikroskop (µm); unten links wurden 28 Ebenen im Abstand von 1 µm rechnerisch zusammengesetzt; oben rechts sieht man eine Aufnahme mit dem REM, unten rechts noch einmal eine modifizierte Darstellung mittels Digitalmikroskop; aus [1]

Es wurden aber auch Schädigungen festgestellt, die wahrscheinlich nicht exogen, also durch eine äußere Ursache erklärbar sind. So fanden sich Schädigungen der Schuppenschicht (Cuticula) der Haare, teilweise fehlte sie sogar ganz.

paganini.jpg

Die Abbildung zeigt geringe endogene Strukturstörungen der Cuticula, die wahrscheinlich durch eine Intoxikation mit Schwermetallionen (z.B. Quecksilber) verursacht wurden; Maße in µm; aus [1]

Anschließend wurden weitere Untersuchungen und Messungen von Markstrangdicke und -verlauf, Querschnittsfläche der Haare, Drehung, Richtungsänderung der Haarachsen etc. vorgenommen und daraus ein Erscheinungsbild der Haare zu Lebzeiten abgeleitet. Dies wurde dann mit 26 verschiedenen datierten und signierten Abbildungen Paganinis verglichen, die insgesamt eine so hohe Merkmalskonstanz aufwiesen, daß sie als dokumentarisch angesehen wurden. Es wurde dabei eine gute Übereinstimmung zu Haarlänge, -farbe und -form festgestellt. Auf einer der Abbildungen, die Paganini als bereits Todkranken zeigte, wirkte Paganinis Haar – sehr untypisch für ihn – strähnig und nur leicht gewellt. Die Autoren führen dies auf eine Befeuchtung der Haare durch das bei einer Quecksilbervergiftung (als Nebenwirkung einer Therapie mit Quecksilber, wie sie damals üblich war, s.u.) auftretende starke Schwitzen zurück. Sie befeuchteten daraufhin die ihnen vorliegenden Haare und erhielten genau den gleichen streckenden Effekt, wie die Abbildung ihn zeigte.
Diese Befunde sprechen also dafür, daß es sich bei den untersuchten wirklich um Haare Paganinis handelte und die Haare repräsentierten dabei einen Wachstumszeitraum von mehr als einem Jahr und weniger als drei Jahren vor Paganinis Tod. Nun stellt sich noch die Frage, wie er starb.

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Kommentare (14)

  1. #1 Claudia
    16/07/2012

    Sehr spannend. Und tragisch. Ein Hoch auf die Entwicklung der evidenzbasierten Medizin!

  2. #2 Ulrich
    16/07/2012

    wenn das auf dem Bild seine Hand sein soll … Geige spielen lässt sich nur mit kurzen Firngernägeln!

  3. #3 Ludger
    16/07/2012

    Claudia·
    16.07.12 · 09:25 Uhr
    Sehr spannend. Und tragisch. Ein Hoch auf die Entwicklung der evidenzbasierten Medizin!

    Nach damaligen Kriterien war das wohl evidenzbasiert, hatte aber eine schlechte therapeutische Breite. siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Syphilis#Entwicklung_von_Behandlungsverfahren und https://de.wikipedia.org/wiki/Arsphenamin .

  4. #4 roel
    16/07/2012

    @Ulrich “Geige spielen lässt sich nur mit kurzen Firngernägeln!” Mit der rechten Hand (Abbildung) hat Paganini den Bogen geführt und die Saiten gezupft. Da stören die Fingernägel in der abgebildeten Länge nicht sondern sind eher hilfreich.

  5. #5 rolak
    16/07/2012

    hehe, da sieht man mal, wozu das (über)eifrige Lesen all gut sein kann: Dank des Simplicissimus war der erste Gedanke schon nach dem ‘Schwer’ von ‘Schwermetallionen (z.B. Quecksilber)’ unausweichlich ‘Syph’ 😉
    btw: Wenn denn schon eine Hand vorhanden zu sein scheint – die verräterischen Mees-Streifen zeigen sich wohl nur in der akuten Phase der Vergiftung, oder?

    Der post liest sich fast so spannend wie eine gute kleine Kriminalkurzgeschichte…

  6. #6 IO
    16/07/2012

    abo

  7. #7 Claudia
    16/07/2012

    Nee, Ludger, ich meine die moderne EBM auf Basis von klinischen Studien, nicht die “es hat irgendwem mal geholfen, schmiert es auf alle Patienten”-Methode. 😉

  8. #8 Redfox
    17/07/2012

    Sehr, sehr Spannend, danke.

