In Ausgabe Nr. 49 der ZEIT findet sich im Rahmen des Titelthemas ein sogenanntes “Streitgespräch” mit Wolfgang Thierse, betitelt “Ohne Glauben ist kein Staat zu machen“, in dem diesem eine Plattform gegeben wurde, um seine unreflektierte Katholen- Katechese zu verspritzen. Einige seiner bedauerlicherweise unwidersprochenen Äußerungen waren dabei derartig widerlich, daß ich dies ausnahmsweise in einem Leserbrief der ZEIT mitteilte (ob sie ihn abdruckt erfährt man vermutlich nächste Woche). Hier ist er schon einmal:
Sehr geehrte Damen und Herren,
über das “Streitgespräch” mit Herrn Thierse (Zeit Nr. 49) habe ich mich geärgert. Einerseits über die Bezeichnung, da ich nicht erkennen konnte, daß Herr Thierse mit seinen Äußerungen auf einen der Bezeichnung “Streit” würdigen Widerstand getroffen wäre. Aber noch mehr ärgerte ich mich über Herrn Thierse selbst. Vieles von dem, das er äußerte, legt den Schluß nahe, daß er zu borniert ist, um noch erkennen zu können, wie borniert er ist:
“Atheistischer Fundamentalismus”? Was soll das sein? Nicht nur, daß es dergleichen nicht gibt, diese Fügung ergibt noch nicht einmal theoretisch Sinn.
“Atheistischer Glaube”? Hält Herr Thierse demnach auch Nicht-Briefmarkensammeln für ein Hobby?
Die DDR “ging unter”, weil es staatlichen Laizismus gab? Nicht doch eher wegen eines menschenrechteverachtenden, undemokratischen Regimes (übrigens zwei Attribute, die ausgezeichnet zum Katholizismus passen)?
“Hitler religionslos”? Er war bis zum Schluß (nie exkommunizierter) Katholik und seine Äußerungen voller Gottesbezüge. Davon abgesehen haben natürlich auch Stalin und Pol Pot nicht wegen ihres Atheismus’ gemordet – dieses von der Religionsapologetik ermüdend oft vorgetragene Argument ist wirklich offensichtlich absurd und sollte längst jeden Anwender beschämen.
“Unterricht in Religionswissenschaft schadet den Religionsgemeinschaften”? Thierse wirbt also allen Ernstes für Religionsgemeinschaften, lehnt dabei aber die Vermittlung von Wissen über Religion ab und beklagt sich gleichzeitig über die erlittenen Übel in der Diktatur? Ich bin ratlos und ich finde es zugleich obszön, daß Herr Thierse der Allgemeinheit die Zeugenschaft bei der öffentlichen Zurschaustellung solcher heillosen Verrenkungen bei der Abarbeitung an seinem ganz persönlichen DDR-Trauma zumutet.
Das empörendste aber ist, daß Thierse versucht, der Demokratie und unserem Grundgesetz ein religiöses, gar christliches Fundament unterzuschieben, indem er solche Unwerte wie “Erlösungsbedürftigkeit” brutal allen Menschen unterstellt und zugleich Werte wie Mitgefühl, Altruismus und ausgerechnet Gerechtigkeit und Freiheit als religiöse Errungenschaften kapert. Das ist nicht weniger als moralbegriffliche Freibeuterei.
Mit freundlichen Grüßen
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Nachtrag am 12.12.12:
Der Brief wurde – erwartungsgemäß – nicht in Ausgabe 51 abgedruckt (der Platz, der Leserbriefen bei der ZEIT eingeräumt wird, ist tatsächlich recht bescheiden). Es finden sich stattdessen vier gute, kritische Briefe anderer Leser und zwei einfältige pro-religiöse, die deutlich länger sind und genausoviel Platz einnehmen, wie die vier kritischen und die – natürlich – von Priestern (oder Pastoren – wo auch immer da der Unterschied ist) fabriziert wurden.
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