Das raffinierte Geschäft mit den Hebammen
Eine Schwangerschaft ist eine empfindliche Phase im Leben einer Frau, in der sie in hohem Maße bedacht darauf ist, ihr Kind vor Schaden durch eventuell toxische Stoffe zu bewahren. Eine unerfahrene werdende Mutter benötigt in dieser ungewohnten Situation die Begleitung und Anleitung einer kompetenten und vertrauenswürdigen Bezugsperson. Dies ist in vielen Fällen eine Hebamme – leider herrscht in dieser Berufsgruppe vielfach eine große Affinität zu alternativmedizinischen Verfahren und es kommt nicht selten zu einer massiven Einflussnahme auf die Schwangeren. 80 bis 100 Prozent der Kliniken und Hebammen bieten den Gebärenden „alternative“ Heilmethoden an. Viele Geburtshelferinnen sehen darin die Chance, eine Art „Verschreibungsautonomie“ gegenüber den Ärzten zu entwickeln – und pathologisieren damit unbemerkt die Schwangerschaft. In der Folge nehmen etwa 70 Prozent der werdenden Mütter während dieser Zeit Homöopathika und / oder Anthroposophika ein – der Start in eine esoterische Selbstmedikationskarriere.
Der Status als Multiplikatorinnen solcher esoterischen Behandlungskonzepte macht Hebammen zu einem Angriffsziel für besonders aggressive Marketingstrategien der „alternativmedizinischen“ Industrie. So bietet zum Beispiel die Firma Weleda ganze Seminare und Lehrgänge für Hebammen an, die rege in Anspruch genommen werden und auch von Berufsverbänden empfohlen werden. Im Rahmen meiner Recherche habe ich an solch einem Seminar teilgenommen.
Gewöhnlich organisieren Hebammen oder deren Verbände solche Seminare und laden dazu Referenten des Unternehmens Weleda in Praxis- oder Klinikräume ein. So war es auch in diesem Fall: das Treffen fand in einer kleinen Hebammenpraxis in ländlicher Umgebung statt.
Als ich die Praxis betrat, stieg mir zuerst der Geruch diverser Duftkerzen in die Nase, die um eine Buddha-Statue in der Mitte des Raumes gruppiert waren. Nachdem ich angewiesen wurde, die Schuhe auszuziehen, setzte ich mich, dem Vorbild der sechs anderen anwesenden Teilnehmerinnen folgend, barfuß im Schneidersitz in den Kreis. In der nun folgenden Vorstellungsrunde musste ich zunächst glaubhaft meine erfundene Hebammenidentität verteidigen, bevor es losging mit einer mehrstündigen Lehrveranstaltung zum Thema Anthroposophie, die mir noch das ein oder andere Quäntchen Selbstbeherrschung zwecks Unterdrückung ungläubiger Grimassen abverlangen sollte.
Zunächst erzählte die Seminarleiterin – selbst eine Hebamme, doch nach eigener Aussage „genervt“ von der Betreuung Gebärender – ein wenig von ihrer Karriere bei Weleda, um anschließend in eine Einführung in die Anthroposophie überzuleiten. Nein, wir würden nicht „unsere Namen im Morgentau tanzen“, spottete sie und war sich offenbar nicht bewusst über die leise Ironie, die darin lag, dass sie als Leiterin eines Seminars über die vier spirituellen Wesensglieder des Menschen sich über ein vergleichbar absurdes Konzept lustig machte.
Was an Informationen zur anthroposophischen Medizin folgte, war in Inhalt und Darreichungsform haarsträubend – eine milde Apologetik von Rudolf Steiners Rassentheorie, ein Loblied auf rückständige Mediziner (Ita Wegman, Weggefährtin von Steiner, habe in einer Zeit, als Impfungen und Medikamente die Medizin bestimmten, den Weg zurück zur Natur beschritten und eine anthroposophische Klinik gegründet – was als große Errungenschaft gepriesen wurde) und eine Preisung der Anwendung anthroposophischer Konzepte in Landwirtschaft, Kosmetik, Pädagogik, Wirtschaft und Medizin. Die Anthroposophie sei auch der Grund, weshalb die von einem Anhänger dieser Lehre geleitete Drogeriekette dm noch existiere und Schlecker nicht, wurde in der Gruppe gefolgert.
Geistleib, Rhythmisierung und der Energiebereich im Wollen
Anschließend war es an der Zeit, zum Kern der Lehre vorzudringen. Es wurde über die vier Wesensglieder des Menschen gesprochen. Der unbelebte physische Leib, der dem Mineral im Menschen entspreche, also den Knochen; der Lebensleib, welcher die Pflanze im Menschen repräsentiere, also der Stoffwechsel; der Empfindungsleib – das Tier im Menschen (schließlich hätten Tiere eine Seele und ein Bewusstsein) und zu gute Letzt der Geistleib, die Ich-Organisation. All dies wurde im fröhlichen Frage-Antwort-Spiel mit den Zuhörerinnen erörtert. Der Geistleib, so folgerte die Referentin, sei imstande, die drei anderen Wesenglieder zu aktivieren, weil er „einen Anteil Natur in sich“ habe – aber dazu benötige er Homöopathika oder anthroposophische Arzneimittel.
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