    Bei einem Musiker der seine Seele an den Teufel verkauft denke ich aber eher an den hier:

    Early this mornin’, when you knocked upon my door

    And I said, “Hello, Satan, I believe it’s time to go”

    Me and the devil, was walkin’ side by side

    You may bury my body, down by the highway side

    So my old evil spirit, can catch a Greyhound bus and ride

  9. #9 BreitSide
    17/07/2012

    xxx

  10. #10 Eheran
    19/07/2012

    “Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma (ICP-MS) für die Elementbestimmung, Totalreflexions-Röntgenfluoreszenzanalyse (TXRF) zur Schwermetalldetektion”
    Warum hat man denn zusätzlich zu einem extrem präzisen ICP-MS noch die TXRF verwendet?
    Der Schwermetallgehalt kann mit dem ICP-MS auf unter 1ppt bestimmt werden, wenn mein Wissen noch auf dem Stand der Dinge ist.
    1ppt = 0,000001µg/g
    Damit ist bei einem Messwert von 15,4µg Hg pro g Haar eine derartig hohe Genauigkeit und Präzision gegeben, dass die TXRF vergleichsweise vollkommen irrelevant ist – ihre Schwankungen bestätigen dies auch nochmal.
    Natürlich ist es kein destruktives Verfahren wie die TXRF, aber wenn man es ohnehin auch destruktiv macht, dann erübrigt sich m.M.n. die TXRF.

    Ich messe ja auch mit einer Breifwaage nicht nochmal nach, ob sich die geeichte, gerade nochmal kalibrierte sowie mit Prüfgewicht kontrollierte 0,00001g auflösende Digialwaage womölich vollkommen geirrt hat. 😉

  11. #11 Engywuck
    19/07/2012

    gibt es eigentlich im 19. Jahrhundert früh verstorbene Künstler, die *nicht* an Schwermetallvergifzung gestorben sind? So langsam stellt soch doch raus, dass fast alle Syphilis hatten…

    @Redfox: nuja, James Brown hat’s ja auch schon zugegeben 😉 https://www.youtube.com/watch?v=apxofnAHsAA

  12. #12 Flück
    Stiefenhofen
    02/07/2014

    Na klar kann man mit langen Fingernägeln Geige spielen, es ist ja die rechte Hand, mit der man den Bogen hält. Aber was mich viel mehr interessiert, die erste Fotografie gabs 1825, Paganini starb 15 Jahre später, konnte man da schon so gute Fotos machen??? Oder wurde er mumifiziert? Ich glaube auch nicht, dass das seine Hand ist…

  13. #13 Cornelius Courts
    02/07/2014

    @Flück:”Na klar kann man mit langen Fingernägeln Geige spielen, es ist ja die rechte Hand, mit der man den Bogen hält”

    Das wurde bereits festgestellt (https://scienceblogs.de/bloodnacid/2012/07/16/wie-starb-paganini-2/#comment-6056).

    ” Oder wurde er mumifiziert? Ich glaube auch nicht, dass das seine Hand ist…”

    Von seiner Hand wurden Abgüsse erzeugt. Das Photo kann auch von einem solchen sein. (z.B. hier https://apollo.ram.ac.uk/emuweb/pages/ram/display.php?irn=8403)

  14. #14 David Garrett Fan
    03/08/2014

    Sehr spannend. Man kann diesen Beitrag gan gut verfolgen. Ich finde es auch gut das hier auf mehreren Quellen eingegangen wird. Nur leider ist meine Meinung, dass man niemals einhundert prozentig sagen kann woran diese Person gestorben ist.

    Ich bin noch sehr jung und interessiere mich SEHR für klassische Musik. Und nach dem ich Paganini der Teufelsgeiger im Kino gesehen hab, fand ich das Paganini eine sehr interessante Person ist.
    Und ich wünsche mir einfach nur das: Man solche Person, wenn sie tot sind, bitte in frieden lässt. Und somit das was diese Person so interessant macht bei behält. Denn leider gibt es immer weniger junge Menschen die sich für die Klassik interessieren… . Aber so bleibt diese Person spannend.

    Trotzdem sehr gut geschrieben und sehr aufklärend.