Der folgende Gastbeitrag stammt von Claudia Graneis. Er erschien in abgewandelter Form in der Ausgabe 01/2013 des “Skeptiker”, der Zeitschrift für Wissenschaft und kritisches Denken der GWUP. Um ihn auch Nicht-Abonnenten zugänglich zu machen, erscheint er nun auch hier:
Heiße Luft für Hebammen
Das Training im esoterischen Denken beginnt schon vor der Geburt
Hebammen fungieren als Multiplikatorinnen von esoterischen Behandlungskonzepten, was sie zum Angriffsziel besonders aggressiver Marketingkampagnen der esoterischen Pharmaindustrie prädestiniert. So bietet zum Beispiel die Schweizer Firma Weleda, Hersteller von anthroposophischen Arzneimitteln, Seminare und Lehrgänge für Hebammen an, die rege in Anspruch genommen und auch von Berufsverbänden empfohlen werden. Solch eine Einflussnahme birgt ein weitaus höheres Gerahrenpotenzial für die Gesundheit von Ratsuchenden und ihren Kindern, als es Pharmavertreterbesuche in Arztpraxen tun. Denn indem Hebammenverbände die esoterischen Mittel „anerkennen“, reißen sie jegliche kritische Distanz ihnen gegenüber ein und vermitteln dies ihren Mitgliedern. Claudia Graneis hat an einem Weleda-Workshop für Hebammen teilgenommen.
Als Studentin der Pharmazie in einer deutschen Großstadt werde ich seit Beginn meines Studiums regelmäßig mit Lehrplaninhalten aus den Bereichen Homöopathie, Anthroposophie und Spagyrik konfrontiert, was mich von Anfang an gleichermaßen geärgert und erstaunt hat. Eine intensive Recherche schaffte Abhilfe, was die Verwunderung anging – und Klarheit hinsichtlich der Zustände im deutschen Gesundheitssystem. Einige Ergebnisse meiner Recherche habe ich hier zusammengetragen.
Die Interventionen der „Alternativmedizin“-Lobby haben in der Vergangenheit bereits zahlreiche Ausnahmeregelungen auf Gesetzesebene erwirkt, die es den entsprechenden Herstellern deutlich vereinfachen, ihre Medikamente nachweis- und prüfungsfrei in die Apotheken zu manövrieren. Das Prinzip der Binnenanerkennung zum Beispiel erlaubt es Vertretern der „alternativen“ Therapierichtungen, die Wirksamkeit ihrer Präparate selbst zu beurteilen.
Wie funktioniert nun diese Intervention? Im Prinzip wie bei „den Großen“; die meisten Homöopathie-Unternehmen sind im großen Lobby-Dachverband BPI (Bundesverband der pharmazeutischen Industrie) organisiert und machen den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses Aufwartungen und laden sie auf ihr Produktionsgelände ein. Besonders profitieren sie von homöopathiefreundlichen Politikern und Politikerinnen wie der NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens, die daraufhin laut Studiengänge für Homöopathie fordert.
Dementsprechend hat die Homöopathie auch in den Universitäten Einzug gehalten. Durch Stiftungsprofessuren, Doktorandenstellen und Arbeitskreise bringen sich die Unternehmen finanziell ein, doch auch die Lehrinhalte sind betroffen. Der Gegenstandskatalog für das erste Staatsexamen im Pharmaziestudium führt „homöopathische Zubereitungen“ als Pflichtteil des Lehrplans auf. Dementsprechend wurde ich fast vom ersten Studientag an damit konfrontiert und musste darüber hinaus die Lehre der vier anthroposophischen Wesensglieder sowie die Grundsätze der Spagyrik, der modernen Version der Alchemie in der Pharmazie, lernen. In drei Prüfungen zum Semesterende hin tauchten Fragen zur Homöopathie auf. Durchaus zum Ärger der Dozenten, doch was im Lehrplan steht, muss vermittelt werden. An den meisten Universitäten werden auch im Medizinstudium Wahlfächer mit derartigen Inhalten angeboten.
