Warnung: in dieser Reihe wird es immer wieder zu Begegnungen mit und Blicke in die tiefsten menschlichen Abgründe kommen und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Diesmal: ein Fallbericht von einem Suizid durch einen willentlich ausgelösten anaphylaktischen Schock
Ich mag keinen Fisch. Jedenfalls nicht, wenn er „nach Fisch“ schmeckt. Weiß jemand, was ich meine? Ob der 31-jährige, der an schwerer Fischallergie litt, Fisch mochte, ist nicht bekannt, aber vertragen konnte er ihn überhaupt nicht. Das wußte er und nutzte es aus, um sich zu suizidieren.
Man fand ihn leblos um 9 Uhr morgens an einem Novembertag am Ufer eines Badesees liegend. Die umgehend begonnenen Wiederbelebungsversuche wurden um 9:50 Uhr ein- und der Tod festgestellt. Neben dem Leichnam fanden sich zwei angebrochene und halbgeleerte Blechdosen mit Dorsch bzw. Hering. Ermittlungen ergaben, daß der Mann gegen 8 Uhr das Haus seiner Eltern verlassen und im Anschluss den Dosenfisch erworben hatte. Er wußte seit seiner Kindheit um seine schwere Fischallergie und litt außerdem an Depressionen und Asthma. Vor einigen Monaten hatte er bereits einen Suizidversuch durch Fischverzehr unternommen.
Ergebnisse der Obduktion:
Der 1,63m messende, 74 kg schwere Mann wies ein Hirnödem und schleimige, transparente Substanz in den Bronchien auf. Die Schleimhäute des Atemtraktes waren gerötet, die Lungen überbläht und blutgefüllt, auch die übrigen Organe wiesen Blutfülle auf. Es gab weder Anzeichen für ein Trauma, noch für Unterkühlung oder einen Asthmanfall. Der Mageninhalt fiel durch deutlichen Fischgeruch auf und einzelne unverdaute Fischstücke konnten noch identifiziert werden.
Die außerdem erhobenen histologischen Befunde und auch die Blutwerte wiesen durch erhöhte Mastzellzahlen und Konzentrationen an IgE-Antikörpern (darunter IgE-Antikörper, die spezifisch für Hering-Antigene waren) und Tryptase zudem auf eine massive allergische Reaktion hin. Die toxikologische Analyse verlief ohne Befund.
Der Tod beim allergischen oder anaphylaktischen Schock ist eine Folge einer fatalen Immunüberreaktion vermittelt durch IgE-Antikörper, Mastzellen und Histaminausschüttung. Es kommt dadurch zu einem vollständigen Zuschwellen der Atemwege bei gleichzeitigem starkem Blutdruckabfall.
Bei der Bewertung von Todesfällen, die möglicherweise durch Suzid erklärbar sind, ist es entscheidend, anhand medizinischer Befunde und sonstiger Ermittlungsergebnisse Unfalltod, Suizid und Tötungsdelikt voneinander abgrenzen zu können. Die Unterscheidung zwischen akzidentellem, suizidalem und homizidalem Geschehen ist dabei keineswegs immer trivial. Im vorliegenden Fall gelang diese Unterscheidung erst durch die zusätzlichen histologischen und hämatologischen Analysen, die das unspezifische autoptische Ergebnis vervollständigten und den anaphylaktischen Schock belegten. Da der Verstorbene von seiner Allergie wußte und offenbar dennoch eigens Fischkonserven gekauft hatte, sowie aufgrund anderer Informationen konnte ein Unfall ausgeschlossen werden. Es gab darüberhinaus keine autoptischen Hinweise auf eine zwangsweise Zuführung der letztlich tödlichen Nahrung, was einem Mord durch Ausnutzung einer schweren Allergie gleichgekommen wäre. Dies wäre der erste derartige Fall gewesen, der in der Literatur beschrieben worden wäre. Aber auch Suizid durch willentlich herbeigeführten anaphylaktischen Schock, wie er hier tatsächlich vorlag, wurde bisher noch nicht wissenschaftlich beschrieben und dürfte ein äußerst seltenes Phänomen sein, wohingegen entsprechende Unfälle mit versehentlichem Verzehr sehr häufig vorkommen.
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Referenz:
Sterzik, V., Drendel, V., Will, M., & Bohnert, M. (2012). Suicide of a man with known allergy to fish protein by ingesting tinned fish Forensic Science International, 221 (1-3) DOI: 10.1016/j.forsciint.2012.02.002
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