Wer verbricht ein solches Buch? Wieso muß (!) jede Apotheke in Deutschland es in ihrem Schrank haben? Die Antwort ist traurig und erschreckend: unser eigenes Gesundheitsministerium gibt das Homöopathische Arzneibuch heraus. Im Übrigen ist Deutschland auch das einzige Land, welches ein solches Buch produziert. Wieder einmal stellt sich die Frage nach dem Grund – doch dazu werde ich gleich kommen.
Wenige Wochen später hielt ich ein Skript in den Händen, in welchem es darum ging, was Homöopathie, Anthroposophie und Spagyrik sind, welches ihre Prinzipien sind und wie man Verdünnungen berechnet – mit dem freundlichen Befehl, all das bis zur Klausur auswendig zu lernen. Diese Irrlehren seien ja schließlich Teil meines Lernzielkatalogs. Diesen wiederum bestimmt der Gegenstandskatalog der IMPP (Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen), der in der Approbationsordnung für Apotheker festgelegt ist. Und wer wiederum legt diese fest? Richtig. Das Gesundheitsministerium.
Meine schockierte Nachfrage, ob derlei Fragen auch Teil meines Staatsexamens sein würden, beantwortete der Dozent mit einem achselzuckenden Ja. Nachdem im Laufe des Semesters in fast jedem meiner Fächer die Homöopathie (zum Teil völlig unkritisch) thematisiert wurde und es in einem Praktikum sogar eine freiwillige Übung zum Herstellen einer homöopathischen Verreibung gab, wandte ich mich schließlich an einen Dozenten, der offenbar ein großer Freund evidenzbasierter Medizin ist und auf die leider allgegenwärtige Esoterik nichts gibt. Dieser sagte mir, daß er die ganze Chose nach dem „Know your enemy“-Prinzip handhaben wollte – daß aber das Übel (und somit auch die Arzneibuchangelegenheit) seine Wurzel in intensiver Lobbyarbeit habe. Es sei die DHU (Deutsche Homöopathie-Union), die „viel Manpower“ ihr eigen nennen könne und erfolgreich an den wichtigen Stellen interveniere. Doch dazu wird meine Recherche im zweiten Teil dieser Blogserie weiter in die Tiefe gehen.
Am Ende tauchten Fragen zur Homöopathie in zwei Prüfungen am Ende des Semesters auf, völlig unkritisch und auch von den Studenten, die mit der wissenschaftlichen Methode (noch?) nicht vertraut sind, völlig unhinterfragt…
All das: die Arzneibücher, der Gegenstandskatalog, die Prüfungsfragen und Vorlesungsinhalte sind ein Skandal, der sich, fast unbeachtet von der Öffentlichkeit, weiter ausbreitet. Daß in unserer aufgeklärten Zeit, in welcher klinische Studien das Bewerten von Behandlungsmethoden so viel einfacher gemacht haben, eine „Arzneiform“, die ihren Wirksamkeitsnachweis seit 200 Jahren schuldig bleibt und reine Phantasie ist, solchen Raum bekommt, ist unfaßbar und traurig.
Nach dem Semester ging es in der Apotheke weiter. Es ist kein Geheimnis, daß Apotheker an „gewöhnlichen“ Arzneimitteln nicht viel verdienen. Und es ist auch kein Geheimnis, daß viele Menschen von den in ihren Augen dunklen Machenschaften der „großen Pharmaindustrie“ verunsichert oder von Behandlungsweisen, welche ihnen nichts gebracht haben, enttäuscht sind und sich der „sanften Medizin“ und Esoterik zuwenden wollen. Das ist keine gute Kombination.
Schon am ersten Tag dort erspähte ich gleich ein riesiges Poster mit Anleitungen zur Beratung von Patienten, die beabsichtigen, sich eine Reiseapotheke zusammenzustellen. Dort waren ausschließlich homöopathische Präparate aufgeführt (auch bei durchaus unangenehmen oder gar gefährlichen Konditionen wie hohem Fieber, schweren Durchfällen oder nässenden Ekzemen). Die Apothekerin empfahl fröhlich jedem/jeder homöopathische Medikamente, der/die mit wie auch immer gearteten Beschwerden den Weg in die Apotheke fand, und hunderte Leute fragten von sich aus danach.
Außerdem ist heikel, daß die meisten Kunden gar nicht wissen, was genau Homöopathie eigentlich ist. Fälschlicherweise halten viele Laien (und, wie sich rausstellte, auch so mancher Apotheker), Homöopathika für Phytopharmaka – nicht wissend, daß der Wirkstoff darin angeblich noch im „Wassergedächtnis“ gespeichert ist, aber auf keinen Fall mehr real vorhanden. Ein Irrtum, welcher den einschlägig bekannten Herstellern nur zugute kommen kann.
Bald bat man mich darum, ein wenig zu diesem oder jenem Thema zu recherchieren und reagierte pikiert, als ich willkürlich vorgefertigte Meinungen (z.B. daß Artemisinine keine guten Malariamittel seien (sind sie doch!) oder Sinupret hervorragend wirke (tut es nicht!)) anhand von klinischen Studien demontierte. Das wissenschaftliche Arbeiten liege ihr nicht und interessiere sie auch nicht besonders, erzählte mir eine Apothekerin wenig überraschend, nachdem sie mir offenbart hatte, daß sie aus rational nicht nachvollziehbaren Gründen an dieses oder jenes Medikament „nicht glaube“, mir aber empfehle, mich über Schüßlersalze zu informieren („Die helfen nämlich. Und die an der Universität lachen darüber.“). Empfehlungsbasis für die Kunden waren grundsätzlich nur die eigenen Erfahrungen vereinzelter Mitarbeiterinnen (und n war sehr selten größer als 1).
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