Schließlich arbeiten die Lobbyisten auch direkt mit dem Personal im Gesundheitswesen zusammen. Bepunktete Fortbildungen für Ärzte und Apotheker sind längst die Regel, in Deutschland kann man sogar eine Ausbildung zum Fachapotheker für Homöopathie und Naturheilkunde machen. Die Nachfrage der Kunden und Patienten ist hoch, und lieber wird einfach verkauft, anstatt Patienten kritisch zu informieren. Oft jedoch vertreten die Apotheker selbst die Ansicht, dass diese Präparate wirkungsvoll seien – nicht zuletzt wegen der zahlreichen Besuche freundlicher Pharmareferenten und -referentinnen, die, bewaffnet mit allerlei buntem Informationsmaterial für Apotheker und Kunden, die Offizinen stürmen. Zum Thema „Homöopathie und Pharmazie“ werde ich im nächsten Teil dieses Artikels (Skeptiker 2/2013) und auf der GWUP-Konferenz im Mai 2013 (siehe dazu die Umschlagrückseite dieser Ausgabe) ausführlicher berichten. Am deutlichsten sind die Auswirkungen der „alternativmedizinischen“ Lobbymaßnahmen vielleicht bei den Hebammen zu spüren, weshalb ich die diesem häufig übersehenen Aspekt nun besondere Aufmerksamkeit widmen möchte.
Cornelius Courts, Autor des ScienceBlogs Blood’N’Acid, bezeichnet derartige Einflussnahmen als „zu gleichen Teilen kaufmännisch gewitzt wie perfide“. Er schreibt dazu:
Der rationalistische Widerstand gegen esoterische und nicht wirklichkeitsbasierte Konzepte dieser (leider noch häufig) Nicht-Akademikerinnen ohne wissenschaftliche Ausbildung fällt offenbar (noch) geringer aus, als der vieler Ärzte. Zudem werden Hebammen viel schlechter bezahlt und sind daher mit preiswerteren „Zuwendungen” milde und aufnahmebereit zu stimmen als so mancher kreuzfahrtverwöhnte Mediziner. Das macht Hebammen, die im Laufe ihrer Karriere sehr viele Schwangere betreuen, zu idealen Multiplikatorinnen, die so früh den Keim für eine lebenslange Homöopathie- und häufig allgemeine Esoterikgläubigkeit säen können. Denn die Perfidie wird offenbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass dabei das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Hebamme und werdender Mutter, deren akute Unerfahrenheit, Beratungs- und Betreuungsbedarf und mithin die dadurch begründete profunde Vulnerabilität für derartige Beeinflussung gnadenlos ausgenutzt werden. In den meisten Fällen verlaufen die Geburten problemlos, was dann natürlich, statt gut ausgebildetem Personal und moderner medizinischer Ausstattung der guten Homöopathie zugeschrieben wird. Beim nächsten Kind wird eine solchermaßen „geprimte” Mutter häufig wie selbstverständlich wieder auf Homöopathie zurückgreifen, solche Praktiken anderen Müttern empfehlen (mit n = 1 = sie selber) und sollte sie eine andere Hebamme haben, sogar von sich aus verlangen und ggf. soweit gehen, eine Hebamme abzulehnen, wenn diese keine Homöopathie und anderen Zauberklimbim anbietet. Damit schließt sich dann der Kreis aus sich gegenseitig bedingenden Angebot und Nachfrage, indem Hebammen, selbst im Falle, da sie selbst über die Unwirksamkeit solcher Verfahren informiert sind, sie dennoch anbieten müssen, wenn sie keine Patientinnen verlieren wollen (ganz analog zum Dilemma vieler rationaler aber auch betriebswirtschaftlich denkender Apotheker). Ein sich selbst erhaltendes und sogar verstärkendes System, das für immer mehr und letztlich sogar tradierte Nachfrage sorgt.
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