Warnung: in dieser Reihe wird es immer wieder zu Begegnungen mit und Blicke in die tiefsten menschlichen Abgründe kommen und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Diesmal: Mögliche Todesmechanismen bei der Kreuzigung eines hypothetischen, haploiden Handwerkers (HHH).
Ich dachte mir, es passt vielleicht zu dieser Zeit, in der die Christen statt ein Fest zu Ehren der namengebenden babylonischen Göttin Ishtar bzw. Astarte merkwürdigerweise die barbarische Hinrichtung einer Fantasyfigur (angeblich anläßlich eines diätischen Fehlverhaltens äußerst entfernter Vorfahren) sowie die nachträgliche Rückgängigmachung von deren Resultat feiern wollen, einen Artikel aus dem Journal of Forensic and Legal Medicine vorzustellen, dessen Autor sich darin Gedanken macht, auf welche Weise es jenen Ausgedachten wahrscheinlich dahingerafft hat.
Auf Grundlage der biblischen Schilderung der Kreuzigung des HHH seien von Ärzten verschiedene Hypothesen zu Sterbevorgang und Todesmechanismus vertreten worden. Darunter 1) Lungenembolie, 2) Herzriß, 3) Suspensionstrauma, 4) Asphyxie, 5) tödliche Stichwunde und 6) Schock. Einige vermuteten sogar, daß der HHH gar nicht gestorben sondern nur bewußtlos geworden (s. Literatur) sei (was das vermeintlich postmortale zu postsynkopalem Herumlatschen und –labern und zugleich wesentlich glaubwürdiger werden ließe). Der Autor untersucht diese Hypothesen und stellt in seiner Arbeit noch einen weiteren bisher unbeachteten möglichen Faktor vor, der zum Tod durch Schock beigetragen haben könnte: eine traumainduzierte Koagulopathie (d.i. eine lebensbedrohliche Komplikation bei Patienten, die schwere Verletzungen und Blutverluste erlitten haben).
Die Bibel ist natürlich vor allem ein Märchenbuch (für Erwachsene). Die Wiedergabe jener Kreuzigungsszene jedoch deckt sich mit zahlreichen anderen zeitgenössischen Schilderungen, so daß sie als Grundlage für die korrekte Beschreibung dieser grausamen Hinrichtungsmethode und daher Prüfung von Hypothesen zum Todesmechanismus bei Opfern von Kreuzigungen taugen kann:
Schon vor der Hinrichtung sei es dem HHH arg ergangen. Am Vorabend habe er bereits Anzeichen einer psychogenen Hämhidrose (Lukas 22:44) gezeigt und er sei danach insgesamt dreimal mit Stöcken und/oder speziellen Geißeln übel verprügelt worden (Matthäus 27:1-2; Markus 15:16-19), er hatte also Verletzungen und Blutverluste erlitten. Bei der Kreuzigung selbst war es üblich, die Delinquenten durch die Handgelenke an den Querbalken zu nageln. Dieser wurde dann auf den Längsbalken, der fest in der Erde stand, gehoben und mit einer Nut darauf befestigt. Dann fixierte man auch die Beine des Verurteilten am Kreuz, vermutlich indem ein Nagel durch den seitlichen Hinterfuß durchs Fersenbein getrieben und in das Holz eingeschlagen wurde.
Da die gekreuzigte Person dadurch stabilisiert war und nicht in kürzester Zeit wegen einer hängenden Haltung ersticken konnte (s.u.), dauerte der qualvolle Todeskampf gewöhnlich ziemlich lange, einige Quellen sprächen, so der Autor, sogar von mehreren Tagen. Für den HHH wurde hingegen eine deutlich kürzere Zeit von ca. 6 Stunden beschrieben (Matthäus 27:45-50).
Tod durch Lungenembolie?
Wenn der HHH, wie für diese Hypothese von deren Vertretern angenommen wird, am in der galileisch-jüdischen Population verbreiteten, erblichen Faktor V-Leiden und damit erhöhter Thromboseneigung litt, dann könnte es sein, daß er einer tödlichen Thrombembolie der Lunge erlag, ausgelöst durch die Immobilisierung nach der Kreuzigung.
Dagegen spricht, daß die Häufung dieses Leidens in den Populationen von vor 2000 Jahren unbekannt ist und die kurze Zeit am Kreuz sehr wahrscheinlich nicht ausreichend war, um eine solche Thrombembolie auszulösen.
Tod durch zerrissenes Herz?
Ende des 19. Jhdts. kursierte die Hypothese, der HHH sei an einem Herzriss, ausgelöst durch einen Infarkt und Herzbeuteltamponade, verstorben. Dies ist jedoch nicht mehr vereinbar mit den aktuellen Erkenntnissen zu den Erkrankungen des Herzens. Eine andere mögliche Ursache für einen Herzriss wurde in den Prügeln vor der Kreuzigung gesehen. Dafür wäre jedoch ein massives stumpfes und höchstwahrscheinlich mit Brüchen einhergehendes Trauma des Brustkorbs notwendig gewesen, das sicher zum sofortigen Tod geführt hätte.
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