Das hier soll der Anfang einer neuen Serie zum Thema Krebs sein. Meine bislang spannendsten wissenschaftlichen Erlebnisse hatte ich in der Krebsforschung und ich möchte versuchen so gut es geht, sowohl zu erklären, was Krebs ist und wie er „funktioniert”, als auch mitzuteilen, warum ich und viele andere Forscher dieses ‚feindliche Phänomen’ so faszinierend finden und sich ständig dadurch herausgefordert fühlen.
Krebs ist eine schlimme und nicht selten tödliche Krankheit, es gibt eine Unzahl verschiedener Krebsarten und so ziemlich jedes Organ kann davon betroffen sein.
Laut der „Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland” erkrankten 2008 469.800 Menschen in Deutschland an Krebs, das sind etwa 43.000 Patienten mehr als 2006. Für 2012 werden, basierend auf dieser Zahl, ca. 486.000 neue Krebserkrankungen erwartet. Noch sind Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems die Haupttodesursache doch wahrscheinlich wird Krebs in nicht allzu ferner Zukunft diese Stellung einnehmen, insbesondere, weil Krebs eine Erkrankung der Alten ist und die Menschen in den Industrienationen immer älter werden. Statistisch ist es daher heute schon so, daß jeder Mensch, der nicht selber von Krebs betroffen ist, zumindest eine Person näher kennt oder mit ihr verwandt ist, die Krebs hat. Krebs ist also ein gewaltiges medizinisches Problem und damit zugleich eine große Bedrohung für die allgemeine Gesundheit und eine ebensogroße Herausforderung für die Wissenschaft.
Doch die wenigsten wissen, was Krebs eigentlich wirklich ist. Krebs ist der Feind im eigenen Körper, der aus einer irgendwann entarteten, also ‚bösartig’ gewordenen ganz normalen Zelle hervorgegangen ist, die sich Schritt für Schritt zu einem mit allen Wassern gewaschenen Terrorkommando, das gegen alle Abwehrmaßnahmen des Körpers gewappnet und dabei häufig tödlich ist, verwandelt hat.
Wenn man versteht, wie flexibel und scheinbar „genial” Tumoren, also Krebsgeschwulste, sich selbst und ihr unmittelbares zelluläres Umfeld organisieren und modifizieren, mit Nährstoffen und Resourcen versorgen und, völlig abgekoppelt von den eigentlichen Aufgaben ihrer Ursprungszellen und der Notwendigkeit zur „Nützlichkeit” für den Organismus, ein Eigenleben und zugleich evolutives Wettrüsten mit dem restlichen Körper führen, so daß man sich immer wieder klar machen muß, daß kein böser, planender Geist dahinter steckt, der sie sich ausdenkt, dann kann mancher nicht umhin, zu empfinden, daß Krebs ziemlich unheimlich ist.
Aber genau das macht Krebs auch irgendwie geheimnisvoll und – so merkwürdig das klingt – ungeheuer faszinierend.
Ein Beispiel: eine besonders gefürchtete Eigenschaft fortgeschrittener Tumoren ist die Metastasenbildung. Die Tumoren, die in Kontakt mit größeren Blut- oder Lymphgefäßen gekommen sind, scheiden einzelne Tumorzellen ab, die im Strom von Blut oder Lymphe mitfließen und dann irgendwo anders im Körper „an Land gehen”, sich dort ansiedeln und eine Tochtergeschwulst, eine Metastase bilden. Es gibt aber inzwischen Erkenntnisse, denen zufolge Tumorzellen in diesen „Außenstellen” auch nur als Gäste verweilen können, um sich dort, fast wie in einem Trainingscamp, neue Fähigkeiten, die sie in ihrem Ursprungstumor nicht hatten erwerben können, anzueigenen, um dann genau dorthin zurückzukehren und das neu „Erlernte” in dessen Dienst zu stellen. Ist das nicht zu gleichen Teilen großartig und gruselig?!
Meine Zeit in der Krebsforschung war, gemessen an der intellektuellen Herausforderung und ohne die Disziplinen der forensischen Wissenschaft schmälern zu wollen, sicher die bisher spannendste in meinem Wissenschaftlerdasein.
Die Krebsforschung ist dabei ein klein wenig paradox: es wird ungeheurer Aufwand betrieben, um zu verstehen, wie die Tumorzellen „ticken”, und man entwickelt eine brennende Neugier darauf, zu verstehen was sie können und wo ihre Schwachstellen liegen, welchen „Charakter” ein Tumor hat, wo er herkommt und wo er „hin will”. Man grübelt ständig darüber, wie er bestimmte Dinge macht, wie er dieser oder jener Abwehrmaßnahme des Körpers entgeht und man versucht, sich Experimente auszudenken, mit denen man seine eigenen Hypothesen überprüfen und dem Tumor „in die Karten schauen” kann.
Kurz: man möchte ihn so gut und noch besser kennenlernen, als einen engen, lieben Freund, über den fast man alles weiß, dessen Geheimnisse, Eigenschaften, Schnurren und kleine Tricks man kennt und für den man schon nicht selten einen begonnenen Satz zuendesprechen konnte. Ich kenne auch einige Krebsforscher, die über „ihren Tumor” tatsächlich wie über eine gut bekannte Person sprechen können und die im Gespräch mit anderen Forschern deren spezifische Eigenschaften fast wie beim Autoquartett vergleichen.
Und jetzt die Paradoxie: all dieses in Jahren angehäufte Wissen dient nicht der Pflege und Aufrechterhaltung einer langen Freundschaft, sondern der erbitterten Bekämpfung und letztlich Vernichtung dessen, was man so gut und innig kennt, getrieben vom Wunsch, ihm eines Tages nie wieder begegnen zu müssen. Irgendwie schon ein bißchen verrückt, oder?
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